Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

DOI Artikel:
Ratzka, Arthur Ludwig: Einiges über Porträtmalerei
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0276

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
27 ch Die Werkstatt der Kunst. Heft 20.

Hut zwar, den Anzug, die Haar- und Barttracht und
sogar einen großen Teil seines Denkens und seiner
Gewohnheiten hat er wohl häufig mit unzähligen
gemein, die gleichzeitig mit ihm in derselben Stadt,
demselben Landstrich wohnen, aber die prozentuale
Zusammensetzung selbst nicht origineller Eigen-
schaften in ihm ist es, was ihn zum Einzigen macht.
Alle die körperlichen Eigenschaften, die er mit
tausenden gemein hat, kennzeichnen den Einzelnen
nicht genügend und sind daher nur notwendige
Nebensachen. Es kann ein Kopf allein schon
ein Porträt sein, aber das Bild eines jungen Mannes
in ganzer Figur, der in der dunklen Sophaecke mit
gekreuzten Beinen sitzt, den Kopf ins Dunkel zurück-
gelehnt hat und ihn womöglich noch zum Teil mit
der Hand verdeckt: das kann eine nachdenkliche, eine
Verdauungsstimmung sein, man kann es wie immer
nennen, nur nicht Porträt!
„warum nicht? er sitzt immer so da!" — Za,
aber sein So-dasitzen an sich ist eine so geringfügige
Handlung, daß sie keine Erwähnung, am wenigsten
bildliche Verewigung verdient, sofern es sich um die
Absicht handelt, ein Porträt zu malen, denn für
sich genommen kann die Bache malerisch und
malenswert sein.
Die Handlungen des Menschen sind stets dem
momentanen Bedürfnis entsprechend und daher stets
wechselnd und seine Kleidung ist auch nichts für
immer Feststehendes, so daß wir zu dem Schlüsse
kommen müssen: keine Handlung, keine Kleidung,
keine Pose ist für ihn erschöpfend charakteristisch- als
Hauptsache bleibt nur sein Geistes- und Seelenleben.
Häufig liest man: „Dieses Bildnis ist so hervor-
ragend, weil es unseren großen F. nicht mit der
landläufigen Aehnlichkeit in einer zufälligen Pose
darstellt. Ls ist viel mehr als sein Porträt, es stellt
einen Typus dar: es zeigt uns in ihm den großen
Strategen (oder Diplomaten, Künstler usw.)." —
Das ist nun das lächerlichste und ärmlichste, was ein
Dialer bei seinem Porträt anstreben kann. Er bringt
es auf eine solche Höhe der Charakteristik, wie der
Schauspieler in der Maske einer Geschichtsgröße:
das ist ja doch bloß das Bild der naivsten
Vorstellung über den Mann, und nicht der
Mann selbst! Das ist auf der Bühne zulässig und
sogar nötig, daß ein gewisser Begriff personifiziert
wird, weil es sich höchstens um wahrscheinliche,
nicht aber um wirkliche Menschen handelt und weil
nicht das reale Leben des betreffenden wiedergegeben
werden soll, sondern eine Dichtung über ihn, seine
Beseelung also aus der Phantasie des Dichters stammt.
Man mag es versuchen, sich irgendeinen hervor-
ragenden Menschen, selbst mit Hilfe der Photographie,
vorzustellen: bei der ersten näheren Berührung mit
ihm muß man zugeben, daß er ganz anders ist,
als man sich ihn dachte. Folgt hieraus nicht, daß
all das auf dein Bilde eines Großen falsch ist,
worauf man sagen kann: so stelle ich ihn mir
vor, darin erkenne ich ihn?! Dian könnte auf

die Frage „was ist ein Feldherr?" nach solchen
typischen Darstellungen etwa antworten: Lin Mann,
der zornig in die Ferne blickt, die Rechte am
Säbelknauf hält und das rechte Bein vorstreckt.
— Nein, nein, die Natur hat eine viel größere,
mannigfaltigere Phantasie, als wir sie haben. Der
Feldherr, den sie schuf, ist keine Befehle gebende,
zornig blickende Ncchenmaschiene, sondern Mensch
von Fleisch und Blut, und er hat rein zufällig mit
sämtlichen Feldherrn der Welt gar nichts, aber auch
gar nichts gemein, als daß er auch ein kluger
Mann ist, wie sie alle, und aus gewissen Voraus-
setzungen sichere Schlüsse zieht. Aber sonst nichts!
wie in der öden Denkmalsplastik, wo sogar
der Schwan als Sinnbild der Musik herhalten muß,
nach dem abgeleierten Worte vom „Schwanengesang",
hat auch so mancher Porträtmaler seine Requisiten-
kammer, aus der er je nach Bedarf die Charakteristik
des Standes des Einzelnen hervorholt: der: Schreib-
tisch, die Bibliothek im Hintergrund, das Buch in
der Hand, oder die Geige, den Pinsel und die
Palette usw.
„Man soll aber doch erkennen, daß dieser ein
Staatsmann, jener ein Künstler usw. ist!"
wozu denn? warum sollte sich das dem Be-
schauer im Porträt mehr aufdrängen als im Leben?
Zst nicht der Staatsmann, der Feldherr, der Gelehrte
usw. vor allem Mensch? Zst seine Seele nicht ein
so kompliziertes Ding, daß diese Berufsfunktionen
mitunter sogar bloß einen geringen Teil ihrer Viel-
seitigkeit in Anspruch nehmen? — Zst es nicht eine
Armseligkeit, eine Puppe zu malen in der auf der:
„Welt bedeutenden Brettern" geläufigen Pose des
Eroberers, während man etwas ganz anderes, viel,
viel mehr vor sich hat: den Napoleon?!
Zn den meisten Porträts hervorragender Männer
sieht man, was sich der Maler unter diesem oder
jenem Großen vorstellte, nicht aber, was diese tat-
sächlich waren.
Und merkwürdig: während man sich mit der
nebelhaften Ferne der biographischen Bilder
großer Männer nicht begnügen will und jedes noch
so unwesentliche Briefchen mit einer oft an Scham-
losigkeit grenzenden Zndiskretion an die Geffentlich-
keit zerrt, um ihr „Zch" immer individueller zu be-
leuchten, schätzt inan die nebelhafte Ferne typischer
Darstellung im Porträt gerade recht hoch.
welchen Zweck hat dein: das Porträt? Gewiß
auch den, ein schön komponiertes, gut gemaltes Bild
und so ein schöner Zimmerschmuck zu sein; aber doch
erst in letzter Linie, dein: zuerst kommt doch wohl
das bildliche Festhalten des Ewige:: in: Meisichen,
der Menschenseele!
wie nahe, gute Bekannte sprechen uns die
Bildnisse gewisser Niederländer an, während wir vor
hunderten sogenannter „berühmter" Porträts nur
mit der unserer „Bildung" schuldigen Ehrerbietung
stehen und einige leere Phrase:: gequälter Bewunderung
äußer,:.
 
Annotationen