Das ältere Volkslied.
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stimmt waren. Da man die Schnadahüpferln heute als
Schnitterhüpflein deutet, könnte man hier eine glück-
liche Bestätigung der — gewiß nicht erschöpfenden,
aber doch unabweisbaren — Theorie Karl Büchers über
den Ursprung der Poesie finden, wonach alle Dichtung
dem Arbeitsrhythmus und den ihm angepaßten Arbeits-
gesängen ihre Entstehung verdankt. Diese Schnada-
hüpferln wären dann Scherzlieder, die man sich beim
Getreideschnitt einander zugesungen. Es ist natürlich,
daß sie von der Arbeit zu den Arbeitsfesten, vom Ge-
treideschnitt zum Erntefest und -Tanz mit herüber-
genommen wurden. Ursprünglich waren es reine Im-
provisationen. Nach und nach setzten sich bestimmte
Verse und Formeln fest, die in die Improvisationen als
üblich eingefügt und schließlich auch von der mittel-
hochdeutschen Dichtung übernommen wurden.
Übrigens sind uns auch einige wenige unmittelbare
Zeugnisse, die uns ein altes deutsches Volkslied — diese
Fälle im Zusammenhang mit der zweiten poesiebilden-
den Macht, der Religion, und zwar noch der chorischen,
germanisch-mythisch beeinflußten Dichtung — beweisen:
Bonifatius schreibt 742 an den Papst Zacharias, er müsse
seinen Deutschen, Alemannen, Bayern und Franken den
heidnischen Brauch untersagen, am Tage vor Neujahr
Umzüge mit Gesang zu veranstalten. Noch zu Anfang
des 11. Jahrhunderts belegt Burchard von Worms die-
selbe Neujahrsfeier mit Buße: „Du hast Neujahr nach
der Heiden Weise begangen, indem du mit Gesang und
Tanz durch Fluren und Straßen zogst“. Und ebender-
selbe läßt folgende Beichtfrage stellen: „Du hast eine
Leiche mitgefeiert, das heißt, du hast der Totenwache
beigewohnt, wo die Leichen von Christen nach heidni-
scher Sitte bewacht werden, hast dort teuflische Lieder
gesungen und Tänze aufgeführt, die die Heiden vom
Teufel gelernt haben, hast dort getrunken und hast laut
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stimmt waren. Da man die Schnadahüpferln heute als
Schnitterhüpflein deutet, könnte man hier eine glück-
liche Bestätigung der — gewiß nicht erschöpfenden,
aber doch unabweisbaren — Theorie Karl Büchers über
den Ursprung der Poesie finden, wonach alle Dichtung
dem Arbeitsrhythmus und den ihm angepaßten Arbeits-
gesängen ihre Entstehung verdankt. Diese Schnada-
hüpferln wären dann Scherzlieder, die man sich beim
Getreideschnitt einander zugesungen. Es ist natürlich,
daß sie von der Arbeit zu den Arbeitsfesten, vom Ge-
treideschnitt zum Erntefest und -Tanz mit herüber-
genommen wurden. Ursprünglich waren es reine Im-
provisationen. Nach und nach setzten sich bestimmte
Verse und Formeln fest, die in die Improvisationen als
üblich eingefügt und schließlich auch von der mittel-
hochdeutschen Dichtung übernommen wurden.
Übrigens sind uns auch einige wenige unmittelbare
Zeugnisse, die uns ein altes deutsches Volkslied — diese
Fälle im Zusammenhang mit der zweiten poesiebilden-
den Macht, der Religion, und zwar noch der chorischen,
germanisch-mythisch beeinflußten Dichtung — beweisen:
Bonifatius schreibt 742 an den Papst Zacharias, er müsse
seinen Deutschen, Alemannen, Bayern und Franken den
heidnischen Brauch untersagen, am Tage vor Neujahr
Umzüge mit Gesang zu veranstalten. Noch zu Anfang
des 11. Jahrhunderts belegt Burchard von Worms die-
selbe Neujahrsfeier mit Buße: „Du hast Neujahr nach
der Heiden Weise begangen, indem du mit Gesang und
Tanz durch Fluren und Straßen zogst“. Und ebender-
selbe läßt folgende Beichtfrage stellen: „Du hast eine
Leiche mitgefeiert, das heißt, du hast der Totenwache
beigewohnt, wo die Leichen von Christen nach heidni-
scher Sitte bewacht werden, hast dort teuflische Lieder
gesungen und Tänze aufgeführt, die die Heiden vom
Teufel gelernt haben, hast dort getrunken und hast laut