Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
1S99

Men herumzulaufen und über Alles zu nörgeln und zu schimpfen.
Daran brauchen Sie sich aber nicht zu kehren."

„Werde ich mir stopfen Werg in Ohren meiniges." sagte Muck.
„Und wenn er Ihnen zu viel zumuthet. brauchen Sie blos Krank-
heit vorzuschützen, da kommt er Ihnen nicht zu nahe, denn er fürchtet
selbst bei Zahnschmerzen die Ansteckungsgefahr.

"^rde ich immer haben die Cholera." sagte Muck.

^tLholera! Ein guter Gedanke, denn die fürchtet er am meisten."
weiteren Verlause des Beisammenseins zeigte sich Freimund
S,«" Kollegen und Nachfolger freigebig und spendirte namentlich
■ Kränke. Muck war nicht blöde und gelangte nach und
eme selige Stimmung.

s .. eus am andern Morgen der Böhme sein Amt antrat, war diese
"Lkeit allerdings einem großmächtigen Kater gewichen. Muck sah
aus. Fine Augen waren gläsern und er klagte sehr über Leibweh.
Quappel gefiel diese Jammergestalt gar nicht.

„Was ist's denn mit Ihnen?" fragte er mürrisch, als er den
buen Spinnmeister zusainmengekrüunnt auf einer Bank sitzen sah.
f,, "Nch, ich bin so krank!"

1 ”'e"tivte der Böhme.

. "^ran!?" Herr Quappel
M einen Schritt zurück.

„werden sich j,n Trinken über-
°»nnen haben; sollen gestern
^hge m der Schenke gewesen
räsonnirte er dann.

Der Böhme betheuerte,

^ t>ies nicht der Fall; schon
<■!. ganzen Reise habe er
t so elend gefühlt.

„So?" fragte Quappel
^°ohnt. und zog sich aus der
iahe des Kranken zurück.

. »Was fehlt ihm denn
dsgontlich?" fragte er dann
b>nen anderen Arbeiter.

„ „Er klagt über Cholera-
infälle," wurde berichtet.

«Was? Cholera?" Herr
Cappel erblaßte.

. „Na. freilich! Er kommt
0 . direkt aus dem Cholera-
der russischen

Grenze her.»

r,... Quappel rannte sporn-
e>chs davon.

die .Ä!^ivischen wurden auch
rub Mitarbeiter Muck's un-
Ücli ' Arbeitssaal leerte U
beis„,!!!"n stand in Gruppen

e Cholera eingeschleppt

^ x'} es kein Spaß, da geht es ja um Tod und Leben," hieß es.
er Quappel selbst hatte sich in sein Koi"'^"'" »»««**»*
m Befehl gab. Aerzte herbeizuschaffen.

. ch einer Stunde, in welcher die Arbeit |

Ruhe sein Katerfrühstück, einen gesalzenen Häring.
Der

>vnr und .7'" Stunde, in welcher die Arbeit fast ganz unterbrochen
oerzeh^j Muck in Ruhe sein Katerfrühstück, einen gesalzenen Särina,
Der' ramen nacheinander zwei Aerzte an.

Unwohl,- derselben fand den Fall unbedeutend; ein gewöhnliches

hervorgerufen durch Erkältung oder Ueberladung des
Sachx , ungewohnter Nahrung. Der zweite Arzt machte die

Ghole

^era nostras vorliegen.

ras.

In

Nusspruch ging wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund,
truz — also dock
„Was hat er?"

»Cholera y. -

nostras u 0stras — also doch Cholera!" — „Freilich Cholera, sogar

Arztes'^ er °Uvas verkrüppelten Form wurde der Ausspruch des
gar nich^^"s^"^^bl gemeldet. Quappel öffnete die Komptoirthüre
der Glastb"dM.' sonder» rief seine Befehle durch ein Klappfenster in
Hause hinaus. Er befahl, den Kranken augenblicklich aus dem

Muck "

„Cholera und noch was!"

,^apen. Es wurde ^^^rhaupt^or^echusen. ^xt^man,

Atuck heran, die meisten Leute secen r ^<„,era. Endlich uw . ^ g

Alles flüchte sich u°r Ä i* beschüsUgU Muck
der Spmnmeister Freimund sec nut den ne a __

Krankenhaus überzuführen. in seinem Öet^ >

Herr Quappel athmete aus und beschM« ' wollte er es
Freimund zu behalten und ihm Alles abz

wagen, das Komptoir zu verlassen und in die Familienwohnung zu
retiriren, welche doch etwas weiter von der Fabrik lag.

Da kam eine neue Schreckenskunde. „Fräulein Rosine ist plötzlich
erkrankt. Sie jammert und wehklagt und weist jede Nahrung zurück."
meldete das Stubenmädchen.

„Also schon ein Cholerafall in der Familie! Jetzt ist Alles ver-
loren!" seufzte Quappel und sank verzweifelt in seinen Sessel.

Inzwischen hatte Freimund nicht wenig Mühe damit gehabt, den
Böhmen weiter zu befördern.

Als nämlich Muck das Aufsehen bemerkte, welches seine Krankheit
hervorrief, da ward er selber ängstlich. Es schmerzte ihn ja wirklich
im Kopfe und im Leibe, die Angst und die Einbildung verdoppelten
die Schmerzen — ja wohl, er hatte wirklich die Cholera, die Aerzte.
die ihn beruhigten, wollten es nur vertuschen, sie wollten ihn still-
schweigend sterben und begraben lassen!

„O ich Mensch unglückliches, muß ich sterben an Cholera elendige!"
jammerte er.

Freimund faßte ihn unter die Arme und trug ihn mehr als er ihn

führte, zum Spital. Inzwischen
verbreitete sich die Schreckens-
kunde vom Ausbruch der
Cholera in ganz Titschendorf
und selbst im Spital traf man
für alle Fälle Vorsichtsmaß-
regeln. —

Nach zwei Stunden wurde
an der Thüre des Komptoirs
geklopft, in welchem Quappel
noch immer verharrte.

„Jetzt wollen sie wahr-
scheinlich die gelbe Flagge auf-
stecken." stöhnte er.

Aber so schlimm war's
nicht. „Herr Quappel. Sie
sollen zum Mittagessen kom-
men." rief das Stubenmädchen.

Der Gerufene schaute vor-
sichtig durch die Glasscheibe.
„Wie geht es meiner Tochter
Rosine?" fragte er.

„Die ist wohl und munter;
Herr Freimund ist bei ihr, der
hat sie beruhigt. Und dafür ist
er von Ihrer Frau zu Tische
geladen worden."

Herr Quappel athmete tief
auf. Die Cholera war also
noch nicht in der Familie.
Gegen die Maßnahme seiner
Frau betreffs Freimund's
■> wagte er nicht zu opponiren, die

Gattin war die höchste Instanz
im Hause und Herr Quappel war wie viele Polterer ein Pantoffelheld.

„Und wie steht's in der Fabrik? Ist noch Jemand krank?"

„Alles steht gut; die Leute, welche glaubten, die Cholera sei da.
sind schon aufgeklärt; am Nachmittag geht die Arbeit ihren gewohnten
Gang. Herr Freimund hat Alles in Ordnung gebracht."

Auf diesen Bericht hin wagte sich Quappel aus dem Komptoir
und empfing von seiner ihn erwartenden Frau noch eine sanfte Rüge,
daß er so kopflos sich verkrochen habe. Freimund habe inzwischen
Alles gethan. um dem unsinnigen Gerücht Einhalt zu gebieten, so daß
die Fortsetzung des Betriebs ermöglicht sei. „Und diesen umsichtigen
Mann wolltest Du entlassen?" schloß die Gattin vorwurfsvoll.

Quappel wagte es nicht. Einwendungen zu machen, auch dann
nicht, als seine resolute Frau nach dem Braten ihm ankündigte,
daß die innige Liebe zwischen Rosine und Freimund mit dem Segen
der Eltern belohnt werden müsse.

Wir haben jetzt nur noch zu berichten, daß Muck der Böhme,
froh, nicht an der Cholera gestorben zu sein, wieder nach seinem ge-
liebten Przcicziczlaw zurückkehrte.

Quappel selbst zog sich von den Geschäften gänzlich zurück, er
überließ die Leitung seinem Schwiegersohn und brauchte somit die
gefährlichen Fabrikräume nicht mehr zu betreten, wo die Ansteckungs-
gefahr in allen Winkeln auf ihn lauerte.

Ein beliebtes Gespräch in der ganzen Gegend aber bildete noch
auf lange Zeit — der Ausbruch der Cholera in Titschendorf. der
Freimund eigentlich sein Glück zu verdanken hatte.
 
Annotationen