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HACH TATSACHEN ERZÄHLT
VON KRIEGSBERICHTER CLEMENS LAAR

Die letzte Fortsetzung schloß: Ketterer sah hilflos zum Arzt. Der zuckte die Achseln
und meinte halblaut: „Es ist das Fieber; die Agonie hat noch nicht begonnen. Aber er soll sich auch
nicht mit dem Fieber quälen.“
7. Fortsetzung und Schluß
Der Gehilfe reichte ihm eine weißkartonierte Packung, auf der, rot aufgedruckt
„Plasmochin“ stand. Fast hätte Ketterer bitter aufgelacht. Plasmochin war ein
deutsches Präparat.
Der Arzt zerbrach eine Ampulle. „Ein Soldat soll nicht wie ein tobender Narr
sterben“, knurrte er.
Creuille warf unruhig den Kopf:
„Hörst du mich auch noch, Matthieu . .. Geh’ nicht fort, du mußt noch etwas
Wichtiges wissen . .. Wo doch der gleiche Stern über uns steht. . . Der Haupt-
mann . .. ich weiß, es war ein Hauptmann . . . oh, du gütige Mutter Gottes, ich
war ja schon so nahe. .. Matthieu, ich hatte vier Minen ausgegraben .. . mit meinen
eigenen Händen . .. noch dreißig Meter . .. ich konnte sehen, wie er auf der Seite
lag . .. einen Arm hatte er aufgestützt, als ob er noch lebte ... da verliert ein Feig-
ling von uns die Nerven ... ein Korporal zudem... er springt auf und will links
Deckung suchen... er tritt auf eine Mine.. . Oh, Matthieu, ich glaubte, der
Hauptmann käme auf mich zu ... riesengroß . .. er lachte, so übermütig wie. .. ein
Sieger, ganz und gar ein Sieger. Und dann war Feuer da, nichts als Feuer .. .“
„Sprich nicht davon, Creuille, du sollst dich nicht erregen. Bitte, mein Alter...“
Es sah aus, als wollte sich der Capitain aufstützen. Der Arzt drückte ihn sanft
zurück.
„Aber ... aber ich muß dir das sagen. Ich bin doch dein Freund. Du mußt es
wissen . . . Du mußt, damit du begreifst, wie die Deutschen sind und ... und wir .. .
Geliebtes, unglückliches Frankreich . . .“ — Er spürte nicht, wie der Arzt unter die
Decke griff und ihm die Spritze einführte.
„Matthieu.. . Tagelang bin ich draußen gewesen. Ich wollte sehen, an mir
selbst sehen, ob wir nicht auch ... Ich wollte beweisen, Matthieu, daß es noch
Franzosen und Helden gibt, und ich habe das Gegenteil. .. genau das Gegenteil
entdeckt. Der Hauptmann, der deutsche Offizier . .. mich hat er besiegt. ..“
Geheimnisvoll flüsternd: „Weißt du, was er getan hat, Matthieu?“
„Ich weiß es nicht.“
„Ich habe ihn beobachtet... Es wurde hell, da sah ich ihn. Ich wußte sofort,
was er tat. Und warum . . . Matthieu, er war ein Held, weil er es nicht wußte.
Es war ihm etwas befohlen worden ... So sind sie ja da drüben. Und er tat es.
Er mußte wissen, daß es ihn das Leben kostete. Ich wollte zu ihm hin, als er
bezahlt hatte, aber er. .. Oh, wie hat er sich verteidigt. Und nun ist er doch
stärker geblieben. Verstehst du, was ich dir sagen will, Matthieu. Verstehst du das?“
Ketterer sah mit blutleeren Lippen über den Kameraden hinweg zur Wand.
Licht floß dort in Kaskaden über die gekachelten Wände. Ein Wasserfall stürzte
dort herunter. Alles Denken verschlang er. Er betäubte alle Sinne .. .
Die Stimme des Sterbenden riß ihn zurück.
„Matthieu, es wird nun doch dunkel. Erfülle. .. erfülle mir noch eine Bitte.
Versprich es mir.“ — „Ich verspreche es dir."
Und Creuille le Fer, Offizier der französischen Armee und Capitain der
Besatzungstruppe eines Panzerwerkes der unbezwinglichen Maginotlinie, verlangte
flüsternd: „Sag mir einmal, auf deutsch, das Wort Pflicht.“
Ketterer schwieg. Die heisere fiebrige Stimme verlangte noch einmal eigensinnig,
fanatisch und zornig: „Sag es, Matthieu. Du hast es versprochen.“ — „Pflicht!“
Es knackte hart. Der Arzt hatte die Operationslampen ausgeschaltet. Der Dom
des Lichtes brach zusammen. Capitaine Creuille le Fer schloß die Augen.
„Es ist ihre Magie“, murmelte er. „Es ist der Nährboden des Heldentums.
Wenn wir . . . wenn wir dies Wort hätten ...“
Das Rasseln in seinem Atem erstarb. Ketterer sah entsetzt zum Arzt. Der hatte
die Arme über der Brust verschränkt und schüttelte den Kopf. „Es ist nur die
Spritze. Aber er wird jetzt hinüberdämmern.“
Da fuhr der Sterbende noch einmal auf. Er flüsterte, aber ihnen war es, als ob
er schrie: „Der Hauptmann ... da kommt er ... er wird immer größer, er erdrückt
uns. Er kommt!“ — dann wurde es still.
Fern im steinernen Labyrinth polterten die Entlüfter, denen man lange, lange
schon den Gummi gestohlen hatte. *
Die entsicherte Pistole in der Linken, eine wurfbereite Handgranate in der
Rechten, so war Stülps mit einbrechendem Artilleriefeuer vorgegangen. Bald
schraubte er die Sicherungskappe wieder auf und steckte die Handgranate hinter
das Koppel. Es war klar, daß man sie nicht brauchen würde.
Die Männer des Stoßtrupps folgten seinem Beispiel. Die Pionier-Unteroffiziere
Rechler und Palery, die wie stöbernde Jagdhunde mit langen Mineneisen 50 Meter
vor Stülps und dem Hauptfeldwebel Wecker liefen, hängten sich sogar den Kara-
biner um den Hals.
Uber ihnen orgelte mit dem abebbenden und anschwellenden Donnergeräusch
von hundert gleichzeitig vorüberrasenden Expreßzügen das Feuer der eigenen
Artillerie. Ihre Augen glänzten vom Fieber jäh entflammten Stolzes.
Um 24.00 Uhr hatten die Franzosen ihre Versuche, an den Hauptmann heran-
zukommen, eingestellt. Sie hatten sich offenbar entschieden, bis zur Tageshelle zu

warten. Dafür hatte dann die französische Artillerie in ununterbrochenen Salven
eine Feuerglocke um den toten deutschen Offizier gelegt.
Stülps hatte auf dem B-Stand mit den Artilleristen und dem Chef der Infanterie-
Geschützkompanie den Einsatz besprochen. Da sah er den Flammenkreis der Ein-
schläge um den Hauptmann auflodern. Er hatte grimmig gelacht:
„Feuermale für einen toten Helden! Sie wissen, was dem Hauptmann gebührt!“
Dann brach, mit nie erlebter Wucht, das eigene Feuer los. Es war in dem
Augenblick, da am frostigklaren Himmel die ersten zartroten Streifen erschienen.
Minuten hat es gedauert, und dann war das französische Feuer erdrückt wie eine
schwelende Flamme am Boden, auf die ein genagelter Stiefel tritt.
Sie fühlten sich betäubt und hochgerissen, hineingestoßen in einen herzerheben-
den Taumel von atemloser Verwunderung und wildem Stolz. Fast ungläubig ließen
sie diese nie geahnte Entfaltung der eigenen Macht über sich ergehen.
Das sind wir! jubelte es in ihnen, und daneben frohlockte der Triumph des
Wissens, daß hier noch lange nicht ein letzter Einsatz vollzogen wurde. Es schoß
ja nur eine Abteilung der Divisions-Artillerie. — Nur eine Abteilung!
Als schließlich auch die I.G. eingriff, da schwiegen auch die letzten franzö-
sischen Maschinengewehre.
„Mensch, die halten hin", brüllte Palery. „Die haben bei jeder Batterie einen
ehrenamtlichen Hellseher!“
Seltsam aufgeschlossen waren die Gesichter der Stroßtruppmänner, und wenn
auch ihre Augen leuchteten, so war nirgends ein Lächeln oder ein Lachen zu sehen.
Sie holten ja den Hauptmann.
Mit der Waffe in der Faust holte ein winziges Teilchen des deutschen Feld-
heeres seinen toten König von seinem Schlachtfeld ein.
Rechler und Palery kannten das Gelände, und trotzdem war es der Hauptfeld-
webel Wecker, der, mit unheimlicher Sicherheit seinen Weg suchend, den Haupt-
mann zuerst entdeckte.
Dann standen sie bei ihm und einige machten eine Bewegung, als wollten sie
den Stahlhelm abnehmen.
Stülpenbrecher kniete nieder und drehte mit scheuer Vorsicht den Hauptmann
auf den Rücken. Der Stahlhelm fiel ab, denn der Sturmriemen war zerschossen.
Leise, wie eine spröde mahnende Glocke klang der Stahl des Helmes auf, als er
gegen einen Stein rollte. Es war seltsam, wie dieser winzige, klingende Ton durch
das Rauschen der Geschoßbahnen und das wuchtende Hämmern der Einschläge zu
hören war.
Die klaren Augen, in deren grauer Tiefe alle Fragen und Rätsel, jedwedes
Streben und jegliche Kümmernis Antwort, Vollendung und Frieden gefunden
hatten, sahen zum Himmel. Sie grüßten die deutschen Granaten.
Nichts war in dem Gesicht des Hauptmanns zu lesen von Schmerz oder Ver-
zweiflung, nichts von Aufbegehren oder Qual. Er sah streng aus und zufrieden.
Zwischen den festzusammengepreßten Lippen hielt er einen Fetzen Papier, knapp so
groß wie eine Münze.
Der Oberleutnant Stülpenbrecher sah zum Hauptfeldwebel, der mit gesenktem
Kopf, ein lebendes Denkmal trauernder Vasallentreue, auf seinen toten Hauptmann
sah. Stülpenbrechers Stimme war heiser: „Daran hat er auch noch gedacht.. .“
Jeder wußte, was er meinte. In den letzten Sekunden seines verrinnenden
Lebens hatte der Hauptmann den Meldezettel mit dem Lageplan zerrissen und
Stück für Stück verschluckt.
Einer sagte halblaut: „Man muß sich das einmal vorstellen!"
Stülpenbrecher hob die rechte Hand: „Ziehen Sie mir einmal den Handschuh
aus, Wecker. Mein linker Arm will jetzt ganz und gar nicht mehr mitmachen.“
Dann nahm er das Stückchen Papier aus den Lippen des Toten. Mehr auto-
matisch als in der Erwartung, etwas Wesentliches zu sehen, sah er auf den Fetzen
Papier. Dann reichte er ihn überhastig-zum Haupteldwebel: „Sehen Sie sich das ein-
mal an, Wecker. Verstehen Sie das? Irgendetwas muß das zu bedeuten haben.“
Wecker nahm den kleinen Fetzen grauen Papiers wie eine kostbare Gabe ent-
gegen. Auf dem Zettel standen, mit schon erlahmender Hand hingeschrieben, zwei
Worte: „Wecker... Rekord!“
Es schien, daß der Hauptfeldwebel sofort begriff, was der tote Hauptmann mit
dieser letzten Botschaft sagen wollte. Andere Gründe mußten es sein, warum Sekun-
den vergingen, bevor er antworten konnte. Die Antwort war ein Befehl:
„Im Umkreis von höchstens 20 Meter muß . . . eine Handgranate liegen. Rechler
sucht nach rechts, Palery nach links, Witte nach hinten.“
Dann wandte er sich an Stülps. „Wir werden die Erklärung sofort in den Hän-
den halten, Herr Oberleutnant.“
Stülps stand auf und schloß sich Wecker an, der, die Augen am Boden, feind-
wärts suchte.
Da hörten sie den Gefreiten Witte: „Ich habe sie, Herr Hauptfeld!“
Alles drängte heran, als Wecker die Handgranate entgegennahm und umständ-
lich und feierlich begann, den Topf vom Stiel zu schrauben.
Stülps mußte sie mit einem Fluch auseinandertreiben:
„Herrgott noch einmal, seid ihr Feldsoldaten, oder eine Hammelherde. .. . Machen
Sie schnell, Wecker. Es ist Zeit, daß wir wegkommen.“
Wecker streckte ihm stumm den Stiel der Granate entgegen. In der oberen Aus-
bohrung fehlte der Brennzünder. Statt seiner steckte zusammengerollt ein Stück
Papier darin, das unverkennbar von einem Meldeblock stammte.
Da war er, der umkämpfte Plan der deutschen Minensperre.
Wecker reichte dem Oberleutnant beide Teile der Handgranate. Er wandte sich
ab. Vier seiner Leute hauen inzwischen den Hauptmann auf eine Tragbahre gelegt
und mit zwei zusammengeknüpften Zeltbahnen bedeckt.
Wecker schlug die Plane zurück, auf daß des Hauptmanns entrückter Blick das
zukunftfrohe zarte Licht der ersten, sachten Wintersonne -spiegeln konnte. Dann
hoben die Pioniere, ohne daß ein Wort gesprochen wurde und wie auf ein geheimnis-
volles Einverständnis hin die Bahre an.
Niemand bemerkte, daß in das rollende Rauschen des deutschen Feuers ein neues,
helles Dröhnen sich mischte, und wie halbhohe, schmutziggraue Säulen aus Schnee
und Sand vor, und jetzt hinter ihnen hochgeschleudert wurden und stäubend zerfielen.
Nur Stülps erkannte die Gefahr. An dem mechanisch gleichen Rhyth-
mus der Einschläge glaubte er zu erkennen, daß es sich um das Feuer



X?“1 A ;" N^rprod ,
Kezepts.
 
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