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Witkop, Philipp
Die Anfänge der neueren deutschen Lyrik — Heidelberg, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.73240#0065
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Die Dichtung als Selbstbekenntnis.

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eines guten Willens sind“. Das hat ihm immer wieder
Freunde geworben. Das gibt auch seinen Klagen den
erschütternden Ton: „Die Rachgier, so mich treibt, ist
daß ich sehnlich fleh — Daß Welt und Neid einmal
mein ehrlich Herze seh“. Und in einem Brief an den
Vater: „Andre, die mir hier und da nur vom Hören-
sagen fluchen — Werden so vernünftig sein und es
besser untersuchen — Eh’ sie einen Mensch verdammen,
welcher das, was er begehrt — Nämlich Mitleid, Wunsch
und Liebe jedem, der sie braucht, gewährt“. Und: „Ist
einer in der Welt, er sei mir noch so feind — An dem
ich in der Not kein Liebeszeichen täte?“
Einem Menschen von solch kindlicher Wahrhaftig-
keit und Lebens-Ehrlichkeit konnte die Dichtung nur
zum Ausdruck seines eigenen Lebens, zum Selbstbekennt-
nis, zum Gelegenheitsgedicht im Goetheschen Sinne
werden. — Gewiß, der größte Teil seiner Werke be-
steht noch aus Gelegenheitsgedichten der üblichen,
minderwertigen Art, aus Hochzeits- und Leichenkarmina.
Aber die schrieb er doch nur um des lieben Brotes
willen und mit Verachtung. Die innere Wahrheit, die
Einheit von Mensch und Künstler war ihm so natürlich
daß er an ihren Mangel im allgemeinen nicht einmal
bei seinen Zeitgenossen glauben kann und einen von
ihnen, Menantes-Hunold in naiver Entrüstung' heraus-
greift: „Ja, ich weiß auch nicht, ob die Feder kalt oder
warm zu nennen, die des Morgens eine Opernsängerin
zur Sonne macht und sie anbetet, des Abends aber
Todesgedanken verfertigen will. Was kann wohl das
allsehende Auge an einem Tartüffe vor Gefallen haben,
und muß nicht das Alter und ein reifer Verstand Ab-
scheu vor solcher Aufführung bekommen?“
Und diese selbe Wahrhaftigkeit mußte auch auf die
künstlerische Form von Einfluß werden. Ihr mußte der
gespreizte, überladene, schwülstige Stil zuwider werden.
 
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