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Winkler, Friedrich
Altdeutsche Zeichnungen — Kunstwerke aus den Berliner Sammlungen, Band 10: Berlin: Mann, 1947

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https://doi.org/10.11588/diglit.72970#0059
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Zeit entstammten, waren von der religiösen Vorstellungswelt nicht
verdrängt worden und gesellen sicli in Baldungs Werle zu dämoni-
schen Totentänzen, die ihre Wurzel in der geistlichen Dichtung haben.
Hexendarstellungen, Totentänze sind Baldungs Domäne recht eigent-
lich. Hell und Dunkel effektvoll zusammenwirken zu lassen, ist ihm
wie keinem anderen gegeben: Tod und Mädchen von 1515 (Abb. 36).
Die stolze Pracht eines fülligen Frauenkörpers wird an den Rändern
mit spinnwebfeinem Linienwerk geschmückt, daß ihr Leib glatt und
fest gegen das durchlöcherte, im Lichte unruhig aufblitzende Ge-
rippe erscheint. Während das Mädchen in schöner Bewegtheit das
Haar kämmt, bietet sie der Tod schon als sein Opfer dar.
Eine Unsumme von Studium des, weiblichen Körpers steckt in der
Gestalt. Eines der wenigen Zeugnisse, die davon überliefert sind,
ist die am Boden sitzende Frau von 1513 (Abb. 37), noch dazu eine
der ersten Zeichnungen, die in Deutschland mit dem Rötelstift ge-
macht worden sind. Eine echte Naturstudie von höchster Zartheit
und Fühlsamkeit der Linienführung. So ausdrucksvoll die Umrisse
der in starker Verschiebung der Glieder sich darbietenden Gestalt
wiedergegeben sind, nicht weniger bewundernswert ist, mit wie
wenig Mitteln die Modellierung bewirkt ist.
Schönheitsvolles Gepränge lag den Deutschen der Dürerzeit weniger
als man annehmen sollte. Die Gestalt des letzten Ritters, des Kaisers
Maximilian, ist für den großen Ernst und die schicksalsvolle Erregt-
heit der Zeit nicht recht verbindlich, er ist ein wenig auch ein
Glücksritter gewesen. Auch Niklaus Manuel Deutsch (um 1484-1530)
huldigt nur ausnahmsweise, wie hier, der dekorativen Schönheit in
Figur und Gruppierung. Das macht, daß er als Schweizer der
italienischen, schönheitserfüllten Kunst näher steht als die Deut-
schen. Wie der Beschauer die Mutter mit dem Kind zu Füßen einer
Säule sitzend und spielend (Abb. 38) auf hohem Postament in Ver-
kürzung zu sehen bekommt, ist überraschend und interessant, bei-
nahe ein Denkmal vor blauem Himmel, auf dem sich ein paar
Wölkchen kräuseln. Aber den Künstler treibt seine Phantasie nur
zu einem heiteren, unwirklichen Spiel, das er zur Erhöhung des
Eindrucks mit seiner adligen Bildvorstellung erfüllt.

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