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1110

Mkatz Audorf sen.

Geboren 20. Dezember 1807, gestorben 30. August 1891.

Aus Reih und Glied hat der Befreier Tod
Dich abberufen zu des Grabes Frieden;

Dir war ein schöner Sterbetrost beschieden.
Dein brechend Aug' sah noch das Morgenroth
Der neuen Zeit in lichter Herrlichkeit,

Der Zeit des Sieges, der Gerechtigkeit!

K. Frohme.

s giebt eine ganze Reihe bescheidener Männer, welche, hinter
den Führern zurücktretend, in stiller, oft unscheinbarer Thätigkeit
ihr ganzes Leben der Emanzipation der Arbeiterklasse gewidmet haben.
Zu diesen gehörte unser ältester Parteigenosse Jakob Audorf sen.,
der vor Kurzem im Alter von fast 84 Jahren in Hamburg verstarb
und dessen Beerdigung eine Theilnahme der Bevölkerung seiner Vater-
stadt hervorrief, wie sie sonst nur den bedeutendsten Männern zu
Theil wird.

Wenn wir heute das Bild dieses braven Genossen, sowie seinen
kurzen Lebensabriß bringen, genügen wir einer Pflicht der Dankbar-
keit und hoffen zugleich damit dem Wunsche unserer Leser entgegen-
zukommen.

In unmittelbarer Nähe des alten Hafens in Hanrburg zwischen
dem „Johannisbollwerk" und dem „Eichholz" befinden sich noch heute
eine Anzahl für einen Fremden fast un-
entwirrbarer Höfe und Durchgänge,
welche von „kleinen Leuten" bewohnt
werden. In einer dieser Proletarier-
Wohnstätten, genannt „Roode Pooert",
d. h. „Rothe Pforte" (nomen est omen!),
wurde unser Audorf geboren. Er war
ein Flüchtling schon als sechsjähriger
Knabe, da er zur Zeit der Belagerung
Hamburgs durch die Berbülldeten im
strengen Winter von 1813 auf 1814 auf
dem Rücken seiner Großmutter seine
Vaterstadt verlassen mußte. Beide fan-
den liebevolle Aufnahme bei einer jüdi-
schen Familie Meyer in Altona, mit
ivelcher A. auch als Erwachsener noch in
steter Freundschaft verbunden blieb.

Die Eltern A.'s waren in dem be-
drängten Hamburg zurückgeblieben; der
Vater als Wärter und die Mutter als
Wäscherin in einem französischen Hospi-
tale. Der Vater starb bald nach der
Belagerung und so blieb der Knabe
als echtes Proletarierkind mit Groß-
mutter und Mutter in den dürftigsten Verhältnissen; doch sorgten die
Frauen dafür, daß er die Michaeliskirchenschule besuchte und dort
wenigstens nothdürftig den Elementarunterricht genoß. Da der Knabe
Zeichentalent besaß, wäre er gern Maler geworden, doch erlaubten
dieses die ärmlichen Verhältnisse nicht; er mußte in die Fabrik und
wurde ein Haartuchweber. Die Haartuchweberei war in Hamburg
in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts ein blühendes Geschäft
und so war A. als Arbeiter nicht einmal am übelsten daran. Bon
Morgens 6 Uhr bis Abends 8 Uhr saß er bei seiner einförmigen
Arbeit an seinem Webstuhl, sang die alten Körner'schen „Freiheits-
lieder": „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los" u. a. m., reimte
auch wohl selber Gelegenheitsgedichte und galt seinen Kollegen und
Bekannten als ein belesener Mann und guter Rathgeber in schwierigen
Verhältnissen des Lebens. Anfangs der vierziger Jahre gründete er
ein eigenes kleines Geschäft und führte ein glückliches Familienleben.
Während des großen Brandes von Hamburg im Jahre 1842 rettete
er als Bürgergardist verschiedenen Leuten das Leben, welche das Volk
im fanatischen Wahne als Brandstifter lynchen wollte. Einen armen,
arg mißhandelten Mann, der einem Engländer ähnlich sah, denn diese
galten als Brandstifter, mußte er sogar noch gegen die Bajonette der
eigenen Kameraden vertheidigen. — Sein Sinn für das Gemeinwohl
bewog ihn, ein eifriges Mitglied des in den vierziger Jahren in
Hamburg blühenden „Vereins gegen das Branntweintrinken" zu werden.
Hier hatte er auch Gelegenheit, sich als Redner zu bilden und obgleich
er früher gerne sein Gläschen getrunken hatte und auch nie ein Kopf-
hänger oder Mucker war, so blieb er doch auch nach Auflösung des
genannten Vereins dessen Grundsätzen treu; während dreißig Jahren
kam „gebranntes Wasser" nicht über seine Lippen. — Mittlerweile
kam die Bewegung des Jahres 1848 heran und zog den für Frei-
heit, Recht und Gerechtigkeit glühenden Mann sofort in ihre Kreise.

Auch er glaubte, nun breche für die Menschheit und das deutsche
Vaterland insbesondere ein schönerer Morgen an. A. wurde Demo-
krat und von seiner Vaterstadt auf Grund des allgemeinen gleichen
und direkten Wahlrechtes in die vom Hamburger Senate ein-
berufene gesetzgebende Versammlung, genannt „Konstituante", gewählt,
welche beauftragt war, nach den „Grundrechten des deutschen
Volkes" vom Frankfurter Parlamente eine neue Verfassung für Ham-
burg auszuarbeiten. Bei der erstarkenden Reaktion im Spätjahr 1849
wurde die „Konstituante" natürlich aufgelöst und die neue Verfassung,
die beste, die wohl je von einer gesetzgebenden Körperschaft in
legaler Weise ausgearbeitet worden war, wanderte als Makulatur ins
Archiv. Auch der Hamburger Senat hatte es für gut befunden, gleich
den meisten anderen deutschen Regierungen, die in feierlicher Weise
gegebenen Versprechungen nicht zu erfüllen. In dieser bewegten Zeit
lernte A. unter den Flüchtlingen, welche nach Hamburg kamen, auch
Weitling, den kommunistischen Schneider und Schriftsteller, kennen.
Es wurde eine neue Herausgabe von Weitling's Buch „Garantien
der Freiheit und Harmonie" veranstaltet und durch die Lektüre der
Schriften St. Simon's, Fourier's, Cabet's Reise nach Jkarien u. s. w.

wurde A. überzeugter Kommunist. Durch
den Verkehr mit den Flüchtlingen, welche
in seinem bescheidenen Haushalte Gast-
freundschaft genossen, war A. der Ham-
burger Polizei verdächtig geworden und
auf Grund einer aufgefangenen Kor-
respondenz wurde er in Untersuchungs-
haft genommen. Nach einigen Wochen
vorläufig wieder freigelassen, ging er
in geheimer Sendung nach England.
Man hatte den abenteuerlichen Plan
gefaßt, Deutschland vom Norden aus
mit bewaffneter Hand zu revolutioniren,
um die immer stärker sich erhebende
Reaktion zu brechen. Natürlich war
seine Sendung eine vergebliche, da
Marx und andere Flüchtlinge das Un-
mögliche eines solchen Beginnens ein-
sahen, vor allen Dingen aber auch,
weil es ganz und gar an Mitteln zu
einem solchen Unternehmen gebrach. Bald
nach seiner Rückkunft nach Hamburg
wurde A. „wegen kommunistischer Um-
triebe" zu drei Monaten Gefängniß,
damals in Hamburg für politische Vergehen eine harte Strafe, ver-
urtheclt. Während A. im Gefängnisse saß, ging, zumal ihm auch
noch kurz vorher seine erste Frau gestorben war, sein kleines selbstän-
diges Geschäft zu Grunde und nur der Hilfe einiger Freunde, sowie
der Energie seiner zweiten Frau hatte er es zu danken, daß er
wenigstens seinen Webstuhl und einige Habseligkeiten aus diesem
Schiffbruche rettete. Leider ging die Haartuchweberei immer mehr
zurück, so daß A., schon ein bejahrter Mann, nur um etwas zu ver-
dienen, sich entschließen mußte, Dienstmann zu werden.

Im Jahre 1863 schloß A. sich sofort der durch Ferd. Lassalle
in's Leben gerufenen Bewegung und der dadurch zum ersten Male in
Deutschland gegründeten selbständigen politischen Arbeiterpartei an.
Später trat er den Eisenachern bei, und so hat er bis ins höchste
Greisenalter begeistert gekämpft für die Emanzipation des Arbeiter-
standes, für die Befreiung des Volkes aus dem Joche der Despotie
und dem Joche des Kapitals. Wie viele Rekruten, die tüchtige
Ofstziere wurden, hat der alte Audorf noch in späteren Jahren der
Sozialdemokratie angeworben! Besonders in Hamburg erinnert sich
noch Mancher mit dankbarer Anerkennung der Belehrung, welche er
zuerst von diesem Veteranen erhalten hat. Als seinen ersten Rekruten
wollen wir hier nur seinen Sohn Jakob Audorf jun., den be-
kannten Verfasser der Arbeiter-Marseillaise und anderer Lieder, unter
Lassalle Mitbegründer des „Allgemeinen deutschen Arbeitervereins",
nennen.

Nach langem, mühseligen und doch stets kampfesfreudigen Wirken
schloß der alte Audorf am 30. August seine Augen. Seine Beerdigung
gestaltete sich zu einer imposanten Kundgebung der Hamburger Arbeiter-
bevölkerung. Mehr als zehntausend Menschen mit vielen Fahnen
und Kränzen folgten am 2. September ds. Js. seinem Sarge. Un-
zählige Tausende sahen am Wege in Ehrerbietung diesen Trauerzug,
 
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