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1398

Die ÄHolera in Eitschendorf. <<*-

^er Herr Spinnereibesitzer Quappel, ein ivohlbeleibtes Männchen
mit kurzen Beinen und großer Glatze, saß im Komptoir in
seinem Lehnstuhl und rieb sich vergnügt die Hände; aus
seinen schief geschlitzten Schweinsäuglein
blitzte eine grimmige Freude.

„Endlich soll der Freimund, der nieder-
trächtige Kerl, daran glauben," murmelte
Herr Quappel.

Freimund war sein erster Spinnmeister
und hatte sich auf verschiedene Weise den
Groll des Prinzipals zugezogen. Erstens
war er ganz offenkundiger Sozialdemokrat,
während Herr Quappel natürlich zum Ord-
nungsbrei gehörte. Zweitens wachte Frei-
mund streng darüber, daß die gesetzlichen
Vorsichts- und Arbeiterschutzmaßregeln in
der Fabrik ordnungsgemäß durchgeführt
wurden, und das störte Herrn Quappel, den
Ordnungsmann, ganz ungemein. Freimund
wäre daher schon längst entlassen worden,
wenn Herr Quappel einen passenden Ersatz
für den umsichtigen und geschickten Spinn-
meister gehabt hätte.

Heute waren nun zwei Umstände ein-
getreten, welche dahin zusammenwirkten,
das Schicksal Freiinund's zu besiegeln. Herr
Quappel war dahinter gekommen, daß Frei-
mund mit seiner, des Prinzipals Tochter,
der hübschen Rosine, ein Liebesverhältniß
unterhielt; es war eine Zusammenkunft der
beiden Liebenden belauscht und dem Ge-
strengen denunzirt worden. Ferner hatte sich gerade zu rechter Zeit
ein auswärtiger Spinnmeister, ein gewisser Muck, welcher die besten
Zeugnisse von der Firma Zwockel & Co. in Przczicziczlaw mitbrachte,
um Stellung beworben. Der
gewünschte Ersatz war also
gefunden und das Maß der
Sünden Freimund's zum
Ueberlaufen voll. Letzterer
wurde ins Komptoir zitirt.

„Guten Morgen, Herr
Quappel!" grüßte Freimund
in gemüthlichem Tone. Er
wußte längst, was ihm be-
vorstand; der Alte hatte es
in seinem Zorne schon in der
Fabrik herumgeschrien. Nun
wollte er die Gelegenheit be-
nutzen, um seinem Tyrannen
einmal ordentlich die Mei-
nung zu sagen.

„Ich will Ihnen nur
mittheilen," sprach Quappel
hochmüthig, „daß Sie die
längste Zeit Spinnmeister
bei mir gewesen sind."

„Da haben Sie recht,"
bemerkte Freimund, „kein
Anderer hat es so lange bei
Ihnen ausgehalten; ich war
in der That die längste Zeit
da und danke recht sehr
für freundliche Anerkennung
dieses Opfers."

„Schwätzen Sie keinen
Unsinn," rief Quappel. „Sie
haben meine Unzufriedenheit
im höchsten Grade erregt.

Sie haben meine Arbeiter
zu sozialdemokratischen Bestrebungen verleitet."

„Na, bei den Hungerlöhnen, die Sie zahlen, war das auch nöthig."

„Sie ärgern mich bei jeder Gelegenheit," fuhr Quappel zornig
fort. „Der Aerger schädigt meine Gesundheit, und Gesundheit ist das
höchste Gut."

„Dann sollten Sie auch die Arbeiter bedenken und nicht so lange
arbeiten lassen."

„Hören Sie," sprudelte Quappel hervor, „Sie haben sich darum
nicht mehr zu kümmern. Sie sind jetzt aus
meiner Fabrik entlassen."

„Eben deshalb wollte ich Ihnen noch
zum letzten Male ins Gewissen reden."

„Und noch mehr!" klagte der Prinzipal,
„Sie stören sogar den Frieden meiner
Familie, Sie haben sich meiner Tochter
genähert."

Freimund ließ sich nicht aus der Fassung
bringen.

„Seien Sie doch froh," sagte er. „Die
Schwiegersöhne wachsen heutzutage nicht
auf den Bäumen. Ich meine es ehrlich mit
Rosine und werde sie heirathen."

Herr Quappel schlug mit der Faust auf
den Tisch.

„Machen Sie, daß Sie fortkommen! Sie
wären mir der Rechte! Ich brauche einen
reichen Schwiegersohn. Sie können auf
meine Einwilligung warten bis zum jüngsten
Tage."

„Das wäre mir zu lange," bemerkte
Freimund. „Aber Rosine ist in einem halben
Jahre mündig, und dann bedarf sie Ihrer
Einwilligung nicht."

„Oho! Und mein väterlicher Segen?"
stieß Herr Quappel ganz perplex hervor.
„Ach, lieber Herr Ouappel," erwiderte
I Freimund vertraulich, „iverden Sie nur nicht sentimental. Sie fluchen
! und schimpfen den ganzen Tag in der Fabrik herum, ohne damit etwas
j Rechtes zu erzielen; glauben Sie wirklich, daß Sie sich zum Segen-
spender besonders eignen?"

„Ich weiß, daß Sie
gottlos sind," sagte Ouappel,
noch immer verblüfft von der
kecken Sprache Freimund's,
„aber wenn Sie auch den
Segen nicht achten — wo kein
Segen, da keine Mitgift!"

„Dulieber©ott! Siesa-
gen selbst, daß Sie sich einen
reichen Schwiegersohn wün-
schen; Sie spekuliren also
auf das Geld anderer Leute.
Da wird es mit der Mitgift
nicht so glänzend aussehen."

Quappel wurde puter-
roth vor Zorn; er konnte nur
noch kreischen und mit der
Hand nach der Thür deuten,
was Freimund veranlaßte,
die Fopperei einzustellen
und mit einem vertraulichen
Kopfnicken fortzugehen.

„Der Aerger, der Aer-
ger," jammerte Quappel,
als Freimund das Komptoir
verlassen hatte. „Meine Ge-
sundheit geht darüber zu
Grunde!"

Herr Quappel gehörte
zu den Leuten, die fort-
ivährend für ihre Gesundheit
bangen, obgleich ihnen nie
etwas fehlt.

' Noch am Nachmittag
desselben Tages traf Freimund den neuen Spinnmeister in einem kleinen
Wirthshause unweit der Fabrik. Es war ein Böhme, ein unscheinbares
Männchen mit grauer Gesichtsfarbe und aufgestülpter Nase.

„Ihr neuer Chef," sagte Freimund, nachdem er sich mit dem
Böhmen bekannt gemacht hatte, „hat die Gewohnheit, in den Arbeits-

Er klagt über Cholera-AnMe," wurde berichtet.
 
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