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Bänder am Hut, war er fortgezogen, in dis Stadt, weit, weit fort
von hier. Ach, der Vater hätte ihn so nöthig gebraucht, den flinken,
anstelligen, starken Burschen. Dann waren Briefe gekommen aus
der Garnison, der erste noch lustig, dann immer trauriger; es ging
ihm nicht gut bei den Soldaten, dem Fritz. Dann eines Tages kam
ein großes Schreiben mit dem Amtssiegel, darin schrieb ihm ein
hoher Herr Offizier, so ein Major oder Oberst, der Fritz sei tobt,
er hätte sich umgebracht, man wüßte die Gründe nicht und bedauere
den Vorfall lebhaft. Jürgen murmelte etwas zwischen den Zähnen
und schüttelte die Faust. Doch es kam der eiserne Zwang des Einerleis
täglicher Arbeit, nur die Erinnerung blieb, und dachte er des Fritz,
da war es, als ob ihm in der Herzgrube eine Wunde brennte, schneidend
scharf. . .. Auf dem Garnisonskirchhof, wo die Gräber neben einander
stehen wie eine Kompagnie Soldaten, schmucklos und trostlos, hinten
an der Mauer ist der Hügel, wo sie den Fritz eingescharrt haben.

In der Weißdornhecke schlug ein loser Zeisig, der Himmel strahlte
in kräftigem Blau, und Jürgen schritt fürbaß. Heute zum Mittag
mußte er im Städtchen sein, dem Cohn den Hypothekenzins, dem
Grundherrn die Pacht zu zahlen. Er fühlte nach dem Beutel, den
er im Kittel trug, gefüllt mit harten Silberstücken, an deren jedem
viele, unendlich viele Schweißtropfen klebten, vergossen auf dem Korn-
feld, auf der Tenne, beim Hub der Sense und beim Fall des Dresch-
flegels. Was aber blieb ihm? Das nackte, kärgliche Dasein. Darum
schaffte er mit Weib und Kind von früh bis spat. Erst die Abgaben,
die Steuern für den Staat und für den Kreis, für die Gemeinde und
für die Pfarrei, für Gläubiger und Grundbesitzer, das ging fort thaler-
weise und groschenweise, lief durch stets offene Finger, die immer
ausgestreckt blieben. Vor sich sah er eine gespenstische Riesenhand,
hart, steinern, die ihre Knochenfinger ausspreizte, von ihm den letzten
Heller zu heischen und ihm den Garaus zu machen.

Nun schritt der Wandrer über einen Holzsteg, der einen schäu-
menden Bergbach überbrückte. Zackig stiegen die stattlichen, bewaldeten
Höhen empor, und dort vorn die Waldwiese, die sie im Volk auch
das Maifeld oder den Teufelsanger hießen, weil von altersher die
Sage ging, hier sei es nicht geheuer und in der Nacht Walpurgis
zum ersten Mai ginge da ein unchristliches Treiben vor sich mit
Damen so auf Besenstielen ritten und Herren mit Schweif und Pferde-
fuß. Jürgen's Großmutter hatte ihm selber an einem Winterabend,
da der Kienspan trübe brannte, erzählt, ihr Urahn sei am Morgen
des ersten Mai über die Wiese gegangen, da hätten sie noch getanzt,
verspätete Nachtschwärmer bei zauberischem Fiedelklang und Zymbel-
schall und hätten hojotohot und rasaunt und wären gesprungen bis
an den Wipfel der uralten Eiche, die mitten auf dem Anger steht.
Wären auseinander gefahren, als er gekommen, wie's Donnerwetter,
und habe der Urahn, der schnell ein Ave Maria gebetet und drei
Kreuze geschlagen, einen merklichen Schwefelgeruch verspürt.

Aber träumte er oder wachte er? War heute nicht der erste
Mai? Glänzte nicht die goldne junge Sonne, die kaum ihr Lager-
verlassen, mit Hellem Strahl auf die Maiwiese, scholl nicht tanzender
Jubel und festlicher Sang zu ihm herüber, stimmte dort nicht ein
Musikus sein Instrument, wurde dort drüben nicht die Geige ge-
strichen und die Trommel gerührt?

Da stand er schon auf der Höhe des sanft aufsteigenden Hügels,
von dem aus der Weg geradezu auf die Maiwiese führt. Die Sonne
blendete ihn und er hielt schützend die Hand vor's Auge. Ja, fröh-
liche, jauchzende, spielende, tanzende Menschen sah er da unten, hunderte,
viele hunderte. Das waren keine Spukgestalten, das waren leib-
haftige, athmende, lebensivarme Wesen, die in ungezwungener Lust
sich bewegten. Hier lagerte auf dem Moosteppich eine Schaar scher-
zender junger Männer und Frauen, einfach und schicklich gekleidet,
in lebhaftem Gespräch; die Augen blitzten, die Worte flogen pfeil-
schnell herüber hinüber, ein munteres Gefecht, ein feines Waffenspiel
der Geister. Kleine Kinder, Knaben und Mädchen, in keckem Chor
hielten sich an den Händen gefaßt und schwebten in anmuthigem
Reigen auf und nieder; Kränze aus Laub und Lenzblumen trugen sie
auf dem Haupt, sie stampften im Marschtakt auf mit den Füßchen
und sangen ein Lied, der Freude und Freiheit schien es geweiht.

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Und plötzlich kam Ruhe unter die Leute, die Fiedel verstummte
und aus den ungeordneten Haufen bildete sich ein mit Fahnen ge-
schmückter Zug, der sich nach dem Hügel bewegte, auf dem Jürgen
stand. Rechts war ein Altar errichtet, an dem ein morgenschönes
Weib die Herannahenden begrüßte? Was sie sagte, verstand Jürgen
nicht, aber ein heiliger Schauer durchrieselte ihn bei dem Klange ihrer
Stimme. Aehnliches empfand er nur in seiner Dorfkirche, wenn der
Pfarrer am Ostermorgen die Auferstehung verkündete von Gottes
Sohn, der gekommen sei, die Armen und Elenden zu erlösen.

Der Zug kehrte wieder zurück und die Festesfröhlichkeit trat in
ihr Recht. Die Menschen wahrten ein feines Maß guter Sitte und
verkehrten untereinander wie innig befreundete Verwandte, brüderlich
und treu, als ob die stattliche Schaar, deren Glieder kaum zu zählen,
eine einzige Familie fest Versippter bildete.

Jürgen kam das Wesen zwar seltsam, aber nicht uneben vor,
und da er über die Maiwiese gehen mußte, so gedachte er durch die
Leutchen da unten mit dem eignen Behagen still und bescheidenlich
durchzuschreiten, um rechtzeitig an sein Ziel zu kommen.

Da er kaum ein paar Schritte gethan, rief ihm ein stattlicher
Mann, der mit etlichen gleichgesinnten Freunden in bedächtigem Ge-
spräch bei Seite stand, freundlich zu: „Guten Tag, wohin des Wegs
so früh? Bleibt ein Weniges bei uns, Alter, Ihr seid schon weit
gegangen. Eure Schuhe sind staubig und Ihr bedürft der Stärkung."
Sprach's und reichte Jürgen einen kräftigen Trunk, den er ohne
Widerstreben annahm und sich gut schmecken ließ. Nach guter alter
Sitte dankte er und fragte so nebenhin, was die Herren und Frauen
denn heute herausgeführt, ob sie etwa eine Hochzeit oder da sie ihrem
Aussehen nach wohl städtische Gewerbsleute seien, ein Handwerksfest,
eine Meistersprechung oder Freilassung feierten.

„Nein," entgegnete der gastliche Freund, „wir sind Sozialdemo-
kraten und feiern den ersten Mai." Jürgen prallte zurück und
dachte, die Erde werde sich aufthun und ihn verschlingen. Diese
hübschen, säubern, ordentlichen Menschlein, die sich so sittsam ver-
gnügten, wären jene Sozialdemokraten, von denen ihm Pfarrherr und
Amtmann, Landrath und Gensdarm, Gutsbesitzer und Bürgermeister
erzählt hatten. Diese Leute sengten, brannten, mordeten gewiß nicht,
sie trugen nicht Dolch, nicht Dynamit, nicht Petroleum, die ganze
Welt zu vernichten.

Mit stillem Lächeln hatte der Andere Jürgen's Erstaunen gesehen
und ohne es merken zu lassen, erzählte er ihm, was er und seine
Freunde denn eigentlich wollten; und warum sie den ersten Mai fest-
lich begingen, ihn, der Arbeit großen Feiertag, das Wahrzeichen, daß
alle, so mühselig und beladen, vom Joch der Noth und des Elends
befreit werden. Und Alles wußte der Fremde; die Leiden der Bauern,
die ihnen kaum zum Bewußtsein gekommen, fanden ihren trefflichen
Ausdruck in der Rede des Mannes. Und als er nun gar auf die
Plage zu sprechen kam, die das Volk zu ertragen hat in der Kaserne,
da schüttelte den Jürgen ein tiefer Schmerz, er gedachte seines un-
glücklichen Fritz, der an der Kirchhofsmauer den ewigen Schlaf schlief.

Rede und Gegenrede erfolgte und als die Sonne zum Scheitel
stieg, sagte Jürgen, indem er den Umstehenden die Hand schüttelte:
„Ich muß von hinnen gehen, meine Zeit ist gekommen; aber ich kenne
Euch nun, Freunde. Mich habt Ihr gewonnen, und ich werde für
Euch werben. Eure Sache ist unsre Sache, Arbeiter und Landrnann
müssen zusammengehen."

Sie sahen ihn den Abhang herabsteigen, den Rücken gebeugt, wie
wenn er eine Saat ausstreute ringsum in die fruchtbare Flur. Sein
Gang schien jugendlicher, kräftiger. Ihm träumte von einer künftigen
Zeit, da er auf seinem Grunde sein Feld bestellte, wo das Leben
ein Maienfest, die Arbeit eine Lust, die Freude ein verbrieftes Recht
sein wird.

Jauchzend hob sich eine Lerche mit froher Botschaft in die klare
Morgenluft empor, leichtbeschwingt, rasch und rascher aufschwebend.
Jürgen aber wandelte bergab, dem Thale zu, und die Saat keimte,
keimte, keimte. tz-ms rvagemuth.

* Siehe unsere Beilage: Maienseft der Arbeiter.


Verantwortlich für die Redaktion Georg Raßler in Stuttgart. — Truck und Verlag von I. H. W. Tietz in Stuttgart.
 
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