Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Windelband, Wilhelm; Karl Friedrich <Baden, Großherzog> [Gefeierte Pers.]
Der Wille zur Wahrheit: akademische Rede zur Erinnerung an den zweiten Gründer der Universität Karl Friedrich Grossherzog von Baden am 22. November 1909 bei dem Vortrag des Jahresberichts und der Verkündung der Akademischen Preise — Heidelberg, 1909

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20724#0006
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hochgeehrte Herren Kollegen!

Werte Kommilitonen!
Hochansehnliche Festversammlung!

Die Feier des Stiftungstages, an dem unsere Universität sich selbst und
ihren Freunden Rechenschaft über das abgelaufene Arbeitsjahr und ihren gegen-
wärtigen Lebensstand zu geben pflegt, wird nach bewährter Sitte von dem Pro-
rektor durch eine Ansprache eingeleitet, die durch die Behandlung eines Gegen-
standes aus seinem besonderen Forschungsgebiete von der Teilnahme unserer
Hochschule an dem wissenschaftlichen Leben der Zeit Zeugnis ablegen soll.
Wenn heutzutage der Vertreter der Philosophie sich vor eine solche Aufgabe
gestellt sieht, so ist er in der einerseits erfreulichen, aber andererseits auch be-
schwerlichen Lage, für seinen Bericht unter einer Fülle von Fragen wählen zu
können, welche die gegenwärtige Philosophie beschäftigen und zugleich über
ihre engeren Kreise hinaus Interesse zu finden versprechen. Denn breiter als
seit langer Zeit ist in unseren Tagen die Resonanz, welche das Wort der Philo-
sophie im Leben unseres Volkes findet, lebhafter und dringender spricht aus
allen Kreisen der Gesellschaft das Bedürfnis, das von der vielgestaltigen Unruhe
und der aufgeregten Hast der gesteigerten Aussenkultur auf eine einheitliche
Selbstbesinnung, auf die Rettung einer innerlichen Lebensgewissheit hindrängt,
und häufiger, ernster, gewichtiger als früher erhebt sich jetzt wieder in der
Forschung der besonderen Wissenschaften das Verlangen nach einer Verstän-
digung über die gemeinsamen Grundlagen und die letzten Ziele aller mensch-
lichen Erkenntnis. Aus dem heissen Gedränge des Lebens schallt uns der Ruf
nach einer Weltanschauung entgegen, die das Wissen gewähren und gewähr-
leisten soll, und in den Wissenschaften selbst macht sich die Neigung zu metho-
dologischer Vorbesinnung in einer Ausdehnung geltend, die manchmal schon be-
denklich zu werden und die frische unbefangene Arbeit des Erkennens (namentlich
auch in der Philosophie selbst) zu gefährden droht.
 
Annotationen