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dop/figkt 1937 by Oniversitor Deutle Veklogs-^lctiengeseülc^okt, 6er!in
7. Kortsehung
Herr petrg cius Shlenhof hat in den September-
kämpsen sich der Preußen liebreich angenommen, die
Verwundeten mit pslegen Helsen und den Soldaten
auch später noch manchen guten Waldgottesdienst ge-
halten.
Die andern nicken. Der sehlt ihnen. Gerade den
könnten sie jetzt brauchen. Der wäre ihnen lieber als
Gänsebraten und Weißbier. Da stofzen ein paar Kerle
einen jungen Menschen an und sagen, er solle eine
predigt halten. Lr könne das doch so schön. Der junge
Mensch ist von außerordentlicher Schüchternheit, und
seine Kameraden haben ihn am klnsang des ßeldzuges
manchmal gehänselt, weil er sich weigerte, aus der
Deckung aus den Keind zu schießen. Aber später be-
kamen sie Respekt vor ihm, als sie sahen, wie unver-
drossen er auf die Russenschädel losdcosch.
Jetzt wird er rot und wehrt sich. Lr kann das nur
ausnahmsweise, wenn ihn gerade die Lust überkommt,
so aus dem Stegreis, am Wachtfeuer, Aber hier, vor
so vielen...
Doch, doch, er soll nur ansangen! Lr ist ja ohnehin
sin halber Pastor, wenn er auch nicht ausstudiert hat.
Ihnen zuliebe soll er es tun. And wenn's auch nur ein
paar Gssangbuchverse sind, mit dem Vaterunser am
Schluß. Damit sie am heutigen Tage doch nicht ganz
ohne was Geistliches sind.
So erhebt er sich denn und blickt aus seinen blauen
klugen etwas hilflos in dis Lust, ohne ein Wort hsraus-
zubringen, während er zusehends kleiner und kleiner
wird, indem er immer tiefer in den mürben Schnee
versinkt. Ms aber darüber ein paar zu lachen ansangen,
stapft er entschlossen aus eine mächtige tzichte zu und
lehnt sich gegen deren Stamm.
Mso er will sprechen, wie ihm der Schnabel ge-
wachsen ist, weil seine Kameraden es durchaus wünschen,
beginnt er mit seiner dunklen, etwas grollenden
Stimme.
3hm stehen immer zwei Bilder vor klugen, dos
eine: mit welcher Pracht und Trotzigkeit die große
klrmee durch Sstpreußen gezogen ist. kllle diese
schmucken tapferen Soldaten, die prachtvoll un>-
jormierten Sssiziere aus ihren edlen Pferden, die vielen
tausend blanken Kanonen, der schier unendliche Wagen-
troß. So etwas hatte er noch nie gesehen und ist über-
zeugt gewesen, wenn eine solche Macht auszieht, must
sie die ganze Welt erobern. — And dann das andere
Bild: die öden Schneeselder Rußlands, die daliegen
wie ein weites weißes Lelnentuch, besät mit Kliegen-
schmutz. Vieser Kliegenschmutz aber, diese unzähligen
winzigen schwarzen Pünktchen im öden Schnee sind
alles, was Gott von der großen klrmee übrig-
gelassen hat.
Aber nicht solche Gedanken und Lmpslndungen will
er gerade heute in ihnen wachrusen. Denn heute ist jo
Weihnachten. Der Heilige Lhrist ist geboren. Der himm-
lische Heiland und das Kind, von dem dis Hirten aus
dem Kolbe künden: Krieden aus Lrden und den
Menschen ein Wohlgefallen. Mich der wird seine Macht
beweisen, wenn sie auch heute keine Glocke zu seinem

Ruhm läuten hören. Lr wird seine Macht zeigen, der
aber auch ein Kürst der Kreiheit ist. Die Demut der
Krommen ist nämlich durchaus nicht die sklavische
Demut der knechte, sondern der stolze Gehorsam der
Kreien. So haben auch die Vorfahren ihren Heiland,
ihren Heliand, verehrt und in ihm den Kührer gesehen,
als dessen treue Mannen sie sich fühlten. Weil aber
Christus ein Kürst der Kreiheit ist, darum ist ihm auch
der Krieg um der Kreiheit willen heilig, der Be-
freiungskrieg. And dieser Krieg wird kommen, dessen
sollen sie nur versichert sein.
„Dessen bin ich so sicher", sagte der junge Soldat,
„als wenn ich in der Kerne schon die Hörner blasen
und die Trommeln rusen Hörle, wie man wohl unter
dem blanken Lis das Rauschen der Quellen vernimmt.
And hat nicht Sott euch heute schon seine Zeichen ge-
schickt? Seht euch doch nur um nach all den grünen
Reisern um euch herum!"
Sie blicken erstaunt zu ihren Küßen und gewahren,
so weit sie sehen können, die Schneedecke mit grünen
Tannenspitzon bestreut, wie sie das schon die letzten
Tage oft hätten sehen können und wie das häufig nach
großer Kälte so ist. Nder sie meinen, sie sähen das
heute zum erstenmal.
„Haben wir nicht so manches Mal gesungen:
Krisch auf, ihr trogt das Zeichen
Des Heils aus eurem Hut
Dem muß die Hölle weichen
And Satans Zrevelwut!
Darum laßt uns diese Zeichen sammeln, damit allen
sichtbar wird, daß wir nicht verzagt sind, sondern
voller Glauben und Hossnung. Krühling und Kreiheit
und der Heilige Krieg soll unser Keldgeschrei sein.
Dazu verhelfe uns unser Herr und Heiland, der heute
geboren ist. Amen!"
„Amen! klmen!" antwortet die Zuhörerschar, und
einige sind schon zu solcher kriegerischer Begeisterung
entslammt, daß sie am liebsten Hurra riesen.
Daraus aber beginnt ein großes Sammeln von
grünen Tannenspitzen, und als zum Weitermarsch
besohlen wird, tragen schon viele das Zeichen an ihren
Mühen. Während des Morschierens aber lausen die
Worte Heiliger Krieg und Befreiungskrieg wie der
ßunke an einer Zündschnur von Reihe zu Reihe, und
es gibt gar kein langes Kragen und Erklären, jeder
weiß, kaum daß er diese Worte hört, daß sie die Ant-
wort sind aus die dumpfe Scham, aus den sressenden
Zorn, aus die namenlose Hoffnung seines Herzens.
klm selben Tag aber haben die Leute ein Erlebnis,
das ihre Stimmung gewaltig hebt und das sie wie ein
schönes Weihnachtsgeschenk und Vorzeichen kommender
Ereignisse hinnehmen.
Gegen Mittag marschiert die Trupps durch ein
schmales, dickverschneites Diesental, als aus den steilen
Anhöhen zu beiden Seilen sich plötzlich Kosaken zeigen.
Zuerst sind es nur vereinzelte Schwärme, die sich aus-
einunderziehen und sie wie ein dünner Saum begleiten.
Bald aber fliegen immer neue Scharen heran, schließ-
lich marschieren die Preußen unter dem Druck der
dichter und dichter zu beiden Geilen drohenden Wolken
von Lanzenreitecn. Manchmal stieben kleine Züge wie

zum Abersall heran, drehen oder, ohne einen Schuß
zu tun, im letzten Augenblick wieder um.
Da wird bei den Soldaten die Stimmung denn
doch etwas beklommen, schließlich haben sie vor sich
die ganze Wagenkolonne mit den kranken und
Blessierten, auf deren Schuh sie bedacht sein müssen.
Schon beraten die Sssiziere, ob es nicht angebracht
sei, durch einige Salven dem Angriff zuvorzukomikien,
als ein Soldat beherzt aus der Reihe heraus und
einer heranpreschenden Reiterschar entgegenläust.
Indem er sein Gewehr am Kolben so hoch wie möglich
hebt und mit der anderen Hand wedelnde Bewegungen
macht, schreit er:
„Nicht schießen, panje! Gut Kreund! Gut Kreund!"
Da bricht aus dem kvsakenpulk ein rauhes Jauchzen.
Sie halten die Lanzen hoch und wedeln ihrerseits mit
den Händen, mos die Preußen mit lauten Hurras
erwidern.
And dies wiederholt sich immer wieder. Bald ein-
zeln, bald zu mehreren sprengen die slinken Reiter
heran, die kleinen Pferde rutschen steifbeinig dis
steilsten Abhänge hinunter, die waagerechten Lanzen
fliegen kerzengerade in die Höhe und nicken und
grüßen unter dem Jauchzen ihrer Träger.
Nach einer Weile aber zeigten sich Gestalten, die bei
den Sffizieren nicht wenig Erstaunen, bei den Soldaten
jedoch Helles Entzücken erregen. In der Kerne wirken
sie wie eine über den Schnee springende Schar schwarzer
Klöhs. Näher kommend ober zeigen sie sich als zottige
kleine Reiter aus ebenso kleinen zottigen Pferden. Sie
tragen weder Lanzen noch Karabiner, sondern aus dem
Rücken Bogen und Köcher mit Pfeilen, von ihren Ge-
sichtern kann man unter den pelzumdrämten Mühen
nicht viel erkennen außer dem halbmondförmigen
Schnurrbart, und wenn sie sich aufrichten, wirken sie
in ihren langhaarigen pelzen noch immer wie runde
Gnomen.
Als würden sie vom Wind weitergetragen, ver-
breiten sich die Worts Heiliger Krieg und Befreiungs-
krieg durch die Reihen. Am nächsten Tag weiß schon
die Kolonne Kleist davon, und selbst die Kranken, die
auf ihren Strohschütten so apathisch daliegen und nur
aujstöhnen, wenn der Wagen über eine höckrige Weg-
stelle rumpelt, selbst sie strecken durch die Leiterwände
ihre Hände und flehen um ein grünes Reis.
kjorck verbietet das Tragen des grünen Schmuckes
nicht, obwohl er ihn bemerkt haben und auch wissen
muß, was er bedeutet.
Bis jetzt hat er aus das Drängen der Russen noch
keine bindende Antwort gegeben und auch nicht die
geringste Maßregel unterlassen, die das Interesse der
Kranzosen erheischt, vom Marschall hat er eine klare
Marschroute bekommen und sie innegehalten. Der
Befehl lautete, nach Tauroggen zu marschieren und sich
dort mit den sranzöslschen Truppen zu vereinigen.
Als er ober drei Tage nach Weihnachten dort eintrisst,
ist kein Kranzose mehr zu sehen, und es erreicht ihn
auch kein neuer Befehl von Macdonald. Seit achlund-
vierzig Stunden ist er ohne Verbindung mit ihm. Muß
er nicht annehmen, daß die Armee Wittgensteins sich



DON ant/ -NÄnen
Lpne/kt, an OlllOfOLiONk /



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