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Witkop, Philipp
Die Anfänge der neueren deutschen Lyrik — Heidelberg, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.73240#0101
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Der Tod Mariannes.

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heit meiner Triebe recht einsehen und würdiglich be-
reuen möge. Heile Vater, wann und wie du willst:
Nur mach’s mit meinem Ende gut.“ „Heute bin ich
wieder ganz ruhig. Warum? weil meine Arbeit mir
nach meinem Sinne geht, weil ich ein Stück endige;
weil ich alle Tage eitle und schmeichelsüchtige Men-
schen vor mir habe — — — Ach, was bin ich vor
Gott und den Menschen ein Wurm!“ Wieder sechs
Jahre später: „Nicht umsonst habe ich mich über meine
Kälte und die fortdauernde Herrschaft böser Leiden-
schaften beklagt. Es scheint aber der gütig sorgende
Vater habe durch eine schlechte Gesundheit dem zu-
nehmenden Übel steuern wollen. — Auch für diese
Gnade, denn es ist eine wahre und wichtige Gnade,
danke ich ihm. Ein kränklicher Leib ist wirklich eine
Gnade. Die Fesseln der Zeitlichkeit werden dadurch
gebrochen, die Ewigkeit ins Gesicht gerückt, und das
elende Vertrauen zu nichts bedeutenden Gütern in sein
Nichts zurückgesetzt.“
Seine Selbstverleugnung geht so weit, daß er allem
Selbstgefühl, aller Eigen-Herrlichkeit, die er antrifft,
feindlich wird, daß er Voltaire beschimpft und Rousseau
unter die Zensur einer theologischen Körperschaft stellen
will. Das Wesen der Dichtkunst wird ihm immer fremder.
Er sieht in ihr nur noch ein moralisches Besserungs-
mittel. In einem Vorwort zu des Arztes Werlhof Ge-
dichten erklärt er, daß ein Dichter, der nichts als ein
Dichter sei, ein entbehrliches und unwirksames Mitglied
der menschlichen Gesellschaft bleiben müsse. „Weit
größer sind die Vorzüge eines gelehrten, geübten und
folglich glücklichen Arztes. Seine Gaben sind ein Werk-
zeug, durch welches die Vorsehung ihre Güte verbrei-
tet .. . Ein Dichter vergnügt eine Viertelstunde; ein
Arzt verbessert den Zustand eines ganzen Lebens.“
Aber trotz dieser bedenklichen Selbstentäußerung,
 
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