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https://doi.org/10.11588/diglit.9081#0057
Nr. 72
Preis pro Nummer IO Pfennig.
1880.
Erscheint monatlich zweimal.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Kolporteure.
Blitzdrahtmeldungen.
Berlin. Die Berathnnc, des neuen Sozialistengesetzes verzögert
sich, weil vorher einige bauliche Veränderungen im Sitzungssaals des
Reichstags nöthig sind. Man muß neben den Sitzen der Nationallibe-
ralen gepolsterte Einplaukungen errichten, damit sich die Abge-
ordneten beim Umfallen nicht wehe thun.
— Die von der Opposition bestrittene Nothwendigkeit, daß für die
deutsche Marine ein unverantwortlicher Oberkommandeur angestellt
werden müsse, wird jetzt, nach dem Bekanntwerden gewisser Ereignisse
bei Samoa zugegeben.
Paris. Boulanger soll bankerott erklärt werden, weil das Fersen-
geld, welches er gegeben hat, bei Weitem nicht zur Bezahlung seiner
Schulden reicht.
London. In parlamentarischen Kreisen wirkt der Katzenjammer
von der Pigott-Affaire »och so stark nach, daß die Temperenzler
im Unterhause einen Erfolg erzielen konnten.
*3 Osterglocken.
I^iit frohes Fest der Frühlingswonne!
* J Durch Wolken bricht der Strahl der Sonne
Und fällt wie stüffrg Gold herab.
Ein junger, reicher Vlüthensegen
Drängt sich mit Wacht dem Licht entgegen,
Es sprengt Natur ihr Winkergrab.
Und zu des holden Frühlings Locken
Gesellt sich heut der Klang der Glocken,
Der mahnend, seltsam zu uns spricht.
Er trägt durch lauer Winde Wehen
Das hohe Lied vom Muserstehen
Des Geistes, der die Fesseln bricht.
Es tönt vom eh'rnen Glockenmunde
Mus fernen Zeiten jene Kunde
Von einem viel verfolgten Wann,
Dem Märtyrer aus Iuda's Stamme,
Beseelt von der Begrist'rung Flamme,
Der sterbend eine Welt gewann.
Die alten Sagen tönen wieder,
Wie sie gelegt in's Grab ihn nieder,
Mn eines Felsenkerkers Vrt.
Doch wie sie auch gehäuft die Schollen
Mus seinem Grab wie Donnerrollen
Entstieg des Todten lebend Wort.
Die alten Götter muhten weichen,
Die Wächt'gen zitterten, die Reichen,
Weil gegen sie das Wort gezeugt.
Sie sah'n: mag Blut ihr Schwert auch röthen,
Nie läht das freie Wort sich tödten,
Das werbend durch die Lande steucht.
Und weiter klinget das Geläute
Der Osterglocken: — sagt nun, heute?
Giebt's nirgends mehr ein Golgatha?
Dem freien Wort mit feilem Hohne
Flicht nirgends man die Warterkrvne?
Ist nirgends mehr rin Judas nah'?
Sind nirgendwo die Pharisäer,
Geleitet durch den Dienst der Späher,
Bereit, das „Kreuzige!" zu fchrei'n?
Wäscht kein Pilatus sich die Hände,
Damit er nicht das Unheil wende
Und wahre doch der Unschuld Schein?
Sieht nirgends mehr man Kreuze ragen,
Daran die Freiheit wird geschlagen,
Wenn sie den Bann des Wahnes bricht?
So wunderbare Fragen guellen
Mir aus der Glockentöne Wellen,
Doch auch die Mntwort zögert nicht:
Wenn irgendwo in unfern Tagen
Die Wahrheit wird an's Kreuz geschlagen
Und eingesargt in Erz und Stein,
Dann wird auch sie ihr Grab zersprengen,
Wird neuverjüngt zum Lichte drängen
Und siegend ihrem Werk sich weih'n.
K.
Preis pro Nummer IO Pfennig.
1880.
Erscheint monatlich zweimal.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Kolporteure.
Blitzdrahtmeldungen.
Berlin. Die Berathnnc, des neuen Sozialistengesetzes verzögert
sich, weil vorher einige bauliche Veränderungen im Sitzungssaals des
Reichstags nöthig sind. Man muß neben den Sitzen der Nationallibe-
ralen gepolsterte Einplaukungen errichten, damit sich die Abge-
ordneten beim Umfallen nicht wehe thun.
— Die von der Opposition bestrittene Nothwendigkeit, daß für die
deutsche Marine ein unverantwortlicher Oberkommandeur angestellt
werden müsse, wird jetzt, nach dem Bekanntwerden gewisser Ereignisse
bei Samoa zugegeben.
Paris. Boulanger soll bankerott erklärt werden, weil das Fersen-
geld, welches er gegeben hat, bei Weitem nicht zur Bezahlung seiner
Schulden reicht.
London. In parlamentarischen Kreisen wirkt der Katzenjammer
von der Pigott-Affaire »och so stark nach, daß die Temperenzler
im Unterhause einen Erfolg erzielen konnten.
*3 Osterglocken.
I^iit frohes Fest der Frühlingswonne!
* J Durch Wolken bricht der Strahl der Sonne
Und fällt wie stüffrg Gold herab.
Ein junger, reicher Vlüthensegen
Drängt sich mit Wacht dem Licht entgegen,
Es sprengt Natur ihr Winkergrab.
Und zu des holden Frühlings Locken
Gesellt sich heut der Klang der Glocken,
Der mahnend, seltsam zu uns spricht.
Er trägt durch lauer Winde Wehen
Das hohe Lied vom Muserstehen
Des Geistes, der die Fesseln bricht.
Es tönt vom eh'rnen Glockenmunde
Mus fernen Zeiten jene Kunde
Von einem viel verfolgten Wann,
Dem Märtyrer aus Iuda's Stamme,
Beseelt von der Begrist'rung Flamme,
Der sterbend eine Welt gewann.
Die alten Sagen tönen wieder,
Wie sie gelegt in's Grab ihn nieder,
Mn eines Felsenkerkers Vrt.
Doch wie sie auch gehäuft die Schollen
Mus seinem Grab wie Donnerrollen
Entstieg des Todten lebend Wort.
Die alten Götter muhten weichen,
Die Wächt'gen zitterten, die Reichen,
Weil gegen sie das Wort gezeugt.
Sie sah'n: mag Blut ihr Schwert auch röthen,
Nie läht das freie Wort sich tödten,
Das werbend durch die Lande steucht.
Und weiter klinget das Geläute
Der Osterglocken: — sagt nun, heute?
Giebt's nirgends mehr ein Golgatha?
Dem freien Wort mit feilem Hohne
Flicht nirgends man die Warterkrvne?
Ist nirgends mehr rin Judas nah'?
Sind nirgendwo die Pharisäer,
Geleitet durch den Dienst der Späher,
Bereit, das „Kreuzige!" zu fchrei'n?
Wäscht kein Pilatus sich die Hände,
Damit er nicht das Unheil wende
Und wahre doch der Unschuld Schein?
Sieht nirgends mehr man Kreuze ragen,
Daran die Freiheit wird geschlagen,
Wenn sie den Bann des Wahnes bricht?
So wunderbare Fragen guellen
Mir aus der Glockentöne Wellen,
Doch auch die Mntwort zögert nicht:
Wenn irgendwo in unfern Tagen
Die Wahrheit wird an's Kreuz geschlagen
Und eingesargt in Erz und Stein,
Dann wird auch sie ihr Grab zersprengen,
Wird neuverjüngt zum Lichte drängen
Und siegend ihrem Werk sich weih'n.
K.