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- 1382 -

-L> Der thörichte Wolf. -Z-

von qans wagemuth.

Wieder brannte die Sonne mit aller Gluth des Sommers, und
Wolf's Arm ermattete malig, nun er seit Sonnenaufgang das Beil
geschwungen, um für den Gebieter Neuland zu roden. Krachend
stürzte ein Baum nach dem andern; wo sonst das Dickicht gewuchert,
sollte nun das Eisen der Pflugschar den Boden aufwühlen, dem
Pflüger würde der Sämann folgen, das weiße Linnen um die Lenden,
mit gerechtem Wurf den goldenen Samen in den dankbaren Schooß
der Muttererde zu werfen.

Müde ward der starke Wolf, die grauen Spinnweben des Schlafs
umhüllten ihn, und unter einer breitwipfeligen Linde sank er in
Schlummer.

Da schritt durch den Haag eine Frau, hager, mit schlohweißem
Haar, einen Spinnrocken trug sie in der Linken, und fest stützte sie
sich auf einen Weißdorn, >vie er am Wege wächst. Ihre Augen
funkelten, ihr Blick war scharf gleich dem eines Falken. Stracks
schritt sie auf den Schlafenden los. Mit festem Griff umschloß sie
seine Hand.

„Steh' auf und wandte," sprach sie, mit ihrem Stab einen Kreis
um Wolf umschreibend.

Der Wald verschwand ivie ein Nebelstreif a>n Morgen, den der
Wiiid verjagt.

Vor ihren Blicken lag in starker Umfriedung, mit Thurm und
Zinnen, mit Luginsland und Basteien die Stadt. Die Stadt mit
Bürgern in ihrem geschäftigen Treiben. Steil hob sich der Kirchthurm
aus dem Gewirr der Bürgerhäuser. Auf dem Markt drängten sich
die Käufer, vor ihren Häusern oder in enger Werkstatt hämmerten
und feilten, hobelten und bohrten die Handwerker.

Ueber die Zugbrücke des Stadtgrabens trieb Wolf sein Ochsen-
gespann, das beladen war mit Korn und Obst und Wolle. Der
Grundherr, der nicht mehr im Dorf, der jetzt hoch oben auf steiler
Bergeshöhe in fester Burg hauste, stolz herrschend über Hunderte von
Grundholden, die ihm zinsten und frohndeten, hatte Wolf in die
Stadt geschickt, ihm Spanndienst zu leisten und Erträge der Herr-
schaft beim Kaufherrn abzuliefern. Schwerfällig rollte der Karren
durch das Dunkel des Thorbogens.

war einmal, was einmal war, denn wenn es mcht
gewesen wäre, dann glaubte es Niemand. Damals
also lebte in einer Siedelung mitten im Forst ein
Mann, der hatte dort Haus und Hufe, Wald, Weide, Wiese und j
Wonne. Rings um den Besitz zog sich der Gürtel stolzer Wälder, j
Buchen und Tannen, ein Silberquell rieselte durch das Thal, die
goldene Sonne schien über der Flur, warm und befruchtend. In
den Hürden drängten sich starkvließige, sehnige Schafe, auf der Wiese
weideten Pferde und stattliche Rinder. Am Herde aber im geschnitzten
Sessel, ein weiches, dichthaariges Bärenfell zu Füßen, saß der Herr,
der über alle die Herrlichkeiten gebot, und trank Meth aus gold-
beschlagenein Horn. Zu ferner Rechten lehnte der Wurfspeer, ein
knorriger Eschenstamm mit schneidiger Stahlspitze, und an der Wand
hing der Schild mit goldenen Buckeln verzieret.

Im Hof und auf dem Felde schaltete derrveilen sein Knecht, den
hießen sie überall den thörichten Wolf. Der Knecht säte und erntete,
schor die Schafe und melkte die Kühe, ging hinterm Pfluge und
schwang auf der Tenne den klappernden Dreschflegel. Vor Morgen-
grauen stund er auf und wirkte, Abends aber, wenn der Kien-
span im Gemach des Herrn schon erloschen war, rührte Wolf noch |
immer die muskelstarken Glieder. So hatte es ihm der schicksals-
schwere Wille der Normen gefügt, und willig trug Wolf der Knecht-
schaft eisernes Joch.

,Stet)' auf und Ivaudle."
 
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