Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1459

Lieber Jacob! Berlin, Anfang Mai.

Na, also, wat ick sagen wollte — ach so, Du weeßt noch nischt? Na,
denn wer' ick mir kurz fassen un wollte Dir in die jedrängte Kürze blos
mittheilen, det die Welt noch steht.

Ick seh' ja schon, wie Du jroße Oogen machst, als wolltest De sagen:
„Na, Jotthilf hat woll von de Maifeier so'n kleenen Schwibs behalten" —
aber ferne Spur von blasse Ahnung. Ick wollte Dir eben blos sagen,
det de Welt noch in ihre Angeln ruht, un det der erste Mai, vor den de
Spießbirjer am liebsten unter det Deckbctte jekrochen wären, mit de iebliche
Feierlichkeit un in volle Eintracht von de jesammte Arbeeterschaft jefeiert
wurde. Denk' Dir blos an, Jacob, nich een bisken Blutverjießen, keen
Dynamit, reene jarnischt is passirt, woricber sich sonne olle, dichtije Polizei-
seele hätte aus Herzensjrunde freien kennen.

Nee, so ville Uffrejung in de Bourgeoisie, un nich een eenzijer Acht-
millimeter is in Aktion jetreten, wozu haben wir denn det Militär, un
nu bin ick ooch jejen de Militärvorlage. Von de Arbceter war det nämlich
wirklich nich schön, det se so alle in se jesetzte:: Hoffnungen zu Schanden
machten. Da soll heitzudage ja der Deibel Staatsretter sind. Die Jemein-
heit jeht heitzudage sojar schon so weit, det De eenen Sozialdemokraten
kaum von eenen anderen Menschen unterscheiden kannst.

Ick kenne 'ne janze Masse patriotische Leite, die sich heite schon nach
de Zeiten von Jhring-Mahlow un Naporra zurickschnen. Da war doch
wenigstens manchmal noch wat mang, un wenn ooch de besten Dynamit-
sachen an de Dämlichkeit der Arbceter scheiterten, so hatte man doch
wenigstens die beruhijendc Jemißheit, det de Polizei an'n Zange war, sich
de nothwendijen Staatsverbrecher zu verschaffen — aber heitzudage sind
de Arbceter ja schon so dreiste, det se de Lockspitzel einfach auslachen, ja
ick jloobe sojar, det et bei sonne Jelejenheit lausig Senge jeden könnte.
Det hat mir wenigstens de Maifeier bewiese».

So, sehste Jacob, det hatte ick diesmal uff'n Herzen, womit ick ver-
bleibe erjebenst un mit ville Jricße wie jewehnlich Dein kreier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Die Milliardenzeit. —3j

ilTttttarbcn Sterne am tzimmel stehn,
Milliarden Blumen sprießen.

In rauschenden Strömen zu fernen See'n
Milliarden Wellen fließen.

Milliarden Vögel singen im Hain,
Daneben auch müssen wir dulden.

Daß fröhlich im Deutschen Reiche gedeihn
Milliarden Märklein Schulden.

Ls geht mit jedem Steuertermin
Der Wohlstand mehr in die Brüche,
Des Steuerzahlers Mund entfliehn
Dabei Milliarden Flüche;

Der Staat jedoch braucht Geld stets mehr
Daß er die Wehrkraft stähle,

Drum reicht er rings im Reich umher
Milliarden Zahlungsbefehle.

Der Miquel geht von Haus zu Haus,
Gar fleißig ist der Miquel.

Lr pumpt uns alle Taschen aus,

Lr holt Milliarden Rickel.
was nicht direkt schon liegt bereit,
wird indirekt genommen —

So ist die Milliardenzeit
Air Deutschland wieder gekommen.

Hobelspähne.

Jhr glaubt, den Feudalen kann niemals genug
An Steuern und Zoll man votiren?

O, legt auf die D utumheit nur Steuer und Zoll,
Dann werden sie opponiren.

„Der Name thut nichts zur Sache,"
denkt Eugen Richter, da fährt er fort, sich frei-
sinnig zu nennen.

Es ist der Mai gekommen,

Der Winter ist vertrieben —

Wie herrlich wärs im deutschen Land,

War' ncht der Unter ne hm er stand
Zur Qual des Volks geblieben.

Der Grundsatz der Jesuiten hat bei den französischen Staatsmännern
eine kleine Korrektur erfahren'; es heißt dort: „Der Check heiligt das
Mittel. 3f)r getreuer Säge, Schreiner.

jetzt noch zu zweifeln? Und Thielen, Eulenburg,
Heyden, das sind Namenchristen, die cntchristlicht
worden sind durch die Levi, Miguel, Bär Löbsch,
Bosse,Mosse. In den Händen dieser Rassejnden
uegt dein Loos, mein Deutschland. Sie haben
die drei anderen Kollegen verjudet, langsam aber
sicher. Es war ein Gcwaltstreich. Eines Nachts, die
Hebamme der Thtirschließerfran im Reichskanzler-
amt hat es mir an Eidesstatt versichert, war es stür-
misch und regnete. Warum soll diese Nacht nicht ge-
eignet gewesen sein, dies Furchtbare zu thnn, worüber
ich unterrichtet bin durch einen urkundlichen Beleg,
durch diesen anonymen Brief? In dieser Rächt,
ich nehme an, es war der erste April, brache»
vermummte Häscher ein in die Ministerhotels
und schleppten in geschlossenen Wagen Enlenburg,
Thielen und Heyden davon. Wohin sie führen?
In die Oranienburgerstraße, wo der maurische
Kuppelbau der großen Synagoge prangt. In jener
Nacht hat mein Duzfreund Micrike, der aus der
Destille zur putzigen Kruke kam, die Synagoge er-
leuchtet gesehen. Da waren sie versammelt, die
ganze Iudenschaft, und Einer schwang das scharfe,
blitzende Messer. Herein führten die Schergen die
edlen Opfer, im Nachthemd, blank und bloß. -Ein
Ruck, ein Schnitt, ein dreifacher gellender Schrei.
Es war geschehen, auch diese waren nun Hebräer.
Wer der Operateur, der Mahel, wie das verruchte
Hebräerthum sagt, gewesen ist? Meyer Rothschild
war in jener Nacht nicht in Frankfurt. Wo kann
er gewesen sein? Was hat er gemacht? Den goldnen
Schnitt.

Graf Kranich: Genug, genug! Rufen wir:
Heil, Heil! stürzen wir das Ministerium und Berlin
in Feuersflammen, bewaffnen wir die Antisemiten!
Feurio, Mordio, nach Berlin, nach Berlin! Fort
mit den Juden!

Ahlwardt: Wohlan, doch unser heiligcr
Kampf bedarf der höheren Weihe. Wie das fran-
zösische Volk aufstund gegen die englischen Be-
drücker, nachdem sich ein Heldenweib, Johanna von
Orleans, an ihre Spitze gestellt, so brauchen auch
meine Arnswalder Bauern, meine Knaben von
Tivoli, mein Herter von Spandau eine erleuchtete
Führerin. Gebt mir eine Jungfrau, eine Jungfrau
gebt mir!

Graf Kranich: Mein Hirn zermartre ich, doch
mir fällt keine ein.

Ahlwardt: Ich hab's. Unsre Heldin soll
Dorchen Croner sein. Zwar eine Jungfrau ist
sie nicht, sie ist eine Jüdin, aber sie hat Bleich-
rödcr in die Flucht geschlagen. Und das Juden-
flintcn-Ministeriuin sollte nicht fallen, wenn ihre
Tugend auf sic einwirkt?

(Die Wildsau ist endlich durch das Gitter gebrochen, stürzt
auf Ahlwardt los. Dieser flüchtet, sie unterläuft ihn und

springt mit ihm, der rittlings auf ihr sitzt, davon.)

Graf Kranich: Der Himmel gab uns ein
Zeichen. Welches Schwein! Unser ist der Sieg;
wir wissen zu kämpfen.

Waldwärter (aus seiner Hütte kommend, schwingt
einen Stecken): Vermaledeite Nachtraben, könnt ihr
nicht anderswo pennen? (Schlügt den Kranich.)

Graf Kranich (läuft davon): Au, au!

Ah lwardts Stimme laus weiter Ferne): Hilfe,
Hilfe! Das war ein Judenstreich.

Ein Mnster-Nbgrordneker.

A. : Warum hat sich der Abgeordnete Bismarck
niemals im Reichstage blicken lassen?

B. : Aus Eitelkeit; nachdem all' sein Glanz ver-
blichen ist, wollte er wenigstens noch durch Ab-
wesenheit glänzen.

Befähigungsnachweis.

Vater: Mein Sohn, Du entpuppst Dich ja als
ein ganz raffinirter Schuldenmacher! Sage
doch, >vas soll aus Dir einmal werden?

Sohn (Student): Ich hoffe — Finanzminister.

Glückliche Zukunft.

A. : Wenn die neue Heeresorganisation erst ein-
geführt sein wird, dann kann doch wohl Jeder-
mann auf die unüberwindliche Wehrkraft Deutsch-
lands schwören?

B. : Gewiß; die Soldaten schwören den Fahnen-
Eid und die Bürger den Manifestations-Eid.

Böcke! in Gefahr.

Hinz: Warum hat sich der Böckel eigentlich
vom Ahlwardt losgesagt?

Kunz: Aus Angst! Der Ahlwardt ist so eifrig
im Böcke-Schießen, daß vor ihm kein Böckel
sicher ist.

Briefkasten.

(Manuskripte werden nicht zurückgesandt.)

Vielfachen Anfragen zur Benachrichtigung, daß die in
Nr. 175 enthaltene Komposition von P. Michael: „Das
Lied, des Volkes Eigen" in Separalabdruck ü 6 Pfennig zur
Verfügung steht. Der Nachdruck aller Artikel, Illustrationen rc.
und ebenfalls der musikalischen Beiträge des „Wahren Jacob"
ist verboten. Ein besonderer Vermerk im Blatte ist deshalb
nicht erforderlich.

H. Sch. in R. Die Marseillaisen-Phantasie wird ge-
legentlich verwendet.

A. F. in L. Seit Josuas Zeiten ist versucht worden,
„das Rad der Zeit zurückzudrehen," aber stets ohne Erfolg.
Der Witz ist also nicht neu, er wiederholt sich bei jeder Ge-
legenheit. — „Jotthilf Naucke" bleibt vorläufig am „Jörlitzer
Bahnhof" wohnen.

Sausewind in Berlin rechts. Die Geschichte vom
„dicken Kolonnenführer, der 300 Pfund wiegt," ist unverständ-
lich und daher abgelehnt.

XO. G. in Berlin. Ihre Frage wurde schon früher be-
antwortet. Der „Wahre Jacob" erscheint 26mal im Jahr, —
er ist demnach auch 26mal zu bezahlen.

L. L. in Mengen. Ist zu lokaler Natur, daher nicht
verwendbar.

I. w. in München. DaS Gewünschte finden Sie in
der „Deutschen Arbeiter-Dichtung".
 
Annotationen