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zur Sibylle in Fontegiusta zu Siena befänden und haben damit ohne Zweifel
die Skizzen einer Frauengestalt gemeint,110) die in ein phantastisches
Kostüm gekleidet den rechten Arm ebenso zu einer Art weissagender
Gebärde erhebt, wie es die Sibylle auf dem bekannten Fresko tut. Sie
sind aber damit im Irrtum. Diese Zeichnungen hat Peruzzi nicht gemacht.
Es gehört nicht viel Kritik dazu, neben seiner sicheren Meister-
hand eine zweite schülerhafte, ängstlich tastende und ungeübte zu er-
kennen, deren Eifer diese Blätter mit einer Art Randglossen versehen
hat. Durch zwei äussere Merkmale kann man sie leicht herausfinden.
Einmal sind diese Versuche in einer dunkleren, fast schwarzen Tinte
gemacht. Dann sind sie sämtlich durchgepaust. An jeder einzelnen
Zeichnung sind die eingedrückten Striche des trockenen Stiftes sichtbar,
wenn man sie etwas gegen das Licht hält. Diese Spuren von Pausen
lassen sich zwar auch an echten Peruzzi-Zeichnungen bemerken. So
ist z. B. der Plan von S. Peter aus dem Jahre 1503 auch durch-
gezeichnet worden, wahrscheinlich von einem modernen Künstler oder
Forscher. Aber diese Gruppe von Skizzen ist nicht von einem Späteren
durchgepaust worden — ihre stümperhafte Ausführung hätte wol niemanden
zu dieser Mühe verlockt — sondern der Zeichner selbst hat dies Mittel
benutzt, um sich Skizzen nach irgend welchen Originalen in dieses Heft
zu übertragen. Man kann sich davon leicht überzeugen. Keine einzige
Skizze, die nicht unter den schwarzen Federstrichen noch diese zu-
weilen schwer erkenntlichen Nebenlinien aufzuweisen hätte. Nun sind
aber diese Nebenlinien oder Pausenstriche ungleich sicherer und ver-
standener als die der nachfahrenden Hand. Unwiderleglich ist diese
Beobachtung gerade an einer der besagten Sibyllengestalten zu machen,
die in der Tat an die Peruzzische Freskenfigur erinnert. Die Feder-
skizze ist auffallend verzeichnet, missgestaltet, unproportional; der Ober-
schenkel namentlich viel zu lang. Die Pause aber giebt die richtigen
Proportionen an, das Knie wol 1 cm. über dem der Zeichnung. Der
Zeichner hat also hier die durchgepausten Striche nicht erkannt und
sich von seinem eigenen Unvermögen leiten lassen, das übrigens schon
durch die anderen Skizzen genugsam bekundet ist. Diese bewegen
sich in einem ganz bestimmten Ideenkreis und wiederholen dieselben
Gegenstände: römische Waffen und Kriegsschiffe, ähnlich der der navi-
cella auf dem Cölius in Rom, ornamentale Tiermasken, phantastisch
aufgeputzte Figuren, ägyptische Sphinxe und Götterstatuen, ja wirkliche
Hieroglyphen und orientalische Inschriften.
zur Sibylle in Fontegiusta zu Siena befänden und haben damit ohne Zweifel
die Skizzen einer Frauengestalt gemeint,110) die in ein phantastisches
Kostüm gekleidet den rechten Arm ebenso zu einer Art weissagender
Gebärde erhebt, wie es die Sibylle auf dem bekannten Fresko tut. Sie
sind aber damit im Irrtum. Diese Zeichnungen hat Peruzzi nicht gemacht.
Es gehört nicht viel Kritik dazu, neben seiner sicheren Meister-
hand eine zweite schülerhafte, ängstlich tastende und ungeübte zu er-
kennen, deren Eifer diese Blätter mit einer Art Randglossen versehen
hat. Durch zwei äussere Merkmale kann man sie leicht herausfinden.
Einmal sind diese Versuche in einer dunkleren, fast schwarzen Tinte
gemacht. Dann sind sie sämtlich durchgepaust. An jeder einzelnen
Zeichnung sind die eingedrückten Striche des trockenen Stiftes sichtbar,
wenn man sie etwas gegen das Licht hält. Diese Spuren von Pausen
lassen sich zwar auch an echten Peruzzi-Zeichnungen bemerken. So
ist z. B. der Plan von S. Peter aus dem Jahre 1503 auch durch-
gezeichnet worden, wahrscheinlich von einem modernen Künstler oder
Forscher. Aber diese Gruppe von Skizzen ist nicht von einem Späteren
durchgepaust worden — ihre stümperhafte Ausführung hätte wol niemanden
zu dieser Mühe verlockt — sondern der Zeichner selbst hat dies Mittel
benutzt, um sich Skizzen nach irgend welchen Originalen in dieses Heft
zu übertragen. Man kann sich davon leicht überzeugen. Keine einzige
Skizze, die nicht unter den schwarzen Federstrichen noch diese zu-
weilen schwer erkenntlichen Nebenlinien aufzuweisen hätte. Nun sind
aber diese Nebenlinien oder Pausenstriche ungleich sicherer und ver-
standener als die der nachfahrenden Hand. Unwiderleglich ist diese
Beobachtung gerade an einer der besagten Sibyllengestalten zu machen,
die in der Tat an die Peruzzische Freskenfigur erinnert. Die Feder-
skizze ist auffallend verzeichnet, missgestaltet, unproportional; der Ober-
schenkel namentlich viel zu lang. Die Pause aber giebt die richtigen
Proportionen an, das Knie wol 1 cm. über dem der Zeichnung. Der
Zeichner hat also hier die durchgepausten Striche nicht erkannt und
sich von seinem eigenen Unvermögen leiten lassen, das übrigens schon
durch die anderen Skizzen genugsam bekundet ist. Diese bewegen
sich in einem ganz bestimmten Ideenkreis und wiederholen dieselben
Gegenstände: römische Waffen und Kriegsschiffe, ähnlich der der navi-
cella auf dem Cölius in Rom, ornamentale Tiermasken, phantastisch
aufgeputzte Figuren, ägyptische Sphinxe und Götterstatuen, ja wirkliche
Hieroglyphen und orientalische Inschriften.