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Wieseler, Friedrich
Narkissos: eine kunstmythologische Abhandlung ; nebst einem Anhang über die Narcissen und ihre Beziehung zum Leben, Mythos und Cultus der Griechen — Göttingen, 1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.10355#0012
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diesen nicht, sondern an dessen Stelle eine Blume mit safranfarbigem Kelche,
der von weissen Blättern umgeben ist.

Etwas abweichend erzählt Konon2): »In Thespeia in Böotien lebte Nar-
kissos, ein sehr schöner Knabe und Verächter des Liebesgottes sowie der
Liebhaber. Die anderen Liebhaber nun gaben ihr Lieben auf; aber Ameinias
blieb beharrlich dabei und bat inständigst. Als jener ihn aber nicht annahm,
sondern ihm sogar ein Schwert schickte, entleibte er sich vor der Thür des
Narkissos, nachdem er den Gott oftmals angefleht hatte, ihm Bacher zu werden.
Narkissos aber, nachdem er sein Gesicht und seine Gestalt an einer Quelle
mit Ähnlichkeit im Wasser erscheinend erblickt hat, wird allein und zuerst in
seltsamer Weise sein eigener Liebhaber. Endlich entleibt er, rath- und hülf-
los, und dafür haltend, dass er gerecht leide für seinen Übermuth in Betreif
der Liebesneigung des Ameinias, sich selbst. Und seitdem haben die Thes-
pienser beschlossen, den Liebesgott mehr zu verehren und ihm ausser dem
gemeinschaftlichen Dienste auch ein Jeder für sich Opfer darzubringen. Es
glauben aber die im Lande Einheimischen, dass die Blume Narkissos zuerst
da aus der Erde emporgesprosst sei, wo das Blut des (Knaben) Narkissos in
dieselbe vergossen wurde. <■'■

Wiederum hören wir durch Pausanias3): „Im Lande der Thespienser ist
der sogenannte Donakon. Dort ist die Quelle des Narkissos 4), und man sagt,
dass Narkissos in dieses Wasser geblickt habe, dass derselbe aber, nicht inne
werdend, dass er seinen eigenen Schatten sehe, unvermerkt sich selbst geliebt
hahe, und dass ihm in Folge der Liebe bei der Quelle sein Ende geworden
sei. — Es geht aber noch eine andere Sage über ihn, die freilich weniger
bekannt ist als die erstere, aber doch auch erzählt wird. Narkissos habe eine
Zwillingsschwester gehabt, und wie ihr Aussehen im Übrigen durchaus gleich
gewesen sei, so haben beide auch dasselbe Haar gehabt und haben sich ähn-
lich gekleidet und seien mit einander auch auf die Jagd gegangen. Narkissos

2) Narrat. XXIV.

3) Graec. Descript. IX, 31, 6.

4) Über Donakon und die Quelle des Narkissos vgl. man Wheler Journey into Oreecc,
p. 471 u. 476, Müller Orchomenos, S. 48 der ersten Ausg., Kruse Hellas Th. II,
Abth. 1, S. 614 fL, Leake Travels in northern Greece II, p. 501.
 
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