1407
Wahnsinnig — das war die einzige Erklärung. „Schnell einen
Arzt!" „Einige handfeste Diener!" „Schnell!"
Mehrere eilten hinweg, Andere drängten sich herbei, um zu erfahren,
was es gäbe, und als man sich nach der Königsmaske umsah, war sie
>m Gewühl verschwunden.
Inzwischen waren zwei auf dem Feste anwesende Acrzte von dem
Sachverhalt unterrichtet und allgemein ging die Frage: „Wo ist der
Bürgermeister?"
„Er trägt die Maske Philipp des Zweiten," wurde als Erkennungs-
zeichen hinzugefügt.
Endlich kam Bescheid, er sitze ün Bierstübl; als man dorthin eilte,
begegnete man wirklich dem König Philipp, der sich soeben in den Saal
begeben wollte.
Die Aerzte hielten ihn au.
„Begeben Sie sich ums Himmelswillen nicht wieder in den Saal!
Treten Sie in dies Kabinet! Ihr Puls! Ihre Nerven . . .!"
„Was wollen Sie denn von
mir?" fragte der Angeredete in
maßlosem Erstaunen.
„Das Aufsehen der pein-
lichen Szene von vorhin ist schon
schlimm genug," betonte der Stadt-
verordnete.
„Peinliche Szene? Aufsehen?
Was ist denn passirt?" lauteten
die Fragen des König Philipp.
„Er weiß schon von nichts
'»ehr; kein Zweifel, er ist wahn-
sinnig geworden," flüsterte mau
sich zu.
„Ich will wissen, was das
Alles zu bedelllen hat," donnerte
jetzt der Angcyaltene.
Die Aerzte begütigten; aus
schonenden Aeußerungen entnahm
derBürgermeister, daß er derMittel-
puukt einer Skandalszcnc gewesen
sein solle.
„Aber ich war ja gar nicht
0"! Ich wurde abgerufeu mit
einer Meldung, die sich als falsch
erwies."
„Wir Alle haben Sie gesehen,"
beharrtcn die Andern.
„Sie erwähnten unter Anderm
das Projekt, auf dem Terrain der
Rothen Schenke den künftigen Bahn-
hof zu erbauen," bemerkte der Stadt-
verordnete.
Der Bürgermeister prallte zu-
rück ; er mußte sich auf einen Stuhl
setzen, so heftig wirkte die Ucber-
raschung.
„Das hätte ich Ihnen gesagt . . .?" rief er angsterfüllt aus.
„Jetzt besinnt er sich schon," hieß es.
Da trat eine Maske in der Tracht Mephisto's mitten unter die Gruppe.
„Was will man von diesenr Herrn?" fragte der Ankömmling.
„Er ist krank; er entsinnt sich einer Szene nicht mehr, die vor wenigen
Minuten spielte."
„Unsinn! Das ist ein Mißverständuiß. Kommen Sie, mein Herr,"
sagte Mephisto, und führte den Stadtgewaltigen in eine Nische. „Ich bin
Urban, der Stadtschrciber, Ihr Famulus, und hoffe Sie aus der Klemme
ru ziehen."
„Sagen Sie mir erst, was eigentlich vorgeht," erwiderte der noch
nnmer betroffene Bürgermeister.
Urban zuckte die Achseln. „Eine Maske, König Philipp, in der Viele
^>e selbst erkannt zu haben behaupten, hat Dinge ausgeplaudert, die nur
^e wissen konnten. Wenn Sie diesen König Philipp nicht von sich
ftdschutleln, wird Alles, was er gesagt und gethan hat, auf Ihnen sitzen
vleiben und Ihre Autorität ist rettungslos verloren."
„Was läßt sich hier thun?"
Mephisto überlegte. „Unter gewissen Bedingungen würde ich mich
für Sie opfern und durch Tausch unserer Kostüme den König Philipp
auf mich nehmen. Die Sache hat keine Schwierigkeiten, da ivir an Größe
und Stärke uns gleich sind und die Zeit bis zur Demaskirung gerade
noch ausreicht."
„Das wäre allerdings eine Rettung," rief der Bürgermeister. „Ihre
Entlassung aus dein Dienst nehnic ich zurück, wenn Sie niir diesen Ge-
fallen thun."
„Halt, das genügt nicht," sagte Mephisto. „Sie wissen nicht, welche
tollen Streiche Ihr König Philipp begangen hat. Mit Ihrem Bahnhofs-
projekt ist's doch nichts, nachdem die Welt davon weiß; lassen Sie also
die Rothe Schenke unangetastet und Eckhoff in Besitz seines Hauses."
„Aber mein Geld steht darauf."
„Um so mehr haben Sie Ursache, jede Maßregelung gegen den Be-
trieb dieser Wirthschaft künftig zu unterlassen, damit sie florirt und Sie
pünktlich Ihre Zinsen bekommen. Sic müssen eben der Polizei alle ihre
kleinlichen Chikancn gegen die ehr-
lichen Leute in der Rothen Schenke
verbieten."
„Und wenn ich darauf nicht
eingehe?"
„Dann sind Sie bei der De-
maskirung König Philipp, der int
betrunkenen Zustande seine Ge-
heimnisse ausgcplaudcrt hat. Wir
haben jetzt noch ungefähr zehn
Minuten Zeit."
Als ein Trompcteutusch die
Demaskirung signalisirte, richteten
sich aller Augen auf den König
Philipp, der soeben wieder im Saale
erschienen ivar. Ruhig nahm er
die Maske ab.
„Ah! Oho! Der Stadtschreiber
Urban? Das ist stark! Aber wo
ist der Bürgermeister?"
„Hier bin ich! Wer wünscht
etivas von mir?" fragte Mephisto,
in welchem nian den Bürgermeister
erkannte, ivie man in Urban den
König Philipp erkannt hatte.
Gegen letzteren brach ein
Sturm der Entrüstung los, und
als der Bürgermeister vor dem
Portal des Kasinos seinen Wagen
herbeirief, gelangte auch Urban an
die frische Luft, und zwar an-
scheinend nicht ganz freiwillig.
Mit den Worten König Phi-
lipps: „Kardinal, ich habe das
Meinige gethan, thun Sic das
Ihre," verabschiedete sich Urban
von dem Bürgermeister.
Der Skandal, den der Stadtschreiber Urban angcrichtct hatte, wurde in
einer geheimen Sitzung des städtischen Kollegiums unterdrückt. Gar mancher
von den respektablen Stadtväteru hatte, ivie man zu sagen pflegt, „Dreck
am Stecken," und so schien es Allen gerathen, Urban mit einem strengen
Verweis davon kommen zu lassen, den der Stadtschreiber schmunzelnd
einsteckte. Der Bürgermeister hielt übrigens sein Wort, die Rothe Schenke
blieb fortan unbehelligt; es schien, als wenn der krummbeinige Polizei-
dircktor den Weg dahin vergessen hatte.
* *
*
Unsere Leser werden bereits die Lösung des Räthscls gefunden haben.
Der Stadtschreiber Urban hatte die Geschichte mit dem Billet iuszenirt,
um unter Beihilfe des Garderobiers in einem dein des Bürgermeisters
genau uachgcbildeten Kostüui den Stadtgewaltigen erst zu blamiren und
dann zu retten — gegen das Versprechen, die Rotheu ungeschoren zu
lassen. Es war eine kleine sozialdemokratische Verschwörung, die mit
einem Siege endete. sw. ji.
Ta trat eine Maske in der Tracht Mephisto's mitten unter die Gruppe.
Wahnsinnig — das war die einzige Erklärung. „Schnell einen
Arzt!" „Einige handfeste Diener!" „Schnell!"
Mehrere eilten hinweg, Andere drängten sich herbei, um zu erfahren,
was es gäbe, und als man sich nach der Königsmaske umsah, war sie
>m Gewühl verschwunden.
Inzwischen waren zwei auf dem Feste anwesende Acrzte von dem
Sachverhalt unterrichtet und allgemein ging die Frage: „Wo ist der
Bürgermeister?"
„Er trägt die Maske Philipp des Zweiten," wurde als Erkennungs-
zeichen hinzugefügt.
Endlich kam Bescheid, er sitze ün Bierstübl; als man dorthin eilte,
begegnete man wirklich dem König Philipp, der sich soeben in den Saal
begeben wollte.
Die Aerzte hielten ihn au.
„Begeben Sie sich ums Himmelswillen nicht wieder in den Saal!
Treten Sie in dies Kabinet! Ihr Puls! Ihre Nerven . . .!"
„Was wollen Sie denn von
mir?" fragte der Angeredete in
maßlosem Erstaunen.
„Das Aufsehen der pein-
lichen Szene von vorhin ist schon
schlimm genug," betonte der Stadt-
verordnete.
„Peinliche Szene? Aufsehen?
Was ist denn passirt?" lauteten
die Fragen des König Philipp.
„Er weiß schon von nichts
'»ehr; kein Zweifel, er ist wahn-
sinnig geworden," flüsterte mau
sich zu.
„Ich will wissen, was das
Alles zu bedelllen hat," donnerte
jetzt der Angcyaltene.
Die Aerzte begütigten; aus
schonenden Aeußerungen entnahm
derBürgermeister, daß er derMittel-
puukt einer Skandalszcnc gewesen
sein solle.
„Aber ich war ja gar nicht
0"! Ich wurde abgerufeu mit
einer Meldung, die sich als falsch
erwies."
„Wir Alle haben Sie gesehen,"
beharrtcn die Andern.
„Sie erwähnten unter Anderm
das Projekt, auf dem Terrain der
Rothen Schenke den künftigen Bahn-
hof zu erbauen," bemerkte der Stadt-
verordnete.
Der Bürgermeister prallte zu-
rück ; er mußte sich auf einen Stuhl
setzen, so heftig wirkte die Ucber-
raschung.
„Das hätte ich Ihnen gesagt . . .?" rief er angsterfüllt aus.
„Jetzt besinnt er sich schon," hieß es.
Da trat eine Maske in der Tracht Mephisto's mitten unter die Gruppe.
„Was will man von diesenr Herrn?" fragte der Ankömmling.
„Er ist krank; er entsinnt sich einer Szene nicht mehr, die vor wenigen
Minuten spielte."
„Unsinn! Das ist ein Mißverständuiß. Kommen Sie, mein Herr,"
sagte Mephisto, und führte den Stadtgewaltigen in eine Nische. „Ich bin
Urban, der Stadtschrciber, Ihr Famulus, und hoffe Sie aus der Klemme
ru ziehen."
„Sagen Sie mir erst, was eigentlich vorgeht," erwiderte der noch
nnmer betroffene Bürgermeister.
Urban zuckte die Achseln. „Eine Maske, König Philipp, in der Viele
^>e selbst erkannt zu haben behaupten, hat Dinge ausgeplaudert, die nur
^e wissen konnten. Wenn Sie diesen König Philipp nicht von sich
ftdschutleln, wird Alles, was er gesagt und gethan hat, auf Ihnen sitzen
vleiben und Ihre Autorität ist rettungslos verloren."
„Was läßt sich hier thun?"
Mephisto überlegte. „Unter gewissen Bedingungen würde ich mich
für Sie opfern und durch Tausch unserer Kostüme den König Philipp
auf mich nehmen. Die Sache hat keine Schwierigkeiten, da ivir an Größe
und Stärke uns gleich sind und die Zeit bis zur Demaskirung gerade
noch ausreicht."
„Das wäre allerdings eine Rettung," rief der Bürgermeister. „Ihre
Entlassung aus dein Dienst nehnic ich zurück, wenn Sie niir diesen Ge-
fallen thun."
„Halt, das genügt nicht," sagte Mephisto. „Sie wissen nicht, welche
tollen Streiche Ihr König Philipp begangen hat. Mit Ihrem Bahnhofs-
projekt ist's doch nichts, nachdem die Welt davon weiß; lassen Sie also
die Rothe Schenke unangetastet und Eckhoff in Besitz seines Hauses."
„Aber mein Geld steht darauf."
„Um so mehr haben Sie Ursache, jede Maßregelung gegen den Be-
trieb dieser Wirthschaft künftig zu unterlassen, damit sie florirt und Sie
pünktlich Ihre Zinsen bekommen. Sic müssen eben der Polizei alle ihre
kleinlichen Chikancn gegen die ehr-
lichen Leute in der Rothen Schenke
verbieten."
„Und wenn ich darauf nicht
eingehe?"
„Dann sind Sie bei der De-
maskirung König Philipp, der int
betrunkenen Zustande seine Ge-
heimnisse ausgcplaudcrt hat. Wir
haben jetzt noch ungefähr zehn
Minuten Zeit."
Als ein Trompcteutusch die
Demaskirung signalisirte, richteten
sich aller Augen auf den König
Philipp, der soeben wieder im Saale
erschienen ivar. Ruhig nahm er
die Maske ab.
„Ah! Oho! Der Stadtschreiber
Urban? Das ist stark! Aber wo
ist der Bürgermeister?"
„Hier bin ich! Wer wünscht
etivas von mir?" fragte Mephisto,
in welchem nian den Bürgermeister
erkannte, ivie man in Urban den
König Philipp erkannt hatte.
Gegen letzteren brach ein
Sturm der Entrüstung los, und
als der Bürgermeister vor dem
Portal des Kasinos seinen Wagen
herbeirief, gelangte auch Urban an
die frische Luft, und zwar an-
scheinend nicht ganz freiwillig.
Mit den Worten König Phi-
lipps: „Kardinal, ich habe das
Meinige gethan, thun Sic das
Ihre," verabschiedete sich Urban
von dem Bürgermeister.
Der Skandal, den der Stadtschreiber Urban angcrichtct hatte, wurde in
einer geheimen Sitzung des städtischen Kollegiums unterdrückt. Gar mancher
von den respektablen Stadtväteru hatte, ivie man zu sagen pflegt, „Dreck
am Stecken," und so schien es Allen gerathen, Urban mit einem strengen
Verweis davon kommen zu lassen, den der Stadtschreiber schmunzelnd
einsteckte. Der Bürgermeister hielt übrigens sein Wort, die Rothe Schenke
blieb fortan unbehelligt; es schien, als wenn der krummbeinige Polizei-
dircktor den Weg dahin vergessen hatte.
* *
*
Unsere Leser werden bereits die Lösung des Räthscls gefunden haben.
Der Stadtschreiber Urban hatte die Geschichte mit dem Billet iuszenirt,
um unter Beihilfe des Garderobiers in einem dein des Bürgermeisters
genau uachgcbildeten Kostüui den Stadtgewaltigen erst zu blamiren und
dann zu retten — gegen das Versprechen, die Rotheu ungeschoren zu
lassen. Es war eine kleine sozialdemokratische Verschwörung, die mit
einem Siege endete. sw. ji.
Ta trat eine Maske in der Tracht Mephisto's mitten unter die Gruppe.