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Hier fand also Schindler kein Unterkommen; er hatte nun ver-
sucht, seine kaufmännischen Kenntnisse zu verwerthen und Stelle in
einem Komptoir zu suchen. Aber dabei stellte sich heraus, daß hierzu
seine Fähigkeiten nicht genügten. Dies kränkte ihn sehr, denn er
hatte sich immer für einen großen Kaufmann gehalten mit der be-
rechtigten Anwartschaft auf den Kommerzienrathstitel.
Der Hunger wurde mittlerweile täglicher Gast bei Schindler,
und als der Winter hereinbrach, nahm die Noth so große Dimensionen
an, daß der gewesene Fabrikant sich wohl oder übel entschließen
mußte, zu dem letzten Mittel zu greifen. Er klagte einem seiner
früheren Werkführer seine Noth und bat ihn um des Himmelswillen,
er möge etwas für ihn thun, da alle seine Freunde ihm herzlos den
Rücken gekehrt hätten.
Der Werkführer, dem ein menschliches Herz unter seinem Kittel
schlug, versprach zu helfen und er half auch. Freilich mußte Schindler
als einfacher Arbeiter in einer Fabrik eintreten. Es war aber ge-
schehen unter völliger Geheimhaltung seines Namens. Und nun hatte
Schindler Brot, das er im Schweiße seines Angesichts essen durfte.
Vor Kurzem noch Unternehmer und nun Arbeiter — das war hart,
aber es blieb dein armen Schindler keine Wahl. Bald stand er in
Reih' und Glied im großen Arbeitssaale, in schmutziger, ölgetränkter
Blouse und rackerte sich ab, wie die andern. Seine wohlgepflegten
Hände schmerzten und brannten, sein Kopf brummte ihm von dem
ewigen Getöse, dem Hämmern und Stampfen, und die Tage, die
langen Arbeitstage, sie wurden ihm zur Ewigkeit.
Früh beim Lichte der Gasflamme schon schaffen, dann den kurzen,
bleichen Wintertag vorüberziehen sehen, und dann wieder Stunde um
Stunde in heißer, staubgefüllter Luft unter der grellflackernden Gas-
flamme stehen und schaffen, immer schaffen ohne Rast — das schien
ihm die Qual der Hölle, wie sie die glühende Phantasie eines Dante
nicht schrecklicher schildern konnte. Und doch war es nicht die zwölf-
stündige Arbeitszeit, sondern die Fabrik, in welcher Schindler arbeitete,
besaß längst den zehnstündigen Arbeitstag.
Der Winter ging vorüber; die Noth lehrt beten, und aus Schindler
war ein leidlicher Arbeiter geworden. Aber die Fülle seines Körpers
war verschwunden, seine Wangen waren eingefallen und zeigten nicht
mehr die frühere gesunde Röthe. Er konnte es nicht begreifen, daß
man Menschen zu so harter Sklavenarbeit verurlheilt und ihnen
dafür so kärgliche Löhne zahlt, die nicht einmal zu kräftiger Nahrung
und menschenwürdiger Woh-
nung reichen, während die
Besitzenden doch Alles im
Ueberfluß haben. Daß er
selbst einst zu den Bevor-
zugten gehört hatte, daran
dachte er nicht mehr; die
Zeit seines Wohllebens war
wie ein schöner Märchen-
traum hinter ihm versunken,
und vor sich sah er nur die
Nacht des Elends, in welches
er verfallen würde, wenn
seine im Uebermaß ange-
strengten Kräfte erlahmten.
So saß er eines Mor-
gens in der Frühstücks-
pause schweigend auf seinem
Schemel und verzehrte ein
Stück Brot mit Käse. Er
bemerkte, daß seine Arbeits-
kollegen in einem Winkel
eifrig diskutirten, wobei ab
und zu ein Blick auf ihn
fiel, so daß er bereits bangte,
er sei verrathen. Dem war
jedoch nicht so. Einer seiner
Kollegen näherte sich und
srug ihn, ob er gewillt sei,
die Wahl in eine Depu-
tation anzunehmen; man
habe beschlossen, bei allen Fabrikanten des Kreises vorstellig zu werden,
die noch nicht die zehnstündige Arbeitszeit eingeführt hatten. Ganz
besonders habe man aber die Habicht'sche Fabrik ins Auge gefaßt,
wo noch zwölf
Stunden gear-
beitet würde.
Schindler
wurde es bald
kalt, bald heiß
bei dieser Unter-
redung. Er,
der vor Jahres-
frist eine solche
Deputation
schnöde abge-
wiesen hatte,
sollte jetzt selbst
als Deputirter
zu Habicht, zu
seinem Tod-
feinde gehen.
Ha, wie würde
sich dieser
freuen, wenn er
ihn in einer
solchen Lage,
als Bittenden
vor sich sehen
würde. Und
dennoch, gerade
er war der Mann dazu, der das richtige Wort sprechen konnte,
sagte sich Schindler; ja, er sei sogar dazu verpflichtet, da er jetzt
persönlich es kennen gelernt hatte, wohin die übermäßig lange Arbeits-
zeit führt.
Mit einem an Heroismus grenzenden Entschluß sagte Schindler
zu und nahm die auf ihn gefallene Wahl an.
Acht Tage vor dem ersten Mai sollten die verschiedenen Fabri-
kanten besucht werden. Die Deputation hatte sich zusammen gesunden
und trat die Wanderung an. Zuerst wollte man in die Habicht'sche
Fabrik, die ca. zwei Stun-
den entfernt am Abhang des
Gebirges lag. Ein Stell-
wagen brachte die Depu-
tation baldigst dorthin. Als
sie vor das Fabrikthor an-
langten, bemerkten die De-
putirten eine merkwürdige
Unruhe an allen Leuten, die
ihnen begegneten.
Der Portier, der erst
auf wiederholtes Klingeln
erschien, erklärte ihnen, daß
sie die Zeit ihres Besuchs
schlecht gewählt hätten, —
der Herr Habicht sei gestern
Abend gestorben. Mittler-
weile hatte der Portier den
Deputirten Schindler schär- .
fer ins Auge gefaßt; er
erkannte ihn als seinen
früheren Herrn und rief
endlich aus:
„Nee, was Sie das
aber sor'n Glück is, Herr
Schindler, daß Sie so un-
verhofft uns Heide besuchen.
— Denken Sie sich, der Herr
Habicht hat ja gar keene
Verwandten nich mehr als
Sie, un nu werden Sie
„Nee, was Sie das aber for'n Glück is, Herr Schindler, daß Sie uns Heide besuchen?
Hier fand also Schindler kein Unterkommen; er hatte nun ver-
sucht, seine kaufmännischen Kenntnisse zu verwerthen und Stelle in
einem Komptoir zu suchen. Aber dabei stellte sich heraus, daß hierzu
seine Fähigkeiten nicht genügten. Dies kränkte ihn sehr, denn er
hatte sich immer für einen großen Kaufmann gehalten mit der be-
rechtigten Anwartschaft auf den Kommerzienrathstitel.
Der Hunger wurde mittlerweile täglicher Gast bei Schindler,
und als der Winter hereinbrach, nahm die Noth so große Dimensionen
an, daß der gewesene Fabrikant sich wohl oder übel entschließen
mußte, zu dem letzten Mittel zu greifen. Er klagte einem seiner
früheren Werkführer seine Noth und bat ihn um des Himmelswillen,
er möge etwas für ihn thun, da alle seine Freunde ihm herzlos den
Rücken gekehrt hätten.
Der Werkführer, dem ein menschliches Herz unter seinem Kittel
schlug, versprach zu helfen und er half auch. Freilich mußte Schindler
als einfacher Arbeiter in einer Fabrik eintreten. Es war aber ge-
schehen unter völliger Geheimhaltung seines Namens. Und nun hatte
Schindler Brot, das er im Schweiße seines Angesichts essen durfte.
Vor Kurzem noch Unternehmer und nun Arbeiter — das war hart,
aber es blieb dein armen Schindler keine Wahl. Bald stand er in
Reih' und Glied im großen Arbeitssaale, in schmutziger, ölgetränkter
Blouse und rackerte sich ab, wie die andern. Seine wohlgepflegten
Hände schmerzten und brannten, sein Kopf brummte ihm von dem
ewigen Getöse, dem Hämmern und Stampfen, und die Tage, die
langen Arbeitstage, sie wurden ihm zur Ewigkeit.
Früh beim Lichte der Gasflamme schon schaffen, dann den kurzen,
bleichen Wintertag vorüberziehen sehen, und dann wieder Stunde um
Stunde in heißer, staubgefüllter Luft unter der grellflackernden Gas-
flamme stehen und schaffen, immer schaffen ohne Rast — das schien
ihm die Qual der Hölle, wie sie die glühende Phantasie eines Dante
nicht schrecklicher schildern konnte. Und doch war es nicht die zwölf-
stündige Arbeitszeit, sondern die Fabrik, in welcher Schindler arbeitete,
besaß längst den zehnstündigen Arbeitstag.
Der Winter ging vorüber; die Noth lehrt beten, und aus Schindler
war ein leidlicher Arbeiter geworden. Aber die Fülle seines Körpers
war verschwunden, seine Wangen waren eingefallen und zeigten nicht
mehr die frühere gesunde Röthe. Er konnte es nicht begreifen, daß
man Menschen zu so harter Sklavenarbeit verurlheilt und ihnen
dafür so kärgliche Löhne zahlt, die nicht einmal zu kräftiger Nahrung
und menschenwürdiger Woh-
nung reichen, während die
Besitzenden doch Alles im
Ueberfluß haben. Daß er
selbst einst zu den Bevor-
zugten gehört hatte, daran
dachte er nicht mehr; die
Zeit seines Wohllebens war
wie ein schöner Märchen-
traum hinter ihm versunken,
und vor sich sah er nur die
Nacht des Elends, in welches
er verfallen würde, wenn
seine im Uebermaß ange-
strengten Kräfte erlahmten.
So saß er eines Mor-
gens in der Frühstücks-
pause schweigend auf seinem
Schemel und verzehrte ein
Stück Brot mit Käse. Er
bemerkte, daß seine Arbeits-
kollegen in einem Winkel
eifrig diskutirten, wobei ab
und zu ein Blick auf ihn
fiel, so daß er bereits bangte,
er sei verrathen. Dem war
jedoch nicht so. Einer seiner
Kollegen näherte sich und
srug ihn, ob er gewillt sei,
die Wahl in eine Depu-
tation anzunehmen; man
habe beschlossen, bei allen Fabrikanten des Kreises vorstellig zu werden,
die noch nicht die zehnstündige Arbeitszeit eingeführt hatten. Ganz
besonders habe man aber die Habicht'sche Fabrik ins Auge gefaßt,
wo noch zwölf
Stunden gear-
beitet würde.
Schindler
wurde es bald
kalt, bald heiß
bei dieser Unter-
redung. Er,
der vor Jahres-
frist eine solche
Deputation
schnöde abge-
wiesen hatte,
sollte jetzt selbst
als Deputirter
zu Habicht, zu
seinem Tod-
feinde gehen.
Ha, wie würde
sich dieser
freuen, wenn er
ihn in einer
solchen Lage,
als Bittenden
vor sich sehen
würde. Und
dennoch, gerade
er war der Mann dazu, der das richtige Wort sprechen konnte,
sagte sich Schindler; ja, er sei sogar dazu verpflichtet, da er jetzt
persönlich es kennen gelernt hatte, wohin die übermäßig lange Arbeits-
zeit führt.
Mit einem an Heroismus grenzenden Entschluß sagte Schindler
zu und nahm die auf ihn gefallene Wahl an.
Acht Tage vor dem ersten Mai sollten die verschiedenen Fabri-
kanten besucht werden. Die Deputation hatte sich zusammen gesunden
und trat die Wanderung an. Zuerst wollte man in die Habicht'sche
Fabrik, die ca. zwei Stun-
den entfernt am Abhang des
Gebirges lag. Ein Stell-
wagen brachte die Depu-
tation baldigst dorthin. Als
sie vor das Fabrikthor an-
langten, bemerkten die De-
putirten eine merkwürdige
Unruhe an allen Leuten, die
ihnen begegneten.
Der Portier, der erst
auf wiederholtes Klingeln
erschien, erklärte ihnen, daß
sie die Zeit ihres Besuchs
schlecht gewählt hätten, —
der Herr Habicht sei gestern
Abend gestorben. Mittler-
weile hatte der Portier den
Deputirten Schindler schär- .
fer ins Auge gefaßt; er
erkannte ihn als seinen
früheren Herrn und rief
endlich aus:
„Nee, was Sie das
aber sor'n Glück is, Herr
Schindler, daß Sie so un-
verhofft uns Heide besuchen.
— Denken Sie sich, der Herr
Habicht hat ja gar keene
Verwandten nich mehr als
Sie, un nu werden Sie
„Nee, was Sie das aber for'n Glück is, Herr Schindler, daß Sie uns Heide besuchen?