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1406

hob und er bemühte sich auch nicht, das Maskengeheimniß streng zu
wahren; nach einem kurzen flüchsigen Gespräch ging er weiter.

Jetzt stand er mitten im Menschengewoge des großen Saales; da
trat ein Page an ihn heran, überreichte ihm mit Grandezza ein kleines
versiegeltes Billet und verschwand wieder.

Der Bürgermeister las und schüttelte den Kopf. „Eine dringende
Botschaft aus dem Ministerium sei eingegangen? Sollte es die längst
erwartete Nachricht betreffs der Eisenbahn sein? . . . Aber kann ich jetzt
das Fest verlassen?"

Er überlegte, dann
schritt er dem Ausgange
des Ballsaales zu.

Bald darauf erschien
Philipp der Zweite wieder
im dichtesten Masken-
gewimmel. Er war gut
gelaunt, scherzte mit eini-
gen Damen in Rokoko-
kostüm, indem er ihnen
sagte, sie hätten es nicht
nöthig gehabt, sich noch
älter zu machen, als sie
ohnedies schon seien, und
antwortete auf die höf-
lichen Grüße derer, die
ihn als Bürgerineister er-
kannten, init stolzer Herab-
lassung.

Nachdein er den Saal
durchschritten, kam er auch
zu dem Tische der Raths-
herren aus dein sechzehnteir
Jahrhundert, die ihn schon
vorhin begrüßten.

„Das ist die Philister-
Ecke," spottete er.

„Hat König Philipp
seinen Posa schon gefun-
den ?" fragte einer der
Rathsherren.

„Ha, ha," lachte der
Angeredete, „er soll mir
nur kommen, der Posa,
der verwünschte Sozial-
demokrat! Ich lasse ihn
per Schub aus der Stadt
bringen."

„Natürlich, Sozial-
demokraten schont er nicht,
das beiveist die Ausräuche-
rung Eckhoff's," wurde
eingeworfen.

Köirig Philipp der
Ziveite drehte sich nach dein
Sprecher um.

„Was wißt denn Ihr
von Eckhoff?" fragte er

mit verächtlichem Ton. „Glaubt Ihr, ich wende mein gutes Geld auf,
mir Euch die Sozialdeiuokraten vom Halse zu schaffen, damit Ihr ruhig
schlafen rrnd die Arbeitslöhne nach Belieben herabdrücken könnt? Neiir,
hier walteten höhere Staatsrücksichten! Ich muß die Rothe Schenke
haben, weil sie an der projektirteir Bahirlinie liegt, rmd das Terrain
sich für das Bahnhofsgebäude eignet. Das gießt dann ein vortreffliches
Geschäft."

Die Andern hörten dieses Bekenntniß höchst verdutzt an.

„Da hätteir doch die Stadtverordneten auch ein Wort mitzusprechen,"
wandte einer der Bürger ein.

„Ach, bei diesen Kaffem setzt man durch, was man will," sagte
der König Philipp verächtlich.

„Oho, das geht zu weit!" rief einer der Umsitzenden, der selbst als
Stadtverordneter fungirte.

„Ist es wahr, daß der Stadtschreiber Urban entlassen wird?" fragte
ein Anderer, in der Absicht, die ungewöhnliche Geschwätzigkeit des Bürger-
meisters zur Erforschung von internen Angelegenheiten auszunützen.


„Heda, Alba, wie viel Sozialisten hast Du heute hängen lassen?"

Der Gefragte klopfte dem Wißbegierigen vertrauensvoll auf die
Schulter. „Freilich ist es wahr," sagte er. „Wissen Sie, der Knabe
Karl fing an, mir fürchterlich zu werden; er ist zu klug, und ich habe
nicht gern kluge Leute in meinen Bureaus. Sie schauen mir zu gern
in die Karten. Da lobe ich mir unfern Polizeidirektor . . . sehen Sie,
da kommt er gerade auf uns zu; er geht als Herzog Alba, ich erkenne
ihn an den Säbelbeinen. Sie glauben nicht, meine Herren, wie dumm
der ist. Der letzte Gensdarm hat mehr Mutterwitz."

Das Bestemden der
Zuhörer wuchs. Solche
Reden waren im Kasino
noch nicht über die löb-
liche Polizei geführt wor-
den. Und obendrein vom
Bürgermeister? „König
Philipp scheint einen be-
deutenden Schwibs zu
haben," äußerte man zienr-
lich laut.

„Sonderbarer Schwär-
mer!" sagte die Königs-
maske. „Als ob man
betrunken sein müßte, um
die Wahrheit zu sagen. —
Heda, Alba," rief sie dem
nähertretenden Polizei-
direktor zu, „wie viel
Sozialisten hast Du heute
hängen lassen?"

„Mein Herr, was unter-
stehen Sie sich — ?" ftagte
der Mann in der Tracht
Alba's.

„Es ist der Bürger-
meister; er scherzt nur,"
begütigte man. Alba trat
schweigend zurück.

„Da steht er wie die
Krähe im Salat," spottete
der vermeintliche Bürger-
meister.

Einer der Rathsherren
trat nahe an ihn heran.

„Herr Bürgermeister,"
sagte er leise, „würde es
nicht besser sein, wenn
Sie sich ein wenig mäßig-
ten? Fürchten Sie nicht,
unliebsames Aufsehen zu
erregen?"

„Pah!" rief König Phi-
lipp, „ivenn ich einmal zu
fürchten angefangen, Hab'
ich zu fürchten aufgehört.
Aber Euch, wie Ihr da
zusammen sitzet, fürchte
ich gar nicht. Da sitzt zum
Beispiel der dicke Heinze
mit den Brillantringen,
der schoir dreimal Banke-
rott gemacht hat; da der Cohn, der bei Gründung der Kreditbank das
Zuchthaus mit dein Aermel streifte; und da der Herr von Nichtsheim,
der —"

Bei den letzten Aeußerungen sprangen Alle entrüstet auf. „Halt!
Genug! Er ist sinnlos betrunken!" rief man durcheinander. „Ist es
wirklich der Bürgermeister?" fragten Mehrere.

„Er ist es, ich erkannte ihn, als er uns beim Trinken Bescheid that,"
wurde geantwortet.

„Ihr Benehmen ist ein unwürdiges," erklärte ein Rathsherr gegeir-
über der Königsmaske, welche höhnend antwortete:

„Stolz will ich bei: Spanier."

„Sie sind ein Flegel," rief der dicke Heinze.

„Da haben Sie ganz Recht," sagte die Maske König Philipps, und
schüttelte sich vor Lachen.

„Das ist keine Betrunkenheit mehr... der Bürgermeister ist —
wahnsinnig geworden," äußerte der Stadtverordnete ängstlich zu den
Umstehenden.
 
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