Frühmesse
Von Paul Zech
Die Luft, vora Regen ganz reingewaschen, steht in einem
grün-lila gefärbten Glas vor den Fenstern. liält Bäume,
ein Hinterhaus und eine Kurve der Straße zusammen.
Ich öffne (im übet die Brust gestreiften Hemd noch) einen
Flügel des Fensters. Wallungen Kühle stoßen die Gardine zurück.
Ich bade in den herben Strömungen. Die Poren frischen sich auf,
lufthungrige Zähne stoßen den Mund zurück. Eine lange, von
Unruhen getriebene, Nacht zischt erledigt in den Tag. Rideaus
brechen mit kaltem Gelärm aus den Mauern. Katze und Hund
wagen das Duett. Ein knalliger Hahn fährt dazwischen.
Die Augen flimmern vernehmlich—: Es wartet einer draußen!
Das Hirn erinnert sich nicht, wen herzugerufen zu haben. Doch
ein Sperling zeigt sich im Holz an, bei dessen lärmend gesträubtem
Gefieder ich an Roggenfelder, dort hinter den Föhrenkuppen
denke. Die Ernte schwimmt in schwarzen Frachten auf dem
Kanal. Der Steuermarm hat es in der Hand: jenseits oder dies-
seits der Grenzen zu landen. Er wird sich aber für den ent-
scheiden, der weniger Hunger, aber mehr Geld hat. Das ist eine
ganz natürliche Handlung. Warum steilen wir unsere nackten
Fäuste dawider? Wer glaubt uns den Hunger? Raucht nicht
der schlechte Torf fröhlich aus jedem Schornstein. Das Leben
diesseits der Grenze hat eben nur diese Seite. Wenigstens jetzt.
Die andere, die wir auch einmal besaßen, war freilich gescheckter.
Das Leben vor ihr roch nach Kanaan. Weiße Tauben flogen
ein und aus. Und der Böse fuhr in ein Rudel Säue. Dieser Fort-
schritt hatte das Klare gebracht.
Aber dein Herz?
Gott hatte nicht Wohnung darin. Berge Sattsein schatteten
den prüfenden Schlag zu Trägheit ließ Fett über das Ziffern-
blatt wuchern. Der Schlaf war stärker als jener Hauch von
Eden herab. Wir schliefen darüber ein.
Und ich weiß nicht, ob dieser Morgen ein Erwachen ist.
Es regt sich zwar in den Büschen. Es ist ein Nest mit gelben
Schnäbeln da.
Es ist eine Nebelwolke, die versinkt, und eine Brunnenfigur,
die hocbsteigt.
Es ist eine Frau, die Wäsche auf eine Drahtschnur hängt und
aufschreckt, wo sich Muskeln in den Hemdärmeln blähen.
Es ist ein Knabe, der harte Brotrinden aus der Tasche kratzt
und in den Kaninchenstall streu t. Wo früher weiße und schwarze
Schnauzen durchs Gitter schnupperten. Früher, ja!
J
Es ist eine Glocke, die wie aus Blecheimern schlägt. Und
doch hängt sie hoch im Turm und sagt eine neue Stunde an.
Wenn jetzt der erste Antrieb einer Greisin aus dem Hospital
kommt, Stelzfuß und Einauge auf der Treppe sich kreuzen —:
Ich mag nicht der dritte Kirchgänger sein. Die Glocke wird
auch zum Hochamt noch Wirbel haben. •
Wir sehen uns noch, sagt der letzte Schallstoß zum Abschied.
Dazwischen liegt ein schwarzes Vakuum.
Ich möchte aber lieber jener Weißhaarige sein, der dort hinter
der Brunnenfigur den Pflaumenbaum umhaut. Nicht, weilKälte
von den Wänden seines Zimmers trieft. Er sieht vielmehr die
breite Harzwunde zwischen den Gabelästen. Und darum muß
der ausgeblutete Baum weg.
Ich weiß, der Greis hat diese Pflaume vor zwanzig Jahren
mit Schmerzen gepflanzt. Und aus dem Wehleid Sonntag-
mittagsfreuden gezogen.
Schwer ist, sich von Freude zu trennen. Viele lassen das
wieder zu Schmerzen werden. Und haben eine Genugtuung,
die freut. Ich sehe, daß auch dieser Mann mit einem frohen
Lächeln die Axt schwingt.
Dieses Lächeln erlöst. Die Baumgrube wird Grab und Wiege.
Und über ein Kleines: Blätter werden freudeglänzen, ehe dein
Haus bestellt ist. Das kann nur an einem Morgen geschehen,
der ein Anfang ist und näher rückt.
Manchesmal haben nur Hunde Ahnungen von solchem Näher-
kommen. Da werden ihre Ohren Schalltrichter von noch ver-
hangenen Ereignissen.
Ich hebe den Kopf um eine Spanne höher. Die Schläfen
wollen Wilderes erfahren. Man lebt ja noch so weit rückwärts.
Sicher nicht das Gesicht von heute.
Was ist denn heute? Die Morgenweihe sprach immer so in
dem Blattbehang. Aus den Astantennen schlug das Feuer des
Taues an manchen Tagen schon stärker bis zu den Dachrändern
herüber, die wie sprachlose Lippen vorhingen, und ganz hinten,
wo das Gehirn klopfte, eine Aufnahmewalze sich spannte.
Mareia aber erschien nur, weil sie Zank mit einem der Tür
bei Tür wohnenden Weiber erwartete.
Das ganze Dach trägt die Schmuckwellen ihres Blond auf einem
purpurnen Samtkissen. Und doch steht zwischen den Augen eine
böse Falte. Ein leiser Schmerz: daß man so früh sie weckte.
Ich weiß, sie wird verstellte Antworten geben. Der böse
Bruder, das teure Waschgeld. Jeanettes pompöser Bauch. Die
Hände klatschen ineinander.
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Von Paul Zech
Die Luft, vora Regen ganz reingewaschen, steht in einem
grün-lila gefärbten Glas vor den Fenstern. liält Bäume,
ein Hinterhaus und eine Kurve der Straße zusammen.
Ich öffne (im übet die Brust gestreiften Hemd noch) einen
Flügel des Fensters. Wallungen Kühle stoßen die Gardine zurück.
Ich bade in den herben Strömungen. Die Poren frischen sich auf,
lufthungrige Zähne stoßen den Mund zurück. Eine lange, von
Unruhen getriebene, Nacht zischt erledigt in den Tag. Rideaus
brechen mit kaltem Gelärm aus den Mauern. Katze und Hund
wagen das Duett. Ein knalliger Hahn fährt dazwischen.
Die Augen flimmern vernehmlich—: Es wartet einer draußen!
Das Hirn erinnert sich nicht, wen herzugerufen zu haben. Doch
ein Sperling zeigt sich im Holz an, bei dessen lärmend gesträubtem
Gefieder ich an Roggenfelder, dort hinter den Föhrenkuppen
denke. Die Ernte schwimmt in schwarzen Frachten auf dem
Kanal. Der Steuermarm hat es in der Hand: jenseits oder dies-
seits der Grenzen zu landen. Er wird sich aber für den ent-
scheiden, der weniger Hunger, aber mehr Geld hat. Das ist eine
ganz natürliche Handlung. Warum steilen wir unsere nackten
Fäuste dawider? Wer glaubt uns den Hunger? Raucht nicht
der schlechte Torf fröhlich aus jedem Schornstein. Das Leben
diesseits der Grenze hat eben nur diese Seite. Wenigstens jetzt.
Die andere, die wir auch einmal besaßen, war freilich gescheckter.
Das Leben vor ihr roch nach Kanaan. Weiße Tauben flogen
ein und aus. Und der Böse fuhr in ein Rudel Säue. Dieser Fort-
schritt hatte das Klare gebracht.
Aber dein Herz?
Gott hatte nicht Wohnung darin. Berge Sattsein schatteten
den prüfenden Schlag zu Trägheit ließ Fett über das Ziffern-
blatt wuchern. Der Schlaf war stärker als jener Hauch von
Eden herab. Wir schliefen darüber ein.
Und ich weiß nicht, ob dieser Morgen ein Erwachen ist.
Es regt sich zwar in den Büschen. Es ist ein Nest mit gelben
Schnäbeln da.
Es ist eine Nebelwolke, die versinkt, und eine Brunnenfigur,
die hocbsteigt.
Es ist eine Frau, die Wäsche auf eine Drahtschnur hängt und
aufschreckt, wo sich Muskeln in den Hemdärmeln blähen.
Es ist ein Knabe, der harte Brotrinden aus der Tasche kratzt
und in den Kaninchenstall streu t. Wo früher weiße und schwarze
Schnauzen durchs Gitter schnupperten. Früher, ja!
J
Es ist eine Glocke, die wie aus Blecheimern schlägt. Und
doch hängt sie hoch im Turm und sagt eine neue Stunde an.
Wenn jetzt der erste Antrieb einer Greisin aus dem Hospital
kommt, Stelzfuß und Einauge auf der Treppe sich kreuzen —:
Ich mag nicht der dritte Kirchgänger sein. Die Glocke wird
auch zum Hochamt noch Wirbel haben. •
Wir sehen uns noch, sagt der letzte Schallstoß zum Abschied.
Dazwischen liegt ein schwarzes Vakuum.
Ich möchte aber lieber jener Weißhaarige sein, der dort hinter
der Brunnenfigur den Pflaumenbaum umhaut. Nicht, weilKälte
von den Wänden seines Zimmers trieft. Er sieht vielmehr die
breite Harzwunde zwischen den Gabelästen. Und darum muß
der ausgeblutete Baum weg.
Ich weiß, der Greis hat diese Pflaume vor zwanzig Jahren
mit Schmerzen gepflanzt. Und aus dem Wehleid Sonntag-
mittagsfreuden gezogen.
Schwer ist, sich von Freude zu trennen. Viele lassen das
wieder zu Schmerzen werden. Und haben eine Genugtuung,
die freut. Ich sehe, daß auch dieser Mann mit einem frohen
Lächeln die Axt schwingt.
Dieses Lächeln erlöst. Die Baumgrube wird Grab und Wiege.
Und über ein Kleines: Blätter werden freudeglänzen, ehe dein
Haus bestellt ist. Das kann nur an einem Morgen geschehen,
der ein Anfang ist und näher rückt.
Manchesmal haben nur Hunde Ahnungen von solchem Näher-
kommen. Da werden ihre Ohren Schalltrichter von noch ver-
hangenen Ereignissen.
Ich hebe den Kopf um eine Spanne höher. Die Schläfen
wollen Wilderes erfahren. Man lebt ja noch so weit rückwärts.
Sicher nicht das Gesicht von heute.
Was ist denn heute? Die Morgenweihe sprach immer so in
dem Blattbehang. Aus den Astantennen schlug das Feuer des
Taues an manchen Tagen schon stärker bis zu den Dachrändern
herüber, die wie sprachlose Lippen vorhingen, und ganz hinten,
wo das Gehirn klopfte, eine Aufnahmewalze sich spannte.
Mareia aber erschien nur, weil sie Zank mit einem der Tür
bei Tür wohnenden Weiber erwartete.
Das ganze Dach trägt die Schmuckwellen ihres Blond auf einem
purpurnen Samtkissen. Und doch steht zwischen den Augen eine
böse Falte. Ein leiser Schmerz: daß man so früh sie weckte.
Ich weiß, sie wird verstellte Antworten geben. Der böse
Bruder, das teure Waschgeld. Jeanettes pompöser Bauch. Die
Hände klatschen ineinander.
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