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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte (Band 1) — Tübingen, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.19222#0306
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Von der Mystik unserer Zeit.

1910.

Wer den seelischen Bewegungen unserer Tage be-
obachtend nachgeht, .dem fallen hauptsächlich zwei Momente
in die Angen: der Zng zur Einheit und der Drang nach
Verinnerlichung. Aus der unübersehbaren Mannigfaltigkeit
von Betätignngen und Gestaltungen, in die sich unsere
Kultur verzweigt, erwächst wieder mit stetig steigender
Kraft die Sehnsucht nach dem einheitlichen Lebensgrunde,
der all jener Fulle von Arbeit und Leistung doch erst
den rechten Sinn und Wert geben muß: und vor der
bezaubernden Gewalt, mit der uns der Eindruck der un-
geheuren Wandlnngen des äußeren Lebens an die körper-
liche Wirklichkeit, an ihre wissenschaftliche Erkenntnis und
ihre technische Bemeisterung zu fesselu droht, erhebt sich
wieder die bange Frage, ob wir nicht, indem wir die Welt
gewinnen, Schaden leideu an unserer Seele.

Nach beiden Richtungen also ist es in den gegebenen
Verhältnissen des heutigen Lebens begründet, daß sein
aufgeregtes Gewoge einen stark religiösen Einschlag zeigt.
Er ist vor allem daraus begreiflich, daß vielleicht in keinem
Zeitalter der Geschichte die Snbstanz des Wertlebens der
Kulturvölker so sehr im Fluß, in der Auflösung und in
der Neubildung begriffen gewesen ist, wie in dem
unsrigen. Die Ausweituug des Kulturzusammenhanges
über den ganzen Planeten mit der freundlichen und feind-
lichen Berührung aller Rassen hat jedes Volk aus der
ruhigen Entfaltung seines Einzeldaseins herausgerissen,
und die rapide llmgestaltung aller sozialen Verhältnisse

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