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Wieland: Zeitschrift für Kunst und Dichtung — 1.1915-1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.19577#0107
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(Fortsetzung von Seite 4)

schon rvie mit einer Keule mitten ins Gesicht ... ich reiße die Hände hoch
... ich falle ... ich ... ich greife ... ich stürze zu Boden und verliere die
Besinnung.

Uber mir rasen Mord und Brand!

Um mich Dunkel und Vergessenheit ... Bein, da stand Perseus mit
dem Gorgonenhaupt mitten unter den dräuenden Feinden und hielt es
mit beiden Händen hoch . . . und hielt es hoch, steif und starr, immer
hoch ... Und dann, langsam wellt es sich zwischen den steinernen Gästen,
die Kolosse brodeln ... und dann auf einmal stürzen Himmel und Erde,
perseus und seine Feinde zu einem wüsten Chaosdurch-und ineinander...
Die ganze Welt quirlt in meinem Kopf. . .

Ein heftiger Kopfschmerz brachte mich zur Besinnung. Ich öffne die
Augen und schaue ... in das Gorgonenhaupt. Einen halben Meter liegt
er vor mir, direkt vor mir, und ich halte den Kopf gar mit beiden Händen
fest, daß die wilden, starren, glühenden Augen mich anbohren ... Und sie
halten mich fest, ich kann nicht von ihnen los . . . Ich tue einen Schrei,
so entsetzlich und qualvoll, wie ihn nur die höchste Marter ausstötzt. Und
wohltätig schlägt die Bacht wieder über mich zusammen.

Als ich wieder aufwache, finde ich mich wohl gebettet in einer
Scheune auf einem Bündel Stroh. Vor mir mein Bursche, noch mit
einem kalten, kühlenden Lappen in der Hand. Uber mein rechtes Auge
ist eine Binde gelegt.

„Ba, Fritz!" sage ich und sehe mich scheu um . . . „mir war's, ich

sei in anderer Gesellschaft gewesen. Ich muß mich erst wieder zurecht-
finden..."

„Ia, das war eine dumme Geschichte," sagte der Bursche, „daß der
Kramsow auch gerade vor dem Herrn Leutnant herspringen mußte ..."

„Na, und!" munterte ich ihn auf.

„Da hat ihm eine Granate den Kopf weggerissen, und der ist dem
Herrn Leutnant gerade ins Gesicht geflogen ..."

„Ah! das Gorgonenhaupt", sage ich vqrständnisvoll.

„Da sind der Herr Leutnant hingeflogen und haben den Kopf ge-
schnappt und ihn mit beiden Händen festgehalten . . "

„Wie ist's denn mit meinem Auge", fragte ich besorgt.

„Das ist verquollen und darüber ist die Haut zerrissen . . ."

Ich sah vor mich hin . . . „Der arme Kerl!" entfuhr's mir.

Mein Bursche bezog den Ausruf recht. „Ia, der ist noch drei Schritte
ohne Kopf gelaufen und dann erst hingestürzt. Die Franzosen haben ge-
schrien und wie wahnsinnig die Hände hochgereckt."

„So ist die Höhe genommen!?"

„Genommen, Herr Leutnant! Der Feind ist auf der Flucht."

Befriedigt schlotz ich die Augen ... Nachher habe ich mir das Gefechts-
feld noch einmal angesehen und auch den Körper des armen Kramsow her-
ausgesucht, seinen Kopf herbeigeholt und für ein bravesBegräbnisSorge
getragen . .. Und dann habe ich mich an den Hügel gesetzt und die lehte
Iigarette, seine Zigarette geraucht, andächtig und still, ihm zu Ehren!...

Schuh der X u n N denk m ä! cr Lm Kriege

von Wilhelm von Bode

st^ls gleich m den ersten Tagen des Krieges die Eroberung
eines großen Teils von Belgien auster Zweifel war
und die Fortsehung des Kampfes innerhalb des noch nicht
besehten Teiles von Betgien wahrscheinlich wurde, beeilten
sich die Vorstände der Museen und Kirchen des Landes,
ihre Kunstschähe in Sicherheit zu bringen. Aber wo? Die
Verleumdungen unserer Feinde, die die Deutschen als
Näuber und Kunstschänder brandmarkten, suchten den Bel-
giern einzureden, dast die Kunstwerke innerhalb des Landes
den Deutschen zweifellos in der einen oder andern Weise
zum Opfer fallen würden, nur auf der andern Seite des
Kanals würden sie in Sicherheit sein. Diesem väterlichen
Zureden waren, so hiest es damals, die Belgier gesolgt,- der
Eycksche Altar aus der Bavokirche in Gent, die grosten Altar-
werke der Kirchen in Mecheln, Antwerpen und Brügge, die
Kirchenschähe und die besten Gemälde der Galerien dieser
Städte waren nach der Versicherung der ausländischen
Zeitungen den treuen Freunden in England zur Aufbe-
wahrung anvertraut. Ats nach wenigen Wochen auch diese
Städte erobert waren und das deutsche Gouvernement sich
beeilte, auch hier für die Erhaltung der Kunstwerke alle not-
wendigen Schritte zu tun, ergab sich, dast die Zeitungen der
Verbündeten darin ebenso geflunkert hatten wie in ihren
Siegesberichten: dieLokalbehordenhatten denVerlockungen
der Engländer widerftanden,- dast die Kunstwerke in Eng-
land sicher aufgehoben gewesen wären, hatte man wohl
nicht bezweifelt, aber ob ste je wieder nach Belgien zurück-
kehren würden, darüber scheinen die Belgier selbst doch
recht unsicher gewesen zu sein. Die Kunstwerke wurden da-
her von unsern deutschen Kommiffaren noch an Ort und
Stelle, in Kellern und feuerfesten Schränken gestchert,

vorgefunden und sind längst, soweit nicht die Gefahr vor
Beschädigung durch die Luftschiffer der Belgierfreunde dies
verhindert, in den Museen wieder zurAufstellung gekommen
und zugänglich gemacht.

Bei unsern „Bundesgenoffen" jenseits der Alpen, die
niemand bedroht, hat schon seit längerer Zeit die Sicherung
der Kunstwerke vor eingebildeten oder erwünschten Feinden
begonnen. In Oberitalien, namentlich in Venedig und im
Venezianischen, hat man die Oürme mit Sandsäcken gegen
Bomben zu sichern geglaubt, beginnt man die wertvollsten
Gemälde in die Keller zu bringen und sucht die hervor-
ragendsten Kunstwerke aus den kleineren Orten in die Haupt-
städte zu retten. Aber dabei geht es der italienischen Re-
gierung wie es den Engländern bei ihrem großmütigen
Anerbieten der Rettung der betgischen Kunstwerke mit den
Belgiern gegangen ist,- lieber will man die teuren Schähe
der Gnade und Angnade der „Barbaren^ aussehen als
der Fursorge der Regierung in Venedig oder Mailand,
denn — werden ste von dort je wieder zurückgeliefert werden?
Wird man nicht glauben, dast Giorgiones herrliche Altar-
tafel mit den Heiligen Georg und Franz in der Akademie
von Venedig weit bessere Figur machen würde als in der
kleinen Kirche des Städtchens Castelfranco? So sagten sich
die Väter dieser Stadt, als die Generalverwaltung der
schonen Künste in Rom sich des Bildes vorsorglich an-
nehmen wollte, um es in der Akademie zu Venedig stcher
unterzubringen. Vielleicht dachten die einfachen §eute des
Landstädtchens in der provinz auch: Wo stnd denn die
Feinde, die uns bedrohen? Und wenn ihr sie ins Land zieht,
werden die „Barbaren^ nicht unsere Schähe ebenso schonen
und uns belaffen, wie sie es Ln Belgien getan haben!

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