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1434

HM* Dichtung und Wahrheit.

^er Dichter singt in seinen sritzen Tönen
Das ewig junge Lied aus alter Zeit,

Das Lied vorn Zarten und das Lied vorn Schönen»
Das Lied zum Lob der holden Weiblichkeit;

Von Feueraugen und von Rosenwangen
Und von dem tief verschämten Liebesblick —

Doch steh, des Volkes Tochter liegt gefangen
Und bleicht im Staub und Dunste der Fabrik.

Der Dichter singt uns von dem Rindersegen,

Den Gattenliebe hat ins Haus gebracht,
wie eifrig linde Muttcrhände pflegen
Und wie das treue Mutterauge wacht;

Ls schwindet all' dein Gram und all' dein Haffen,
wenn du erschauen magst das Mutterglück -
Doch ach, des Volkes Rinder sind verlassen,

Die Mutter quält sich ab in der Fabrik.

Der Dichter singt uns von der Frauen würde
Und von des Mannes ritterlicher Pflicht,

Von ihr zu nehmen all' die Last und Bürde,
Die zu ertragen ihr die Rraft gebricht.

Ach ja, die Dichter sind wohl gute Narren,

Sie sehen nur, was trefflich und was schön —
Datz Frauen Steine klopfen und auch karren,
Das haben sie gewitz noch nicht gesehn.

Der Dichter singt, datz wie auf Rosen wandelt,
wer sich gewann ein edles Frauenherz,
Derweil die arme Unschuld wird verhandelt
An all' die Türken hier und anderwärts,
was soll das Nebelbild, das flücht'ge, blaffe,
Das uns der Dichter vor die Augen hält?

Die Zeit erfüllt die Frau'n mit ihrem Haffe
Und hilft erschaffen eine neue Welt!

Hnjcn&c vom jSrfjnajjjifjaün.

von I. Sirach.

chnnpphahn ritt einsam seine Straße; durch
den gepufften Wamms, der an den Ellbogen
klaffte, fuhr der böse Novemberwind. Und
Schnapphahn fror. Seit drei Stunden war er
Witwer; die gestrengen Herren vom peinlichen Gericht trugen die
Schuld daran. Hatten sie doch sein Weib, das fröhliche Margritlein,

ohne Gnade aufknüpfen lassen dort oben am Rabenstein. Er
drehte sich um: in der Ferne, wo die Sonne mühsam mit den
Nebeln kämpfte, die der Rhein emporjagte, stand der Gevatter
Dreibein. Die Raben krächzten, und Margritlein hing am Schnell-
galgen, steif und stier, kalt und todt. Weil sie Land gestrichen, ge-
weissaget und einer ehrsamen Rathsfrau ein Goldgüldlein aus der
Truhe stibitzet.

Nun packte ein unsagbarer Grimm den armen Schnapphahn, so
daß er die Faust schüttelte gen die Stadt und baß überlegte, ob er
nicht nächtens den rothen Hahn auf der Gerichtsherren Dächer solle
fliegen lassen. Besann sich aber anders und schritt fürbaß, bis er in
einen Wald kam, der war dicht und dunkel, Tannicht gemischet mit
Laubholz, stolze Buchenstämme, denen die falben Blätter noch lose
anhafteten, breitwipfelige Linden und Eichen. Auf einer Lichtung
ästen Rehe, ein Eichhörnchen hüpfte von Zweig zu Zweig. Der
Witwer ward müde und dürstete und hungerte ihn sehr. Darum
warf er sich aufs Moos und nagte von einer Brotrinde, die er im
Felleisen fand.

Stund plötzlich vor ihm ein Greis, starkgliedrig, einen Eschen-
stock in der braunen Faust, den Gürtel straff um die Kutte gespannt.
Was ist, woher, wohin?

Und forcht sich Schnapphahn, sintemal der Alte ihn mit feurigem
Blicke maß. Sprach: Mein Margritlein hat der Henker, das ist's,
komm' vom Richtplatz und fahre zur Hölle.

Der Einsiedler hieß ihn aufstehen und führete ihn zu seiner
Hütten drinnen im Forst, die war gezimmert aus eichenen Balken,
gedeckt mit Borke, und lag ein stattlicher Wolfshund vor der
Thür als Wächter. Am freundlich gebotenen Imbiß stärkte sich
Schnapphahn.

Hub der Alte zu reden an:

„Ein kindischer Thor bist Du, Schnapphahn, eine eitle Simpelin
war Dein Margritlein. Habt's ungeschickt angefangen, fahrend Volk,
bringt's zur Folter und zum Richtschwert. Müßt's anders treiben!
Bist ein starker, schlauer Kerl, hast gute Gaben, kannst hehlen und
Dich verstellen, ei, so nütze sie aus und wuchere mit Deinem Pfunde!
Darfst nit stehlen und wegelagern, sondern wirst ein feiner Kriegs-
mann, wirbst an die tausend Landsknecht, ziehst ins Feld, mordest.
 
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