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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Witting, Walther: Die Behandlung der Aussteller
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Michel, Wilhelm: Der Raum als Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0248

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Die Werkstatt der Kunst.

Heft f8.

2^^

Oie OekancLlung cler Aussteller.
Im Herbst ;go? stellte ich zwei Bilder im Museum
Wallraf-Richartz in Köln aus: Dann richtete ich dahin die
Bitte, meine Sachen an den Runstverein zu Rassel, zu senden,
der nach vorheriger, allerdings zweimaliger Anfrage, da meine
erste Rarte vierzehn Tage unbeantwortet geblieben war,
sich zur Ausstellung bereit erklärt hatte. Mehrere Wochen
erfuhr ich nichts von meinen Bildern, weder, daß sie von
Köln abgegangen, noch, daß sie in Rassel angekommen
waren.
Endlich fragte ich in Rassel an und erhielt vom
Rastellan eine Rarte mit der Mitteilung, daß meine Bilder
bereits fünf Wochen ausgestellt seien und daß ich über die
Weitersendung verfügen könne.
Sofort bat ich, mir das eine der Bilder zurückzusenden,
das andere aber zur Thedy-Iubiläumsausstellung nach
Weimar weitergehen zu lassen, da inzwischen der Dezember
herangekommen war und diese Bilder bis zum 20. Dezember
irr Weimar sein sollten.
Wieder erhielt ich weder von Rassel noch von Weimar
Nachricht; als ich aber Anfang Januar ;yO8 von Weimar-
ans einen gedruckten Ratalog der Thedy-Ausstellung erhielt,
in dem das von Rassel hinbeorderte Bild neben einem
anderen von mir, das ich direkt gesandt hatte, aufgeführt
war, glaubte ich alles in Ordnung und nahm an, daß
wegen des gesteigerten Weihnachtsverkehrs das von Rassel
direkt an mich zurückerbetene Bild, das noch nicht einge-
troffen war, eine Verzögerung erlitten habe.
Da erhalte ich plötzlich Mitte Januar aus Weimar
eine Rarte des Inhalts, daß sich erst jetzt (d. h. bei Auf-
lösung der Thedy-Iubiläumsausstellung) herausgestellt habe,
daß das Bild aus Rassel gar nicht eingetroffen sei.
Also: bei einer Ausstellung von 65 Bildern wird
während ihrer ganzen Dauer das Fehlen eines Bildes, das
angemeldet ist und im Ratalog gedruckt ist, nicht bemerkt!
Ich frage in Rassel an mit der Bemerkung, daß ich
Anfang Dezember über die Bilder verfügt habe und erhalte
vom Rastellan, der offenbar dort die Direktorialgeschäfte
führt, kurz per Rarte die Mitteilung, „daß meine Bilder-
sieben Wochen ausgestellt gewesen seien und daß es nur
der Mitteilung bedürfe, wohin dieselben weitergesandt
werden sollten." Meine frühere Verfügung und deren An-
führung in der letzten Rarte blieb unerwähnt. Hätte der
Rastellan die erste Rarte nicht erhalten, so hätte er doch
jedenfalls im Gefühle des guten Gewissens mir sofort ge-
schrieben, daß er bisher keine Nachricht erhalten habe. Bo
aber schweigt er sich gänzlich aus, da er die Bache jeden-
falls verbummelt hat und wird nun wohl nachträglich er-
klären, daß meine erste Verfügung nicht in seine Hände
gelangt sei. Jedenfalls sind von der Weimarer Ausstellung
ebenso wie vom Rasseler Runstverein, der übrigens „unter
dem allerhöchsten Protektorate Br. Majestät des Kaisers
und Rönigs" steht, die notwendigsten Pflichten gröblich
verletzt worden.
Wir Rünstler müßten Ankunfts- und Absendungs-
meldung kategorisch verlangen und diejenigen Ausstellungen
einfach nicht beschicken, die sich dieser Forderung nicht fügen.
Dresden. W.
Oer Kaum als Kunstwerk.*)
von Wilhelm Michel.
An das Ende der Ueberschrift hätte ich statt eines
Punktes auch ein Fragezeichen setzen können. „Der Raum
als Runstwerk" gehört zu den Schlachtrufen, mit denen das
moderne Runstgewerbe vor zehn Jahren auszog, die Welt
zu erobern. Heute, da dieser Feldzug in der Hauptsache
gelungen ist, macht man sich daran, die Programmfanfaren,
die anfänglich so begeisternd wirkten, sachte zu revidieren.
Rünstler haben am Anfänge der Bewegung gestanden.

*) Aus den „Amtlichen Mitteilungen der Ausstellung München ^908".

Denn so eifrig sich heute das Geld, das vorsichtige, miß-
trauische Geld, an das neue Runstgewerbe herandrängt,
inan darf nicht vergessen, daß die Bewegung rein aus der
Idee stammt, nämlich aus dem Bedürfnis, den Zeitgeist
im Apparat des täglichen Lebens auszuprägen. Nur Rünstler
konnten dies als eine Notwendigkeit empfinden; sie waren
daher das Werkzeug, dessen sich der Zeitgeist zu seiner
Belbstdarftellung auf gewerblichem Gebiete bediente.
Die Rünstler sahen sich also vor die Aufgabe gestellt,
aus einer ihnen ungewohnten Rlasse von Stoffen (Material,
Ronstruktion und Zweck) etwas zu gestalten, was bis dahin
nur mangelhaft gestaltet war. „Gestaltung" wurde gleich
„Kunstschaffen" gesetzt, und so entstand der Begriff des
Innenraumes als Runstwerk.
Uns allen, die wir das letzte Jahrzehnt kunstgewerb-
licher Entwicklung miterlebt haben, ging dieser Begriff zu-
nächst glatt ein. Als vor Jahren Altmeister Thoma ein-
mal grollte, er für sein Teil wolle nicht in einem
Runstwerk wohnen, da begegnete er in allen Rreisen,
die das junge Runstgewerbe mit Teilnahme verfolgten,
einem mitleidigen Lächeln. Es gab eine Zeit, da mancher
Parteigänger des jungen Runstgewerbes sich die Frage, ob
nicht die Erfindung eines hübschen Stuhles mit den höchsten
künstlerischen Produktionsweisen auf gleicher Stufe stehe,
ernsthaft überlegt hätte. Allmählich stellte sich dann der
Irrtum, der in dem Begriffe „Raum als Runstwerk" lag,
heraus. Wenn Raumgestalten Kunstschaffen ist, so argu-
mentierten kühne Geister, dann bietet sie zur Auslebung
des schöpferischen Individuums allen Anlaß; ja, sie macht
dieselbe geradezu zur Pflicht. Die Folge war, daß Raum-
gebilde entstanden, in denen das Subjekt des Schöpfers die
beherrschende Rolle spielte. Es drängte sich mit barocker
Deutlichkeit hervor und gab gewissermaßen zu erkennen,
daß die Persönlichkeit des Bewohners neben ihm
selbst nur geduldet sei. Da gab es Schränke, die kostbar
taten wie die Tempel griechischer Mysterien, Stuhllehnen,
die ganze Romane erzählten, Schnitzereien, aus denen mit
einiger Phantasie fünfaktige Dramen herauszulesen waren.
Möbel entstanden, die erst eine ganze Reihe von Ansprüchen
an den Bewohner stellten, ehe sie sich in ihre dienende
Rolle bequemten.
Daher kam der Umschwung. Mari begann, im Worte
Runstgewerbe den Bestandteil „Kunst" mit kritischen Augen
anzusehen. Man begann einzusehen, daß bei einem Raum-
gebilde in erster Linie praktischer Sinn und Geschmack von-
nöten sind, Eigenschaften, aus denen niemals ein Runst-
werk, wohl aber brauchbare, feine und gediegene Sachen
in Menge hervorgehen können. Man sah ein, daß das
Runstgewerbe, soweit es eben dem täglichen Leben dient,
mit der Kunst nur durch Personalunion verbunden war,
infolge einer seltsamen, beispiellosen Konstellation der Zeit-
läufte, die das Eingreifen der Rünstler notwendig machte.
Heute sind wir so weit, daß wir starren Individua-
lismus im Raumgebilde überhaupt nicht mehr er-
tragen und nach Räumen verlangen, die nicht schon in
der Ausstellung „fertig" sind, sondern die erst der Bewohner
fertig und persönlich macht.
Gewiß, Künstler waren es, die zuerst auf die Stimme
der Zeit horchten und ihr Verlangen nach umfassenderer
Selbstdarstellung verstanden. Rünstler haben eben feinere
Ohren für solche Dinge. Aber als sie sich daran machten,
jenes Verlangen zu stillen, da waren sie nichts als Lehrer
des Handwerks. Sind geschmackvolle Disposition, kluger,
materialgemäßer Aufbau und zweckentsprechende Gestaltung
etwa integrierende Bestandteile der künstlerischen Produktion ?
Ich glaube nicht. Die Kunst schöpft aus ganz anderen
Ouellen. Lehrer waren die Rünstler, und wie ihre An-
regungen gefruchtet haben, das läßt sich aus dem Formen-
vorrat jedes intelligenten Schreinermeisters der Gegenwart
abnehmen. Was vor zehn Jahren noch mit mancherlei
Zweifeln ersehnt wurde, ist heute vollendete Tatsache ge-
worden: Jeder intelligente Handwerksmeister be-
sitzt einen Schatz an Formen, der es ihm möglich
macht, eine ganze Reihe der regelmäßig wiederkehrenden
 
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