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1451

Berlin, vor dem Weltfcierdag.

Lieber Jacob!

„Im wunderschönen Monat Mai, wo alle Knospen sprangen —
so singt der Dichter. Du denkst vielleicht, bet ick sonne Nulpe bin, bet
ick nur um de sojenannte schöne Literatur jar nich bekimmere, aber da
bist de schief jemickelt. Aber bald, wo wir unsren Festdag feiern, da
ivollen wir beede, wenn wir ooch sonst woll manchmal in Meinungs-
differenzcn jerathen, der Welt kccn schlechtct Beispiel jebcn, wir wollen uns
beede verdragen! An unfern Weldfcierdag is Frieden bei uns, wir wollen
den Festdag aber nich dazu benutzen, um uns in sonne Dämmerstimmung
rinzudnsseln, det wir Freind un Feind zujleich umarmen, — nee, heite
wollen wir um so schärfer in de Welt rinkieken.

Unsere Feinde sind jewappnet un se lauern blos darufs, det se uns
mal zeijen kennen, wat 'ne Harke is. Besonnenheit und Enerjie missen
wir haben, wenn wir triumphiren wollen, un triumphircn missen wir,
det is so klar wie Kloßbrichc. Aber mit den Kopp durch de Wand rennen,
det kann kccn Mensch, un wenn et ooch den Eenzelnen unter uns schwer
fallt, et muß Jeder Jeduld haben, un jede übereilte, unieberlegte Hand-
lung, die kennte heite vor Dausende un aberinals Dauscnde de schreck-
lichsten Foljcn haben. Ick bin jewiß Kcencr, lieber Jacob, den so leichte
det Herz in de Hosen fallt, aber det muß ick nu doch sagen, det mit Je-
walt heitzudagc vor uns nich ville auszurichten is.

Wir wollen un missen den achtstindijcn Arbeetsdag haben. Det is
vorläufig unser Ziel, un daran lassen wir Keencn tippen. Ratierlich
reißen de Bourgeois Witze drieber, weil se eben zu dämlich sind, um de
Naturnothwendigkcit von die Jnrichtnng inzusehen. Det kann uns natier-
lich janz cjal sind, un et kann ja ooch die Zeit konimen, ,wo wir die
Brieder nich mit Glacehandschuhe anzufassen brauchen, aber oogcnblicklich
liejen de Verhältnisse leider noch nich so, det wir die Jescllschaft zwingen
könnten.

Lieber Jacob, ick weeß so jut wie Du, det wir uff Erfolje zurück-
blicken können. Det stimmt. Aber jerade daraus missen wir ooch empfinden
un sehen, wie ville uns noch zu duhn bevorsteht. Ick sehe janz ab von
de Bourgeoisie, die is unverbesserlich un will uns nich verstehen, die Leite
sagen einfach, der Arbeeter muß lange arbeeten, erstens mal, damit wir
den neethijcn Prosit rausschlagen, un dann jlooben se, det der Arbeeter
mit seine freie Zeit nischt anzufangcn weeß, wie zu saufen, in de Kneipen
zu loofen, un seine paar Kröten wegzuschmeißcn. Un denn malen se een
Bild von den Jammer un det Elend, wat in de Arbeeterfanülien aus-
brechen wird, wenn der Mann un Ernährer jeden Abend bis in de Puppen
ni de Destille sitzt, un wo de Frau nischt zu beißen un zu brechen hat,
UN de Kinder denn ja janz naticrlich uff den Weg des Verbrechens
jedrängelt werden. Die Brieder laß man bratet, lieber Jacob, det sind
nämlich die neunmal jesiebten Seekadettcn an Weisheit. Wenn sich die
jeden Dag an ihre eijene, hochjeehrte Näse fassen wollten, dann hätten se
janz wahrhaftig jenug zu duhn. Aber, lieber Jacob, denke blos an die

unermeßlichen Hecrschaaren der Arbeeter, die heite, in det letzte Jahrzehnt
von det neinzehnte Jahrhundert, noch nich uffjcklärt sind; die, als een
Produkt ihrer Umjebung un ihrer Verhältnisse, nich insehen können, um
wat et sich öffentlich handelt, die von unsere Feinde als een Bollwerk jejen
uns behandelt un verwendet werden. Siehste, Jacob, an die ivollen wir
denken, uff die missen wir unsere Uffnicrksamkeit richten, un wenn wir
die erst haben, denn wollen wir sehen, wer mit uns in de Schranken
tritt, dann siebt et Keenen mehr, der uns Widerstand leisten kann.

Un in diesem Sinn, lieber Jacob, wollen wir unseren Maifeierdag
bejehcn! Laß' se Alle reden, wat se wollen, wir beede halten Stange
un mit uns Alle ieberzeigten Jenossen! Woinit ick verbleibe wie jewöhn-
lich, erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

--

Hobelspähne.

Die Lasten und Leiden des Volkes zu mehren,
Bemühen sich Rückschrittler fort und fort.

Wir aber bringen mit Macht zu Ehren
Ein besseres, edleres Losungswort.

Es wecket und rührt der Arbeit Söhne
Empor aus dem Banne der Sklaverei:

„Hoch der Achtstundentag!" Allorts ertöne
Laut diese Lostmg am Ersten des Mai.

* *

„Es scheint, ich habe nur geträumt,"
sagte der Abgeordnete Leuschner, da bemerkte er
bei der Maifeier, daß die Sozialdemokratie, welche
er vernichtet glaubte, noch immer am Leben ist.

*

„Frag', was er leuchtet, den Karfunkelstein,

Frag', was sie duften, Nachtviol' und Rosen,"

Doch frag' nicht, was des Bürgerthtims Partci'n
Zu thun gedenken für die Arbeitslosen.

Der Kriegsminister will keine unzufriedenen Arbeiter in den
Staatswerkstätten haben. Dann utag er nur den Achtstundentag ein-
führen, damit werden alle Arbeiter zufrieden sein.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.


uud Herrlichkeit auf ein granitnes Fundament
stellt, was deshalb für Euch zu tragen eine Freude,
eine Wohlfahrt, eine Nothwendigkeit ist. Er-
höht sind um das Doppelte Eure Auflagen, zu
steuern habt Ihr mehr, viel mehr als bis zum
heutigen Tage, aber willig werdet Ihr die Last
auf Eure druckgewohnten Schultern nehmen.
Denn daß dies gut für Euch, sagen Euch die
Väter des Volks, die Senatoren, daß Ihr die
Wucht zu tragen vermögt, mit saurem Schweiße
haben es die mützengeschmückten Gelehrten, die
Rechner und Zeichendeuter dem Senat bewiesen.
Darum befiehlt Euch der Senat, daß Ihr ihm
danken sollt, er befiehlt Euch daß Ihr zufrieden
sein wollt mit Eurem Loos, wie die Parzen es
Euch geworfen haben, er befiehlt Euch, zu zehnten
und zu steuern, eingedenk der dreimal heiligen
Ueberlieferung, diesem Horte unseres Reiches,
daß Ihr berufen seid, in alle Ewigkeit zu steuern,
zu dienen und zu schweigen. Ihr sollt glücklich
sein. Nur der Genügsame ist glücklich, sagt der
Senat. Auf daß Ihr sicher seid, kündet Euch
der Senat, hob er die neue Last auf Euren breiten
Rücken, und zahllose neue Krieger werden Eure
Denare, die Ihr dem Staatssäckel so gerne
>pendet, auS der Erde stampfen. Sic werden
für Euch wachen und sorgen, daß Ihr ruhig
schlafet, daß kein Verführer Eurer Ruhe gefähr-
lich werde, daß keine Unruhestister, wie sie in
andern Gemeinwesen ihr gefährliches Handwerk

treiben, Euch auswiegeln Dann werden sie
kommen mit Wehr und Waffen, die herrlichen
Schaaren, Euch zu retten, und friedlich mögt
Ihr weiter frohnden, zehnten und schweigen in
alle Ewigkeit."

„So, Bürger, sprach der Herold, hell klang
sein Ruf bis in die letzten Winkel. Hinter ihm
erschien der feierliche Zug der versammelten Väter,
stolz auf ihre That, strahlend vor Freude. In
Sänften stiegen sie; etliche hundert dienstbereite
Sklaven trugen die Herren, die Musik tönte, es
jauchzte das Volk.

„Da aber, Freunde, gossen die ewigen Götter,
denen ich danke, himmlischen Balsam auf meine
brennende Wunde. Seht, ein kleines Häuflein
entschlossener Männer trat aus dem Senatshause,
die nicht mitzogen in dem Festmarsch der Väter
von Byzanz. Unterlegen waren sie im Rathssaal,
und doch dieser kleinen Schaar, glaubt mir, Mit-
bürger, grünte der Lorbeer um die Schläfen, sieg-
reiche Geschlagene. Und um sie standen die Armen
von Byzanz, die mit gramgefurchter Stirn in
der Schmiede hämmern und die Schifflcin des
Webstuhls fliegen lassen, die mit sehnigem Arm
am Gerüst zimmern und den Stein behauen.
Diese, o Freunde, und Andere, die hinterm Pflug
hergchen, sonnengebräunt, Männer und Weiber
in ärmlichem Kleid, wichen und wankten nicht
vor dem tapfern Streithaufen der Senatoren, die
drinnen gekämpft für sie, die Elenden und Be-

ladenen. Und da sah ich, ihr Gefährten, daß hier
das Volk von Byzanz war, nicht bei jener Pro-
zession, die unter Pauken und Drommeten durch
Byzanz zog.

„Danke Dir, o Zeus Kronion, daß Du den
Schleier von meinen Augen zogest und mich die
Wahrheit sehen ließest! Auf wuchs nun in meiner
Seele wie ein lenzfroher Sproß, rasch keimend und
gedeihend, die Hoffnung, daß diese Tapferen das
Schicksal wenden möchten.

„In Byzanz war es. Wo sonst, Bürger, konnte
sie erblühen die Blume der Freiheit? Alle hundert
Jahre blüht eine Zauberblume, ihr Kelch öffnet
sich und ihr süßer Duft athmet Glück, Freiheit,
Erlösung.

„In Byzanz blüht sie. Da, wo die Myrthe
grünt und die Orangen duften, wo die Sonne sich
beschaut im ewigen Meer. Ein freies Gemeinwesen,
ihr Bürger, wird aus dem Schutte der alten
Tradition erstehen. Denn, Bürger, Freunde, Ge-
fährten des Kampfs, unser Geschick erfüllt sich,
wenn wir nur wollen. Denket, was unser So-
phokles sagt:

Vieles Gewaltige ist,

Nichts aber gewaltiger, als der Mensch."
 
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