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Wieland: Zeitschrift für Kunst und Dichtung — 1.1915-1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.19577#0208
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Franzosen stürmen gegen einen Schühengraben

(Fortsetzung von Sette 2)

O du gerechter Gott! Hör' unser Flehen,

Du Gott des Steges, Gott der Ntederlagen,

Der Mensch halt nur die Ruder als dekn Lehen,

Du hältst den Sturm, kannst segnen und versagen,

Die hohlen prahler, dke nur pläne machen,

Wkrst du mit einem Wink zu Boden zrvingen.

Den Geist der Nache wirst du nkcht verlachen
Und wahren Mut muht du zum Siege bringen.

Wir werden, ja, wir werden sie besiegen,

Blast, blast zum Sturm und laßt die Fahnen fliegen.

Niemals blickte Korporal petit beim Heimgang von solch einem vater-
ländischen Fest, an dem er zum so und so vielten Male diesen Kriegs-
gesang von sich gespuckt hatte — denn )e älter er wurde, je weniger konnte
er seinen Speichel beherrschen — ,zum Himmel empor. Niemals bedachte
er, daß dort über und untcr ihm Myriaden von Sternen kreisten, auf
denen Myriaden von Völkern wohnten. Niemals sragte er sich, ob es
nicht kleinlich sei, dieser einzigen beschränkten fixen Idee mit der Leiden-
schast eines Besessenen nachzuhängen. Er stierte unentwegt auf einen
punkt, auf das schwarze Loch, darin seiner Meinung nach das stolze, das
unbesiegte Frankreich von ehemals, begraben lag und der Stunde der
Auferstehung entgegenfieberte. „Wenn ich es nur noch miterleben, mit-
erkämpsen kann." Das war sein einziges, sein letztes Gebet, das war der
große Schmerz, mit dem er schließlich, lange ehe der Krieg, wie eine oft
geriebene Beule, ausbrach, aus seinem nationalen Dasein verschwand.
Das Gefühl der unbefriedigten Rache nahm er mit sich in die Gruft, in
die man ihn nach seinem Tode in seinem Heimatstädtchen versenkte. Sein
Testament schrieb vor, daß man ihn in seiner Uniform, angetan mit all
seinen militärischen Ehrenzeichen und in die dreifarbige Fahne eingehüllt,
in die geliebte Erde Frankreichs betten sollte. Man erfüllte seine letzten
Wünsche. Fa, man begrub ihn sogar, da er, ein kinderloser alter Witwer,
sein erspartes Geld dem Staat zum Besten der patriotischen Iugend-
vereine vermacht hatte, ganz in der Nähe des Kriegerdenkmals von 18V0,
das am Eingang des Friedhofes stand, zum Zeichen der Anerkennung

seiner Vaterlands-
liebe. Dort lag nun
der Korporal petit
und verrostete wie
der Säbel an seiner
Seite. Doch noch im
Sarge schien es ihm
im wahren Sinne
des Wortes zu wur-
men, daß er seine
gewaltsam verkürzte
Soldatenlaufbahn
nicht in demRuhmes-
glanz eines neuen
Krieges mitDeutsch-
land hatte beendigen
können. Die Schan-
de der einstigen Ge-
fangennahme wäre
dann mit dem Blut
der Feinde, die er
niedergemacht, von
seinerStirngewischt
worden. Und eswar,
als ob es ihm im
Grabe keine Ruhe
gelassen hätte, wie
nun endlich der Ra-
chekampf, nach dem
er sein Leben lang
die Ohren und den
Degen gespitzt hatte,
ausgebrochen war.
Er mußte sich noch
beteiligen, eswargar
nicht möglich, daß er
ruhig unter der Erde
blieb, als überihrum
sein Vaterland, um
die Ehre, die Fahne
cv ^ und alles, was ihm
^ das Höchste gewesen
war,gestritten wurde.

Das Städtchen, auf dessen Friedhof er begraben war, lag im Mittel-
punkt des Kriegsschauplatzes und wurde mehrfach heftig umkämpft.
Schließlich, als es schon stark zerstört und von der Einwohnerschaft ganz
geräumt war, beschossen die Franzosen es noch einmal so gründlich, als
ob sie gemeint hätten, der Deutsche Kaiser sei samt dem Kronprinzen und
allen Generalen dort eingezogen. 2n Wirklichkeit lag kaum ein halbes
Bataillon Württemberger dort auf Vorposten. Und auch dies bekam
sofort den Befehl, sich zurückzuziehen und in Deckung zu bringen, als
das Bombardement einsetzte. Törichterweise verspätete sich eine Kom-
pagnie, die in der Kirche gelegen hatte, dank der Saumseligkeit ihres
Hauptmanns, der zu den im Kriege doppelt gefährlichen Leuten gehörte,
die alles besser wissen wollen. Sie brach erst in der Morgenftühe auf, als
dieBeschießung, die in derNacht geruht hatte, verstärkt von neuem losging.

Infolgedessen bekam sie noch etwas von den Granaten der Franzojen
zu verspüren, die sich mit der ihnen eigenen Zielsicherheit blitzschnell auf
den Kirchturm einschossen, auf dem sie deutsche Beobachtungsposten ver-
muteten. Es gab vierTote, einen durch einen Granatsplitter schwerVer-
wundeten und mehrere, die durch die herabfallenden Balken oder Steine
von der Kirche leicht verleht worden waren. In dem ärgerlichen bastigen
Aufbruch vergaß man auch den Schwerverwundeten oder nahm ihn schon
für tot, weil er wie betäubt dalag. Erst als die andern abgezogen waren,
kam er langsam wieder zur Besinnung. Er tastete hinten auf seinen
Nacken, wo er einen tiefen Schmerz empfand und merkte, daß sein
warnws Blut herunterrieselte. Fortwährend stürzten indessen Bretter,
Mörtel und Dachschiefer in das Schiff der Kirche nieder. Der Altar war
schon ganz zertrümmert. blnd wo sonst derWeihrauch in bläulichenMngen
um das Allerbeiligste zog, kreiste jeht eine häßliche Staubwolke von dem
herabgefallenenBauschuttumdiezerbrochenenHeiligenbilder.DieBronze-
kette, daran die ewige Lampe gehangen hatte, jchwebte leer und traurig wie
ein Strick, von dem man einen Erhängten abgeschnitten hat, hin und her.

Der arme Verwundete, der ein strenggläubiger Katholik war, begann
sich in diesem hoben Raum, der so gräßlich entweiht wurde, zu grausen.

(Forlsetzung auf Sette 6)

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