Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wieland: Zeitschrift für Kunst und Dichtung — 1.1915-1916

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19577#0089
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mein Gewehr ist ein verschlafnes Liebeslied. Wir liegen in Reserve. Reserve hat Nuh.

MeineHändezittern, alswennsie etwasstreichelnmüsttbn. Es kreist Gesang und Flasche.

Wer weist, was morgen geschieht! Wir sehen dem Wehen des Windes zu.

Heute blüht Frühling an den standrischen Küsten. ssemand hat ein Spiel Karten in der Tasche.

Sterne! Brüder! Geliebte! Wir liegen verstreut
in den Dünen wie in den Falten des Himmels,
erglänzen: heut

Ameisen eines goldenen Gewimmels.

Leden Lm KrL

von E. von Schmidt-Pauli

Die Kapelle von Vaudoncourt

ine kleine, morsche Kapelle vor dem Dorf. 2hre sanften, schönen
Augen, die blauen Kirchenfenster, sind zerschossen. Der eisige
Wind pfeift in den kleinen Raum, versucht in den schweren, be-
malten Seiten des Mestbuches zu blättern und spielt um den weißen
Altarbezug.

Feden Morgen um Uhr stapft in der Kälte durch den Schnee
der alte sranzösische Cure dort hinaus. Seine Dorfkirche haben
wir in ein Lazarett verwandelt. Er aber will seine Messe lesen, wie
die Vorschrift es verlangt, und ist ehrgeizig wie ein alter Iäger,
der erste am Hlatze zu sein. Denn später kommen unsere Feld-
geistlichen und halten ihre Andachten.

Niemand von seiner Gemeinde ist mehr im Dorf. Kein Küster,
kein Ministrant — keine arme Seele. Denn die Einwohner sind
teils gestohen, teils abtransportiert worden, wegen der Bähe des
Feindes.

Er aber blieb — ein weisthaariger Kapitän auf seinem Schiffe.
Doch — eine Seele ist mit ihm geblieben. Ein taubes altes Mütter-
chen wackelt hustend mit ihm durch den Schnee, glättet das weiße
Altarlinnen, entzündet mit zitternden Händen zwei Kerzen und
murmelt von ihrem Holzschemel aus die lateinischen Antworten auf
die Gebete des Hriesters. Ieden Morgen wandern dann die beiden
Alten heim und lassen sich tagsüber nicht mehr blicken. Nur abends,
wenn es dunkel ist in den halbzerschossenen Gassen, malen sich auf
dem erleuchteten Fenstervorhang im Hfarrhause zwei Schatten-
bilder ab — zwei fast unbewegliche Köpfe.

Eigentlich wohnte die Alte — so erzählte mir der junge Abee

von dem benachbarten Schlosse — am andern Ende des Dorfes.
In früher Fugend hatten sie sich geliebt. Dann kam die alte Ge-
schichte von den törichten Eltern, von der Tochter des reichen
Bauern und dem Sohne des Hirten. Kurz, sie hatten verzichtet. Er
wurde Hriester und kam in späten Iahren in sein Heimatsdors. Nun
aber, da alle ihn verlaffen hatten, er einsam war und hilflos, war
sie zu ihm gezogen und ist ihm, so gut die alten Glieder es ver-
mögen, Haushälterin, Küster und Gemeinde zugleich. —

So hat der Krieg mitten in seiner alles niederreißenden und tren-
nenden Flut, auf der Hoffnungen unsicher schwanken wie ferne
weiste Segler, hier in seltsamer Laune für zwei Menschen eine stille
Insel geschaffen.

Als wir das Ouartier wechseln mustten, ritt ich eines Mor-
gens zum letzten Male mit meinen Kürassieren an der kleinen Kapelle
vorüber. Die Sonne schien gerade in das zerbrochene Fenster
hinein. Viel Lärm war mit uns, Singen, Geklirr von Waffen und
das Klappern der Hufe, der ganze Atem heisten Neiterlebens vor
der Schlacht.

Drinnen aber war Stille und Versunkenheit — wie auf einem
alten Kirchenbilde.

Der priester im Ornat hob gerade den goldenen Kelch im Licht
empor, und der Blick seiner Augen war nicht von dieser Welt des
Haders und der Leidenschaften.

Hinter ihm im Schatten zeigte die Alte den Kopf. Nur auf ihren
zitternden Händen ruhte das Licht der Sonne, als wollte sie es
warm und segnend umfassen.


2
 
Annotationen