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Witkop, Philipp
Die Anfänge der neueren deutschen Lyrik — Heidelberg, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.73240#0030
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DIE MYSTIKER.

Das sechzehnte und zum großen Teil auch das
siebzehnte Jahrhundert sind in Deutschland durch die
Probleme des religiösen Lebens bestimmt. Und was
die Lyrik an Bedeutendem, an unmittelbarem Lebensaus-
druck hervorgebracht, liegt auf religiösem Gebiete. Das
Kirchenlied des Protestantismus ist die lyrische Macht
dieser Zeit. In begrenztem Maße wußte es sich dem
wachsenden individuellen Bedürfnis anzupassen. Es tritt
mit dem siebzehnten Jahrhundert aus den bestimmten
Formen des Gemeindegesanges heraus, das religiöse
Leben des Einzelnen wird ihm Mittelpunkt. Aus dem
Kirchenlied wird das geistliche Lied. Und in Paul
Gerhardt findet es einen Vertreter von hervorragender
Bedeutung.
Der Dichter des geistlichen Liedes fühlt sich nicht
mehr als bloßes Glied eines Chores, der eins und augen-
blicks das Wort von seinen Lippen nimmt, der aus der
gleichen großen Empfindung in und mit ihm das Lied
erschafft: er ist einsamer geworden, mehr auf sich ge-
stellt, ein Vorsänger, der im Bann seiner eigenen Stimme
bleibt und erst am Schlüsse, wenn der Chor einfällt,
sich erinnert, daß er einer großen Einheit verbunden
ist. Luther singt: Wir glauben all an einen Gott, Eine
feste Burg ist unser Gott, Erhalt uns Herr bei deinem
Wort — Gerhardt: Ist Gott für mich, so trete gleich
alles wider mich, Ich singe dir mit Herz und Mund,
Sollt ich meinem Gott nicht singen. Luther steht in
seinen Liedern dauernd gerüstet, wie der Eroberer in
 
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