„Lernt von mir, da ich liederlich und von Herzen schlecht bin 1503"
steht auf Lateinisch oben auf dem Blatt mit dem Alten und der Frau
(Abb. 34). Welche der beiden Personen das von sich sagt? Offenbar
beide. Dem Mann ist der Teufel auf die Schulter gesprungen, er
schlägt seine Zähne in den Nacken der Dirne und treibt das un-
gleiche Paar noch enger zueinander. Sie hat Geldbeutel und Messer
des Mannes an sich gebracht. Amor hat sich vor sie gespannt und
springt mit dem Rocksaum über der Schulter eilig voraus. Die
Gruppe ist von einem mächtigen Schwung erfaßt, im Laufen ist ihr
der Teufel aufgesprungen. Die häufig dargestellte Szene des geilen
Alten und der hübschen käuflichen Dirne ist zu einem packenden,
ja dramatischen Vorgang unigeschaffen. Dazu erscheint er auf einem
schiefergrauen Grund mit roten und weißen Höhungen, das Un-
wirkliche, Gespenstische nocli mehr betonend. Der Zeichner ist
Bernhard Strigel (1460-1528) aus Memmingen, der angesehene Ver-
fertiger vieler Bildnisse des Kaisers und seiner Familie und ein-
dringlicher religiöser Darstellungen. Immer ein phantasievoller
Erzähler, ist dies Blatt doch das einzige dieser Art, das wir von ihm
kennen. Strigel ist wie Holbein d. Ä. ein Meister des Übergangs,
der ein Jahrzehnt vor diesem geboren war.
Der Repräsentant Dürerscher Kunst im Südwesten, am Oberrhein,
war Hans Baldung Grien (1484/85-1545), der ein Jahrfünft oder
länger unter Dürers Augen gearbeitet hatte, bevor er sicli 1509 in
Straßburg niederließ. Er entstammt im Gegensatz zu den meisten
Künstlern seiner Zeit einer Gelehrtenfamilie aus Schwäbisch-Gmünd,
die Ärzte und Juristen hervorgebracht hat; seine Kunst ist intellek-
tuell und bei aller äußerlichen Ähnlichkeit von früh auf selbständig.
Je älter er wird, desto mehr entfernt er sicli von Dürer. Das Frauen-
köpfchen mit den üppigen Flechten und dem Halsband (Abb. 35) ist
wohl in der plastisch modellierenden Schönschrift seines Vorbildes
gearbeitet, docli geht unser Meister viel mehr auf die besondere
weibliche Psyche ein, als Dürer es gemeinhin tut. Die schmucke
Schöne zeigt spitze und füllige Züge pikant vereint, blickt ein wenig
zweifelsüchtig. Das Licht liegt breit auf Gesicht und Brust.
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steht auf Lateinisch oben auf dem Blatt mit dem Alten und der Frau
(Abb. 34). Welche der beiden Personen das von sich sagt? Offenbar
beide. Dem Mann ist der Teufel auf die Schulter gesprungen, er
schlägt seine Zähne in den Nacken der Dirne und treibt das un-
gleiche Paar noch enger zueinander. Sie hat Geldbeutel und Messer
des Mannes an sich gebracht. Amor hat sich vor sie gespannt und
springt mit dem Rocksaum über der Schulter eilig voraus. Die
Gruppe ist von einem mächtigen Schwung erfaßt, im Laufen ist ihr
der Teufel aufgesprungen. Die häufig dargestellte Szene des geilen
Alten und der hübschen käuflichen Dirne ist zu einem packenden,
ja dramatischen Vorgang unigeschaffen. Dazu erscheint er auf einem
schiefergrauen Grund mit roten und weißen Höhungen, das Un-
wirkliche, Gespenstische nocli mehr betonend. Der Zeichner ist
Bernhard Strigel (1460-1528) aus Memmingen, der angesehene Ver-
fertiger vieler Bildnisse des Kaisers und seiner Familie und ein-
dringlicher religiöser Darstellungen. Immer ein phantasievoller
Erzähler, ist dies Blatt doch das einzige dieser Art, das wir von ihm
kennen. Strigel ist wie Holbein d. Ä. ein Meister des Übergangs,
der ein Jahrzehnt vor diesem geboren war.
Der Repräsentant Dürerscher Kunst im Südwesten, am Oberrhein,
war Hans Baldung Grien (1484/85-1545), der ein Jahrfünft oder
länger unter Dürers Augen gearbeitet hatte, bevor er sicli 1509 in
Straßburg niederließ. Er entstammt im Gegensatz zu den meisten
Künstlern seiner Zeit einer Gelehrtenfamilie aus Schwäbisch-Gmünd,
die Ärzte und Juristen hervorgebracht hat; seine Kunst ist intellek-
tuell und bei aller äußerlichen Ähnlichkeit von früh auf selbständig.
Je älter er wird, desto mehr entfernt er sicli von Dürer. Das Frauen-
köpfchen mit den üppigen Flechten und dem Halsband (Abb. 35) ist
wohl in der plastisch modellierenden Schönschrift seines Vorbildes
gearbeitet, docli geht unser Meister viel mehr auf die besondere
weibliche Psyche ein, als Dürer es gemeinhin tut. Die schmucke
Schöne zeigt spitze und füllige Züge pikant vereint, blickt ein wenig
zweifelsüchtig. Das Licht liegt breit auf Gesicht und Brust.
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