1439
Ucherxroöuktion.
illionen tzäkchen surren
An viel Millionen Rädchen,
Millionen Spindeln schnurren,
Spinnen Millionen Mädchen.
Aus den Millionen Häden
Macht man Millionen Rleider,
Hängen in viel tausend Läden,
Aber unverkäuflich leider.
Denn vor all den Magazinen
Lieht man Millionen wandeln.
Rönnen, da sie nichts verdienen.
Sich kein warmes Rleid erhandeln.
! Männer, Weiber, Rinder schufen
viele Milliarden werthe.
Doch sie frieren aus den Stufen
Bittrer Roth am kalten Herde.
Rönnten diese Millionen
Rleiden sich, wie sie's verdienen.
Dabei menschenwürdig wohnen,
Welch ein Glück den Magazinen!
Rönnte Jeder nur sich kaufen
Roch ein Hemd, noch ein Paar Locken,
wie die Spindeln würden laufen,
Handel, Wandel niemals stocken.
Reiner würd' im Winter frieren,
Froh die Räder könnten schnurren.
Und vom Ueberproduziren
würde Reiner dann mehr murren!
Schlau.
71/ Z er alte gebrechliche Aron geht durch ein Dorf. Fritzchen, der hoffnnngs-
volle Sprößling eines Antisemiten, ruft ihn, nach „Jndenschmule!
Judenschmule!" Da zieht der alte Aron sein Geldbeutelchen, nimmt einen
Nickel heraus und schenkt ihn dem Fritzchen und sagt: „Weil a Jüd hört
gar gern, wenn ihm werd nachgernfen Jndenschmule! schenk ich Dir
zehn Pfennig." Der Wirth, bei welchem der Aron einkehrte, hatte es
gesehen und konnte den Aron nicht begreifen. „Abwarten!" sagte der
Aron mit schlanein Lächeln.
Nach einer Stunde ging der junge Rosenzweig vorbei und Fritzchen,
in der Hoffnung, wieder einen Nickel zu erhalten, rief wiederum aus
Leibeskräften: „Jndenschmule! Jndenschmule!" Der junge Rosenzweig
aber packte das Fritzchen, gab ihm eine Tracht gesalzener Prügel und ging
seines Weges weiter.
„Nu," sagte der alte Aron zu dem Wirth, „Hab ich nicht gesagt:
abwarten?"
Hausfrau: War der Herr Doktor in meiner Abwesenheit hier?
Dienstmädchen: Ja.
Hausfrau: Und was wollte er?
Dienstmädchen: Er fragte mich, wann ich allein zu Hause sein würde.
Die Sonne küßt die nackten Schultern des
Mädchens, die Abendbrise weht ihr die Kleider fest
ui» den Leib, so daß man die feine Gestalt unter
den Lumpen erkennen kann, und plötzlich fährt ein
Windstoß über ihr Haar, als wollte er ihr die
Feldblume entreißen, die sie zwischen die schwarzen,
leuchtenden Zöpfe gesteckt. Wie schön bist du, Lneia,
inmitten dieser Frnhtingsnatur, wie schon und wie
verlassen, du armes Kind!
Ihr Vater starb am Fieber in den Maremmen
und die Mutter wohnt in einem kleinen Häuschen
dort unten, wo bläulicher Duft die Konturen der
Berge umhüllt. Sie ist alt und abgehetzt von dem
mühsamen Leben, das sie führte — vielleicht liegt sie
auch schon auf dem Friedhof neben der kleinen Kirche.
Und der Bruder? Wer weiß! Er ging als Soldat
übers Meer und hat seit zwei Jahren nicht mehr
geschrieben. Was mag aus ihm geworden sein!
So trieb die bittere Noth das Mädchen aus
den heimathlichen Bergen hinunter ins Thal, wo
sie in den Dienst eines Bauern trat. Wenn sie
spinnt oder die Ziegen zur Weide fuhrt, schaut sie
voll Heimweh nach Osten hin, woher sie gekommen.
Die Mutter und der Bruder waren aber nicht
ihre wirkliche Familie gewesen; sie hatten sie auf-
gezogen und gut behandelt, so lange das Findel-
haus jeden Monat fünfzehn Franken für sie be-
zahlte. Nachher gab man ihr ein Paar Schuhe
und ein Stück Brot, zeigte ihr den Weg ins Thal
hinab und schloß mit einem: „Gott behüte Dich, mein
Kind,"'die Thüre hinter ihr zu. Und dennoch gilt
des Mädchens ganze Sehnsucht den fernen Bergen.
„Wenn Du eine Ziege verlierst, wehe Dir,"
hatte Rosalba zu ihr gesagt und sie mit Fußtritten
aus dem Stalle gejagt. Lucia weiß auch, was sie
erwartet, wenn sie ohne Bianchina heimkommt.
Von ihrem stillen Plätzchen auf dem Felsen aus
schaut sie thränenden Auges nach den benachbarten
Abhängen hin.
„Wenn ich die Ziege nicht wiederfinde, bekomme
ich kein Nachtessen, Rosalba schlägt mich wie das letzte
Mal — es that so weh auf der Brust, o Gott, Gott!"
Eine Eidechse, grün wie die Blätter des Feigen-
baums, ans den sie geklettert, um die letzten Strahlen
der Sonne zu genießen, bewegte flink die kleine
Zunge und schaute das Mädchen neugierig mit den
schwarzen, klugen Augen an, und Lucia dachte
schluchzend: — „jetzt schickt man mich fort und ich
kann doch nichts dafür. — Um sechs Uhr beim
Melken waren noch Alle da — Zwölf Franken! —
Wo nehme ich die her, um Rosalba zu sagen, hier
sind die zwölf Franken, die eine Ziege kostet —
sie wird mich schlagen — sie giebt mir nichts zu
essen — sie nennt mich dann wieder eine.
O Gott, Gott!"
Nun entriß doch ein Windstoß die Blume ihrem
Haar. Rasch stand sie auf, um sie anfzufangen,
und freudig schlug ihr Herz bei dem Rascheln, das
sie hinter sich hörte. Schon glaubte sie, die Ziege
wieder gefunden zu haben. . . . Das Geräusch kam
aber von der Eidechse her, die durch des Mädchens
Bewegung in ihrer Ruhe gestört worden war und
wie ein Pfeil zur Erde glitt, in einen hohlen Baum-
stamm flüchtend.
Lucia holte schnell die forttanzende Blume ein
und steckte sie nun fester ins Haar, war es doch
die Opferspende, die sie heute, wie jeden andern
Tag, für die Madonna bestimmt hatte, die über
ihrem armseligen Bett hängt. Sie konnte ja nichts
Anderes bieten, als die Blumen, die sie am Morgen
gepflückt und den ganzen Tag als einzigen Schmuck
getragen.
Schon sinkt die Sonnenscheibe hinter den
dunstigen Horizont hinab und die Angst schnürt
dem Mädchen fast die Kehle zu, als sie noch ein-
mal ruft: „Bianchina, liebe, liebe Bianchina!"
Da hört sie ganz nahe ein leichtes Meckern,
ein Freudenstrahl blitzt in ihren klaren, blauen
Augen auf, athemlos will sie über Dornen und
Steine dem Tone nach, ihre Füße bluten, ihre
Kleider bleiben an den Aesten hängen, sie achtet
es nicht und ruft nur jubelnd: „Bianchina,
Bianchina!" Bei dem Gebüsch, woher der Ton
gekommen, hält sie einen Augenblick inne, schaut
forschend zwischen den Zweigen durch und ver-
schwindet mit leuchtendem Antlitz.
Lucia hatte von ihrem Felsen aus nicht ge-
sehen, daß zwei menschliche Augen, die seit einer
Stunde mit dem Schlafe kämpften, plötzlich glühende
Blicke ans sie warfen, auf ihre Schultern, auf
ihren vollen Busen. Sie ahnte nicht, daß der
grobe Tonio das Meckern ihrer Ziege listig nach-
geahmt. Sie war gerannt, gerannt, das arme Ding,
wie die kleine unschuldige Nachtigall trillernd in den
Rachen der Kröte hüpft, die sie gierig betrachtet.
Der Wind hat aufgehört, kein Blatt regt sich mehr
im Eschenwald und die Sonne zieht noch den letzten
Zipfel ihres Lichtmantels hinter die Berge hinunter.
Am Abend kommt die Ziege von selbst nach
Hause. Alle gehen ihr freudig entgegen nur Lucia
rührt sich nicht. Ihr Gesicht glüht, die eine Wange
ist blaß, Haar und Kleider sind zerzaust. „Wenn
Dir nicht wohl ist, geh zu Bett," sagt Rosalba,
die wieh^r freundlich geworden, weil die Ziege
zurückgekehrt. Das Mädchen geht müde in ihr
Kämmerchen. Sie sucht die Blume im Haar, um
sie der Madonna zu bieten — die Blume ist
nicht mehr da. Da fühlt sie einen scharfen Stich
im Herzen, bricht in Thränen aus, wirft sich aus
ihr Bett, wo sie schluchzend den Tag erwartet.
Tonio wurde an jenem Abend nicht schläfrig,
er schnitt die Stützen für die Maulbeerbäume zu-
recht, nagelte die Querstange an der Egge fest,
machte sich bis Mitternacht in der Tenne zu thun
und sang aus vollem Halse.
Es war eine sternenhelle, paradiesische Nacht. . .
Ucherxroöuktion.
illionen tzäkchen surren
An viel Millionen Rädchen,
Millionen Spindeln schnurren,
Spinnen Millionen Mädchen.
Aus den Millionen Häden
Macht man Millionen Rleider,
Hängen in viel tausend Läden,
Aber unverkäuflich leider.
Denn vor all den Magazinen
Lieht man Millionen wandeln.
Rönnen, da sie nichts verdienen.
Sich kein warmes Rleid erhandeln.
! Männer, Weiber, Rinder schufen
viele Milliarden werthe.
Doch sie frieren aus den Stufen
Bittrer Roth am kalten Herde.
Rönnten diese Millionen
Rleiden sich, wie sie's verdienen.
Dabei menschenwürdig wohnen,
Welch ein Glück den Magazinen!
Rönnte Jeder nur sich kaufen
Roch ein Hemd, noch ein Paar Locken,
wie die Spindeln würden laufen,
Handel, Wandel niemals stocken.
Reiner würd' im Winter frieren,
Froh die Räder könnten schnurren.
Und vom Ueberproduziren
würde Reiner dann mehr murren!
Schlau.
71/ Z er alte gebrechliche Aron geht durch ein Dorf. Fritzchen, der hoffnnngs-
volle Sprößling eines Antisemiten, ruft ihn, nach „Jndenschmule!
Judenschmule!" Da zieht der alte Aron sein Geldbeutelchen, nimmt einen
Nickel heraus und schenkt ihn dem Fritzchen und sagt: „Weil a Jüd hört
gar gern, wenn ihm werd nachgernfen Jndenschmule! schenk ich Dir
zehn Pfennig." Der Wirth, bei welchem der Aron einkehrte, hatte es
gesehen und konnte den Aron nicht begreifen. „Abwarten!" sagte der
Aron mit schlanein Lächeln.
Nach einer Stunde ging der junge Rosenzweig vorbei und Fritzchen,
in der Hoffnung, wieder einen Nickel zu erhalten, rief wiederum aus
Leibeskräften: „Jndenschmule! Jndenschmule!" Der junge Rosenzweig
aber packte das Fritzchen, gab ihm eine Tracht gesalzener Prügel und ging
seines Weges weiter.
„Nu," sagte der alte Aron zu dem Wirth, „Hab ich nicht gesagt:
abwarten?"
Hausfrau: War der Herr Doktor in meiner Abwesenheit hier?
Dienstmädchen: Ja.
Hausfrau: Und was wollte er?
Dienstmädchen: Er fragte mich, wann ich allein zu Hause sein würde.
Die Sonne küßt die nackten Schultern des
Mädchens, die Abendbrise weht ihr die Kleider fest
ui» den Leib, so daß man die feine Gestalt unter
den Lumpen erkennen kann, und plötzlich fährt ein
Windstoß über ihr Haar, als wollte er ihr die
Feldblume entreißen, die sie zwischen die schwarzen,
leuchtenden Zöpfe gesteckt. Wie schön bist du, Lneia,
inmitten dieser Frnhtingsnatur, wie schon und wie
verlassen, du armes Kind!
Ihr Vater starb am Fieber in den Maremmen
und die Mutter wohnt in einem kleinen Häuschen
dort unten, wo bläulicher Duft die Konturen der
Berge umhüllt. Sie ist alt und abgehetzt von dem
mühsamen Leben, das sie führte — vielleicht liegt sie
auch schon auf dem Friedhof neben der kleinen Kirche.
Und der Bruder? Wer weiß! Er ging als Soldat
übers Meer und hat seit zwei Jahren nicht mehr
geschrieben. Was mag aus ihm geworden sein!
So trieb die bittere Noth das Mädchen aus
den heimathlichen Bergen hinunter ins Thal, wo
sie in den Dienst eines Bauern trat. Wenn sie
spinnt oder die Ziegen zur Weide fuhrt, schaut sie
voll Heimweh nach Osten hin, woher sie gekommen.
Die Mutter und der Bruder waren aber nicht
ihre wirkliche Familie gewesen; sie hatten sie auf-
gezogen und gut behandelt, so lange das Findel-
haus jeden Monat fünfzehn Franken für sie be-
zahlte. Nachher gab man ihr ein Paar Schuhe
und ein Stück Brot, zeigte ihr den Weg ins Thal
hinab und schloß mit einem: „Gott behüte Dich, mein
Kind,"'die Thüre hinter ihr zu. Und dennoch gilt
des Mädchens ganze Sehnsucht den fernen Bergen.
„Wenn Du eine Ziege verlierst, wehe Dir,"
hatte Rosalba zu ihr gesagt und sie mit Fußtritten
aus dem Stalle gejagt. Lucia weiß auch, was sie
erwartet, wenn sie ohne Bianchina heimkommt.
Von ihrem stillen Plätzchen auf dem Felsen aus
schaut sie thränenden Auges nach den benachbarten
Abhängen hin.
„Wenn ich die Ziege nicht wiederfinde, bekomme
ich kein Nachtessen, Rosalba schlägt mich wie das letzte
Mal — es that so weh auf der Brust, o Gott, Gott!"
Eine Eidechse, grün wie die Blätter des Feigen-
baums, ans den sie geklettert, um die letzten Strahlen
der Sonne zu genießen, bewegte flink die kleine
Zunge und schaute das Mädchen neugierig mit den
schwarzen, klugen Augen an, und Lucia dachte
schluchzend: — „jetzt schickt man mich fort und ich
kann doch nichts dafür. — Um sechs Uhr beim
Melken waren noch Alle da — Zwölf Franken! —
Wo nehme ich die her, um Rosalba zu sagen, hier
sind die zwölf Franken, die eine Ziege kostet —
sie wird mich schlagen — sie giebt mir nichts zu
essen — sie nennt mich dann wieder eine.
O Gott, Gott!"
Nun entriß doch ein Windstoß die Blume ihrem
Haar. Rasch stand sie auf, um sie anfzufangen,
und freudig schlug ihr Herz bei dem Rascheln, das
sie hinter sich hörte. Schon glaubte sie, die Ziege
wieder gefunden zu haben. . . . Das Geräusch kam
aber von der Eidechse her, die durch des Mädchens
Bewegung in ihrer Ruhe gestört worden war und
wie ein Pfeil zur Erde glitt, in einen hohlen Baum-
stamm flüchtend.
Lucia holte schnell die forttanzende Blume ein
und steckte sie nun fester ins Haar, war es doch
die Opferspende, die sie heute, wie jeden andern
Tag, für die Madonna bestimmt hatte, die über
ihrem armseligen Bett hängt. Sie konnte ja nichts
Anderes bieten, als die Blumen, die sie am Morgen
gepflückt und den ganzen Tag als einzigen Schmuck
getragen.
Schon sinkt die Sonnenscheibe hinter den
dunstigen Horizont hinab und die Angst schnürt
dem Mädchen fast die Kehle zu, als sie noch ein-
mal ruft: „Bianchina, liebe, liebe Bianchina!"
Da hört sie ganz nahe ein leichtes Meckern,
ein Freudenstrahl blitzt in ihren klaren, blauen
Augen auf, athemlos will sie über Dornen und
Steine dem Tone nach, ihre Füße bluten, ihre
Kleider bleiben an den Aesten hängen, sie achtet
es nicht und ruft nur jubelnd: „Bianchina,
Bianchina!" Bei dem Gebüsch, woher der Ton
gekommen, hält sie einen Augenblick inne, schaut
forschend zwischen den Zweigen durch und ver-
schwindet mit leuchtendem Antlitz.
Lucia hatte von ihrem Felsen aus nicht ge-
sehen, daß zwei menschliche Augen, die seit einer
Stunde mit dem Schlafe kämpften, plötzlich glühende
Blicke ans sie warfen, auf ihre Schultern, auf
ihren vollen Busen. Sie ahnte nicht, daß der
grobe Tonio das Meckern ihrer Ziege listig nach-
geahmt. Sie war gerannt, gerannt, das arme Ding,
wie die kleine unschuldige Nachtigall trillernd in den
Rachen der Kröte hüpft, die sie gierig betrachtet.
Der Wind hat aufgehört, kein Blatt regt sich mehr
im Eschenwald und die Sonne zieht noch den letzten
Zipfel ihres Lichtmantels hinter die Berge hinunter.
Am Abend kommt die Ziege von selbst nach
Hause. Alle gehen ihr freudig entgegen nur Lucia
rührt sich nicht. Ihr Gesicht glüht, die eine Wange
ist blaß, Haar und Kleider sind zerzaust. „Wenn
Dir nicht wohl ist, geh zu Bett," sagt Rosalba,
die wieh^r freundlich geworden, weil die Ziege
zurückgekehrt. Das Mädchen geht müde in ihr
Kämmerchen. Sie sucht die Blume im Haar, um
sie der Madonna zu bieten — die Blume ist
nicht mehr da. Da fühlt sie einen scharfen Stich
im Herzen, bricht in Thränen aus, wirft sich aus
ihr Bett, wo sie schluchzend den Tag erwartet.
Tonio wurde an jenem Abend nicht schläfrig,
er schnitt die Stützen für die Maulbeerbäume zu-
recht, nagelte die Querstange an der Egge fest,
machte sich bis Mitternacht in der Tenne zu thun
und sang aus vollem Halse.
Es war eine sternenhelle, paradiesische Nacht. . .