EINLEITUNG.
Die Kulturentwicklung- eines großen Volkes geht
nicht in geschlossener, dauernder Einheit vor sich. Sie
geschieht, indem sich aus der Einheit und Einfachheit
des Ganzen nacheinander die einzelnen Stände heraus-
heben, einer dem anderen voreilen und gesondert ihre
Anlagen und Kräfte entwickeln.
In Deutschland wird uns dieser Weg besonders deut-
lich: Aus der ungeschiedenen Einheit des Volkslebens
erhebt sich das Rittertum, mit dem Aufblühen der Städte
versinkt es, das Bürgertum erstarkt. Die Selbständig-
keit der Städte beginnt als Gleichgewicht gegen die
übermütige Adelsaristokratie auch der bäuerlichen Frei-
heit Vorschub zu leisten. Und aus den mannigfachsten
wirtschaftlichen und politischen Bedingungen ergibt sich
für den Bauernstand eine wachsende Befreiung und
Kräftigung bis zur Reformation, wo ihn die Bauernkriege
auf lange zurückwerfen. Die Reformation aber bringt
auf mehr denn ein Jahrhundert eine Vorherrschaft der
kirchlichen Interessen, ein dauerndes Hin und Her der
konfessionellen Kämpfe, in denen der geistliche Stand,
der bis dahin sein geistiges Sonderleben geführt hatte,
an die Spitze tritt. Und als der Dreißigjährige Krieg
das gesamte Volksleben in Deutschland zerrüttet, da
lebt und lehrt über den nationalen Trümmern noch der
internationale, lebensfremde Stand des Gelehrten.
Dieser Entwicklung mußte die Poesie, mußte zu-
innerst ihre unmittelbare Art, die Lyrik, folgen. In der
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Die Kulturentwicklung- eines großen Volkes geht
nicht in geschlossener, dauernder Einheit vor sich. Sie
geschieht, indem sich aus der Einheit und Einfachheit
des Ganzen nacheinander die einzelnen Stände heraus-
heben, einer dem anderen voreilen und gesondert ihre
Anlagen und Kräfte entwickeln.
In Deutschland wird uns dieser Weg besonders deut-
lich: Aus der ungeschiedenen Einheit des Volkslebens
erhebt sich das Rittertum, mit dem Aufblühen der Städte
versinkt es, das Bürgertum erstarkt. Die Selbständig-
keit der Städte beginnt als Gleichgewicht gegen die
übermütige Adelsaristokratie auch der bäuerlichen Frei-
heit Vorschub zu leisten. Und aus den mannigfachsten
wirtschaftlichen und politischen Bedingungen ergibt sich
für den Bauernstand eine wachsende Befreiung und
Kräftigung bis zur Reformation, wo ihn die Bauernkriege
auf lange zurückwerfen. Die Reformation aber bringt
auf mehr denn ein Jahrhundert eine Vorherrschaft der
kirchlichen Interessen, ein dauerndes Hin und Her der
konfessionellen Kämpfe, in denen der geistliche Stand,
der bis dahin sein geistiges Sonderleben geführt hatte,
an die Spitze tritt. Und als der Dreißigjährige Krieg
das gesamte Volksleben in Deutschland zerrüttet, da
lebt und lehrt über den nationalen Trümmern noch der
internationale, lebensfremde Stand des Gelehrten.
Dieser Entwicklung mußte die Poesie, mußte zu-
innerst ihre unmittelbare Art, die Lyrik, folgen. In der
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