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Wieland: Zeitschrift für Kunst und Dichtung — 2.1916-1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.25540#0219
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Soldatenkunst

(^chldatenkunst" — ein Wort, das nicht in Harmvnie zu klingen scheint! — Ist
nicht Soldat das Ernsteste und Bedeutungsschwerste unserer Zeit, ein
starres System der Vernichtung, um neue Werte zu erobern? Heißt nicht Soldat
sein: Uniform tragen und in gewissem Sinne uniform sein? — All das ist gegen-
sätzlich Zu der Oase im Staube des Alltags zu dem schmückenden, veredelnden
Beiwerk des Lebens, als die wir echte Kunst empfinden. Und doch hat sich der
Begriff „Soldatenkunst" in diesen Zeiten verschmolzen, wie heitere ziselierte
Arabesken auf einer unfriedlichen eisernen Rüstung.-^

Es ist von Fachleuten und solchen, die es sein möchten, viel sür und wider
darüber geredet und geschrieben worden. Hier aber sollen keine Namen genannt
und Verdienste hervorgehoben werden, sondern die Bestrebung an sich von der
Seite ein wenig beleuchtet werden, die einen erzieherischenund kulturellenWertzeigt.

Eine wirkliche Volkskunst besitzen wir, um ganz ehrlich zu sein, nichk. Mit
dem Bekennen dieser Tatsache ist dem deutschen Volke kein Lorbeerblatt aus seiner
Krone genommen, höchstens eine bunte sinnige Blüte. Das Volk ist eigentlich
auch unschuldig daran, denn dieser Mangel, besonders im Vorden, liegt in seiner
geschichtlichen Zersplitterung, seiner politik und seiner früheren Armut begründet.
Zudem fehlt dem unvermischt ger-
manischen Volkscharakter das
Spielerische und die natürlich
künstlerische Geste der Romanen
und Slawen, die uns jetzt so grim-
mig hassen, weil wir eben nüch-
terner und disziplinierter sind wie
sie. 2n Süddeutschland findet man
wohl unmittelbare Ausdrücke von
Volkskunst, aber auch sie sind im
letzten Iahrzehnt sehr zu ihrem
Vorteil, von Künstlern, aus man-
cherlei moderner Verirrung in
echte, volkstümliche Bahnen ge-
leitet worden.

Soldatenkunst! — Sehr be-
scheiden fing es vor fast zwei Iahren
an, als der Krieg die Lazarette
füllte und jeder Tag ein ödes
Einerlei für all die Verwundeten
bedeutete und man, zaghaft und —
ach, wie oft — abgewiesen und an-
gefeindet, den jämmerlick ans Bett
Gefesselten kleine leichte Arbeiten,
die einenAnklang an Kunstgewerbe
hatten, brachte, und dieFeldgrauen
erst etwas erstaunt, aber dann eifrig
mit den Dingern hantierten, um
dann sehr stolz auf ihre Erzeugnisse
zu sein. Angeregt davon, entstan-
den !n diesen gutmütigen derben Soldatenfäusten dann aus eigener Initiative
heraus Gegenstände, Hurra- und anderer Kitsch schlimmster Sorte, mit denen man
eine Schreckenskammer des Geschmacks hätte möblieren können. Wie wohltätig,
seelisch und körperlich, das Arbeiten der Verwundeten sich auch erwies, so mußte
der Werproduktion der Gegenstände, die dem guten Geschmack Hohn sprachen,
bald eine Bremse geseht werden, denn sonst hätte man wohl in hundert Iahren
nichts Greifbareres von dem großen Krieg behalten wie Legionen versilberter oder
vergoldeter Flaschenvasen, auf Denen Hindenburgs truhig Kriegerhaupt ziemlich
verzweifelt aussah! Auch mußte verhindert werden, daß man aus wohltätigem
Mitleid und patriotischer Rührung sein Haus mit Dingen „schmückte", die jen-
seits von Gut und Böse waren.

Es soll hier nicht von den jeht in manchen Städten entstandenen großartigen
Lazarettschulen gesprochen werden, die eine ganze Wissenschaft aufbringen, um
steife Glieder durch geeignete Arbeiten gelenkig zu machen, verlorene zu ersetzen
und den 2nvaliden dem Leben und der Arbeit wiederzugeben. Sie müssen das
praktische und Handwerksmäßige betonen.

Anders liegt es für die kunstgewerbliche Beschäftigung der Verwundeten!n
den Lazaretten. Hier muß ohne Werkstatt gearbeitet werden, oft an den Betten,
und für jeden einzelnen gilt es, sich eine Arbeit auszudenken, die sekner Verwun-
dung, selner Bervenkraft und seiner Geschicklichkeit Rechnung trägt, seine Ge-
danken beschäftigt, ohne ihn schwächend zu ermüden. So bildeten sich Organisa-
tionen mit künstlerischer Leitung, meist vom Vaterländischen Frauenverein aus.

Wie sehr sie von Erfolg gekrönt sind, haben die Sachen der sein abgestimmten
Abteilung für Verwundetenarbeiten in der Kriegsfürsorge-Ausstellung Köln 1916
bewiesen, die sich sowohl als Form wie 2dee durchaus eigenartig materialecht und
volkstümlich zeigten.

Fast alle größeren deutschen Städte haben wohl nun eine solche Organisation,
und es ist sehr interessant, die verschiedenen, man möchte sagen „prägungen" der-
selben miteknander zu vergleichen. Hier im historisch stilvollen potsdam wurde
zwar auch mit dem üblichen Korbflechten begonnen, aber schon damals versuchte
man, den Dingen, auch den Gebrauchsgegenständen, eine weniger banale Form
zu geben. Es gab da unter anderm sehr aparte und praktische Teeständer und
dunkelgebeizte hohe Arbeitskörbe mit myrtengrüner Seide gesüttert, deren ele-
gante Form sie sehr besihenswert machten. Bald mußten die Rohr- und Weiden-
arbeiten wegen Beschlagnahme des Materials eingeschränkt werden, aber Bast
gab es noch, und angelehnt an die mohammedanischen Bastnähereien mit ihren
leuchtenden Farben, wurden in derselben Technik sehr feine Körbe, Schalen und
Dosen gearbeitet, worin es manche Soldaten Zu einer fabelhaften Fertigkeit
bringen. perlweben nach alten Mustern und Gobelinsticken hat manches schöne
Stück geliefert, wenn es auch nichts ganz Originelles war. Ietzt, wo das Mate-
rial überall knapper wird, hat sich in der richtig angewandten Schnitzerei und vor

allem in der künstlerischen Ver-
wertung der sonst verpönten Laub-
sägekunst ein Feld von unge-
ahnterWeite eröffnet. DieGegen-
stände, die in dieser Art gearbeitet
wurden, halten auch einer strengen
Kritik stand.

Neben allerlei Kinderspielzeug,
bayrischen Bauernstuben, Holz-
tieren, Wiegen,postkutschen, einem
großen Zirkus mit vielen wihigen
Figuren, alles einfach und wir-
kungsvoll bemalt, entstanden
Dinge von bleibendem künstleri-
schen Wert: ein Schattentheater
mit allen Figuren und Szenerlen
des „Kinderfauft", von denen jede
einzelne ein kleines gedankliches
und technisches Kunstwerk der
Sägerei ist und mit viel Humor
und Stilgefühl geschaut, — ein aus
siebzig Figuren bestehendes Kaf-
ferndorf mit naturgetreuer Fauna
und Flora, — Schachspiele, bei
deren bunter Grazie und Feinheit
man lang verweilen möchte, —
Boten- und Lesepulte, die mit der
alten 2dee viel typisch Deutsches
verbinden, und Lampenschirme, die
an silhouettierte Ridinger Stiche
erinnern. Der Zeit entsprechend, wurden Krippen!n derselben Technik gearbettet,
Soldatenkrippen, die, als Schattenrisse erleuchtet, still und feierlich wirken, und
größere Figurenkrippen in der alten deutschen naiven Art. Nber all dem liegt,
troh der Eigenart, etwas wie ein Hauch von Tradition — fast könnte man es
„friderizianische Luft" nennen, und das ist auf Friedrichs geliebter2nsel ja weiter
kein Wunder und macht uns die Dinge heimatlich und warm.

Doch was diesem, immerhin bescheidenen Anfang vorangegangen ist an
Kämpfen und Anfeindungen, gründlichster Arbeit und Bachdenken, tragischen
und humoristischen Episoden, das ahnt wohl keiner, der jeht irgendeinen Ver-
wundeten emsig und verständnisvoll an einem hübschen oder nützlichen Gegen-
stand arbeiten sieht, an dem er mehr und mehr Geschmack findet! Es ließe sich
ein ganzes Buch darüber schreiben, und es wäre nicht wenig unterhaltsam und
Menschenkenntnis lehrend. Aber noch sind wir selbst zu nah von den Gescheh-
nissen bedrängt, um schon genügend Distanz für die richtige Beurteilung einer
solchen Bewegung gewonnen zu haben.

Vielleicht ist es eine Utopie-aber jeht, wo die dritte eiserne Weih-

nacht vor der Türe steht und ihre Friedensglocken noch nicht Wahrheit ge-
worden, da muß der Mensch auch die winzigste und fernste Hoffnung nähren,
um Kraft als Rückgrat und Humor als Sonne sich zu erhalten, und da ist's
solch guter Friedensgedanke, daß vielleicht ^ vielleicht diese in Schmerzen er-
worbene Soldatenkunst der erste schüchterne Keim zu einer echten deutschen
Volkskunst geworden ist. — Nora von Keudell.

(Fortsehung der Gloffeu auf Sette 2H

St. Michael-Kuchen Erich Schilling

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