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färbten Briefe über die ästhetische Erziehung des
Menschengeschlechts dankle.

Jetzt ist der Palast mit roten Fahnen und dem
Motiv des blauen Abzeichens des Kopenhagener
Kongresses (aus der königlichen Porzellanmanu-
faktur) weniger geschmückt als etikettiert. Und
die proletarischen Erben der deutschen klassischen
Philosophie und Kunst sind eine Woche lang der
emsigen Arbeit für die politische und soziale Er-
ziehung des Menschengeschlechts hingegeben, der
Taterziehung durch die Massen selbst, die jetzt ver-
ivirklichen, was bei den Großen jener Zeit nur ein
sehnsüchtiger Schall blieb.

Hier singen fünfhundert Arbeiter im Verein mit
Künstlern des Hoftheaters ein Lied der Mensch-
heit, eine Völkerkantate, in denen die Freiheits-
lieder der Nationen sich zueinander finden. Hier
braust der Chor der Internationale vom großen
letzten Kampf um die ganze Freiheit, um die Er-
lösung von aller Not und allem Druck.

Fast glaubt man, daß in den Reden und Be-
schlüssen die Geister Schillerscher Humanität, deren
Kundgebungen einst in diesem Palast enthusiastisch
empfangen sein müssen, auferstanden sind, aber
gar nicht mehr verträumt, gar nicht mehr welt-
slüchtig-hoffnungslos, sondern wirklich und wesen-
haft, tatenlustig und voll unbeugsamer Tapferkeit,
sich zu bekennen, und voll glühender Leidenschaft,
sich zu verwirklichen. Der Ausflug nach Skodsborg. Abfahrt von Kopenhagen.

Nirgends können sich die bedrückten und gehetzten
Völker, die zertretenen.Klassen so geborgen suhle»,
wie in der Freiheit und Sicherheit dieses kleinen
Staates, der zuerst auf diesen Inseln ein Reich
proletarischer Kultur zu schaffen verheißt.

Blumengeschmückt ziehen die Arbeiter Kopen-
hagens vom reich bewegten Fremdenviertel durch
die langen Zeilen der einförmigen Proletarierquar-
tiere, in den städtischen Park. Was auf der Bronce
vor dem Rathaus sich in Sinnbildern gestaltet,
ist im Zuge Mensch geworden. Alles was in Kopen-
hagen arbeitet, marschiert im Zuge. Der Bürger-
meister Jensen geht an der Spitze, über ihm wehen
die Banner der Internationale. Stattlich leuchten
die Postbeamten in ihren roten Uniformen, grüne
Zweige des Friedens und der Freude wie die an-
deren tragend. Wie dieSonue sich schon senkt, strömt
die Menscheuflut zwischen die alten Buchen und
Eichen dieses mächtigen Waldes; im Augenblick
scheint sie fest zu gerinnen. Kopf an Kopf, unbe-
weglich. Mitten darin ungezählte Kinderwagen,
deren blonde Insassen zwar noch nicht sprechen kön-
. ... »en aber doch schon neugierig der Kantate lauschen,

Der Ausflug nach Skodsborg. Landung am tne auf der größte» der vier Tribünen ertönt;

Hier ballt Jaurös aus Worten und Sätzen, die
wie Gebirge in vulkanischer Gärung unmittelbar
zu werden und zu wachsen scheinen, sichtbar die
neue Welt, die in seinem großen Herzen und helle»
Verstand bereits Form und Gestalt gewonnen hat,
und die nur noch darauf wartet, hinauszutreten
unter die Menschen und zu werden, zu sein. Hier
entfaltet sich die starke Lebenspraxis, die freundlich
durchwärmte, zugleich hartnäckige und klug beson-
nene Daseinskraft und Volkstapferkeit der skandi-
navischen Sozialdemokratie, die diesmal dem Kon-
greß das Gepräge verlieh; in dieser einfachen,
ruhig zuversichtlichen, Vertrauen und Sicherheit ge-
währenden Politik singt etivas wie die Melodie ihrer
Volksweisen. Das skandinavische Proletariat scheint
niemals ganz vom mütterlichen Boden entwurzelt
zu sein. Man möchte glauben, daß sie ihr ganzes
Parteiprogramm in dem Rhythmus ihres frucht-
frischen Sozialistenmarsches singen könnten? *

* Der allgemeine Beifall, den der dänische Sozialistenmarsch
auf dein Kongreß gefunden hat, veranlaßt uns, ihn aus der
letzten Seite dieser Nummer abzudrucken. In Hamburg-Altona

war er seit vielen Jahren bekannt und wurde gerne von den <

Parteigenossen als „Massengesang" gesungen. ©CV Itßd) Äüö i^OtCl vCV otttCVUCtttOUCllC
 
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