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1443

i>ct er wirklich jehen wird. In de Willemsstratze muß et sich doch zu
scheen wohnen, nn denn muß et andererseits ooch een zn jroßet Verjnijen
sein, so'u bisken in de Weltjeschichte mitrinznreden. Un wie die Sache
nach meinem dänilichen Unterthanenverstand liest, scheint et mir janz thut-
mehmschooß zu sind, wer Reichskanzler is — ick vor meine Person habe
vorläufig doch noch keene Aussicht, den Posten zu kriejen, also brauche ick
mir ooch nich die Koppe der Jenerale zu zerbrechen. Det kann ick janz
ruhig Eugen Richtern überlassen, der ja alle Dage versichert, det er nie
in fehlem jungen Leben nach een Ministerportmonnäh, oder wie se so'u
Ding nennen, jeschielt hat.

Ja, wat ick sagen wollte, neilich erzählte mir Eener, det die sechs-
unzwanzig neie Kirchen, die se in de letzte paar Jahre in Berlin nei je-
baut haben, nich ausreichen, un det se, um den Bedarf zu decken, jebet
Jahr noch mindestens drei neie zubauen mißten, damit det relijiöse Be-
dürfniß von die fuffzigdausend, die alle Jahre nach Berlin zuziehen, ooch
jedeckt werden kann. Nu däht et mir sehr leid, lieber Jacob, det ick alle
naöglichen Leite hcite recht jeden muß. Fall' aber nich von'n Sockel, wenn
De hörst, wat ick Dir nu erzähle. Nämlich Stöcker hat de Wahrheit je-
sagt. Du brauchst nich den Kopp zu schütteln, et is so, wie ick Dir sage.
Nänllich der Hofpredijer aller Deitschen hat jesagt un ooch nachjewiesen,
det de meisten Kirchen in Berlin leer stehen! Wat sagst De denn da dazu?
Nu bist De ooch paff, wat? Aber et is so, un weil et so is, da is et
natierlich ooch riesig nothwendig, det immer noch mehr neie Kirchen jebaut
werden. Det is ooch een Standpunkt, un zwar een unanfechtbarer. Ick
muß ieberhaupt unsere jesammte Oeffentlichkeit bantff uffmerksam machen,
bet bei uns ritte zu wenig jebaut wird. An de Kirchen habe ick et eben
nachjewiesen, so det keen Mensch dran zweifeln kann. Et fehlen uns aber
außerdem eene Masse Kasernen un denn ooch noch Zuchthäuser. Det
sind meines Erachtens de nothivendigsten Bauwerke, die wir brauchen, denn
Alles Andere kommt janz ohne unser Jebet von ihm selbst. Ick wundere
mir blos, det se in'n Reichsdag nich mehr Jewicht uff die Sache lejen, aber
ick denke, det diese meine Anrejung jenügen wird, um de Reichsboten an
ihre Flieht zu erinnern. Ick bin nich stolz uff den Jedanken, aber ick jloobe,
det er sehr zeitjeniäß is. Jedenfalls rechne ick hierbei ooch uff Deinen
Beifall, lieber Jacob, un darieber, wen wir in die ueien Zuchthäuser
inspunnen, darieber werden wir Beede uns schon verständijen un einijen.

Sonst is hier in Berlin nich ville Neiet passirt. Det de Konser-
vativen de Juden nich mehr zulassen wollen int deutsche Reich, hast de
woll jelesen. Die armen Kerls, Rußland schmeißt se raus am zu uns
f°ßn se nich derfen! Wenn ich Rothschild ivär, denn würde ick eenen
Fachverein jründen vor alle jüdischen Bankjehs, un denn mißte den christ-

lich-germanischen Adel alle Hypotheken jekündigt werden und zwar so
lange, bis Allen die Puste ausjeht, denn mir sind hundert Juden, un
wenn se noch so sehr nach Knoblauch riechen, immer noch tausend Mal
lieber, als Stöcker, Hammerstein »nd Konsorten, die meinetwejen jerne
sich bejraben lassen können. Mit diesen Wunsch verbleibe ick wie jewehn-

lich erjebenst un mit ville Jrieße » *

Jotthilf Nancke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Hobelfpähne.

Der Schuster macht die Stiefel,

Der Zimmermann läßt das Loch.

Ich hoble frisch und munter
An Tisch und Bänken noch.

Und auch die Herren Minister
Wohl Niemand müssig schalt —

Sie bohren die Defizite
In unfern Staatshaushalt.

In Sachsen ist es verboten ivorden, über den
Cy ) Zukunftsstaat zn sprechen, weil die Einführung

desselben etwas Polizeiwidriges sei. In Kon-
^ sequenz dieses Verbotes sollten auch alle Uhren
und Kalender konfiszirt werden, damit man die Zeit nicht mehr vor-
rücken sieht, die unaufhaltsam uns der Zukunft entgegenträgt.

Bald scheint die Frühlingssonne warm
Und bald geht Regen nieder,

Bald arretirt uns der Gensdarm,

Bald läßt er frei uns wieder.

Bald löst man die Versammlung auf,
Und bald wird der Saal abgetrieben,
Dieweil wir im launischen Monat April
Recht reichliche Abwechslung lieben.

Der Panama-Skandal in Frankreich beiveist, daß mit großen
Staatsmännern nicht immer großer Staat zu machen ist.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Drikker Akk.

(Caprivi °lS Fischer gekleidet. — Waldlandschast, in der Mitt-
eln Teich, in dem nationalliberale Abgeordnete schwimmen;
Caprivi sitzt angelnd an demselben.)

Die Militärvorlage schwoll,

Ein Nationalliberaler

Sah nach der „Angel" unruhvoll,

Es denkt der künft'gen Wahl er.

Und wie er sitzt, unb wie er lauscht,

Daß ihm ein Wink erscheine,

Aus offiziösem Sperrdruck rallscht
Die Norddeutsch' Allgemeine.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihn,:

Was nörgelst du, o sage,

Mit Menschenwitz und Menschenlist
Zur Militärvorlage?

Ach, wüßt'st du, wie der Dreibund ist
So völlig auf dem Hund,

Du würdst bewill'gen, wie du bist.

Und war es noch so bunt.

Stützt sich lücht fest der welsche Wicht
Laut Moltke auf Belfort?

Führt zur Türkei die Straße nicht
Durch's Brandenburger Thor?

Muß die verkürzte Dienstespflicht
Dich reichlich nicht belohnen?

Nun wohl, versage drum auch nicht
Die Kompensationen!

Also erklang, also erscholl
Der Norddeutschen Erguß,

Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.

Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm,

Da war's um ihn geschehn,

Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und na, wir werden's sehn!

(Der Vorhang fällt 'runter, die nationalliberale Partei um.)

Vierter Akk.

(Düstere Landschaft, Nacht, Gewitter. Im Vordergründe der
Reichstag matt, altersschwach, seiner Auflösung entgegengehend;
im Hintergründe ein Schaar Antisemiten. Die Freisinnigen
in großer Verwirrung, man hört aus ihren Reihen verworrene
Rufe: „Wir müssen!" „Wir können nicht!" In der Ferne
hört man immer deutlicher den ehernen Schritt der Anti-
semiten-Bataillone. Eine Stimme ruft: Lieber die vierten Ba-
taillone als die der Antisemiten! Bravo, vereinzeltes Zischen.)

Caxrivi (zu den Freisinnigen gewandt):

Berufe nicht die wohlbekauute Schaar,

Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet,
Dem Menschen tausendfältige Gefahr
Von allen Enden her bereitet.

Von Liegnitz dringt des scharfen Hertwig Zahn
Auf dich herbei, mit pfeilgespitzten Zungen;

Von Arnswald-Friedeberg ziehn sie heran
Und nähren sich von deinen Lungen.

Wenn sie Rektoren in den Reichstag schickt,

Die Gluth auf Gluth um deinen Scheitel häufen,
So bringt die Wahl den Schwarm, der dich
erdrückt,

Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.

(Dumpfes Gemurmel erhebt sich unter den Freisinnigen; die-
selben wollen Umfallen. Einer geht, den Anfang machend, auf
Caprivi zu, aber)

Bereitet oder nicht zu gehen,

Er muß vor seinem Richter stehen.

(Dieser schüttelt zürnend seinen dicken Kopf. Die Spalten der
„Freisinnigen Zeitung" öffnen sich und verschlingen Markus
Curtius. Rickert, Bamberger und Schräder kratzen sich gegen-

seitig die juckende Haut, während Alexander Meyer ein Glas
Surrogatbier trinkt und sich hierauf bei Max Hirsch krank
meldet. Der Freisinn ist gerettet.)

Fünfter Akk.

(Man sieht auf der Bühne das Zentrum, groß, dick und
kompakt; vor ihm sieht Caprivi.)

Caprivi.

Erst zu begegnen dein Thiere,

Brauch' ich den Spruch der Viere:

Bosse soll gehen,

Die Polensprache bestehen,

Die Schule den Geistlichen werden,

Die Jesuiten frei sein auf Erden!

Keines der Viere
Steckt in dein Thiere.

Es liegt ganz ruhig und grinst mich an;

Ich Hab' ihm noch nicht weh gethan,

Du sollst inich hören,

Stärker beschwören.

Bist du Geselle,

Ein Flüchtling der Hölle?

So sieh dies Zeichen,

Dein sie sich beugen,

Die schwarzen Schaaren.

Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
Hinter den Ofen gebannt.

Schwillt es wie ein Elephant,

Den ganzen Raun: füllt es an,

Es will zu»: Nebel zerfließen.

Steige nicht bis ;ur Decke hinan!

Lege dich zu des Meisters Füßen!

Dll siehst, daß ich nicht vergebens drohe.

Ich versenge dich mit heiliger Lohe!

(Man geht nach Rom, das Zentrum in sich, die Militär-
vorlage durch.)
 
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