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1471

„Ich gab ihm einen Stoß in die Seite, daß er über den Fahrweg und in die Körbe
der Marktweiber flog/"

Anzeige wegen Anstiftung zur Vagabondage vor. Sie zwingen einen
Theil Ihrer Arbeiter zuni Müßiggang. Was haben Sie zu Ihrer
Entschuldigung vorzubringen?"

Der Mann spielte den Beleidigten. Wie könne man ihn so
beschuldigen! Er würde die Leute gern beschäftige», aber er habe
selbst keine Arbeit.

Aha — hier traf ich schon die faule Ausrede, die der Ober-
bürgermeister erwähnt hatte. „Wer kein Müßiggänger ist, findet
immer Arbeit!" sagte ich mit Wucht. „Augenblicklich beschäftigen
Sie Ihre Arbeiter und thun selbst etwas Nützliches,
sonst werden Sie wegen Arbeitsscheu der Landes-
polizeibehörde überwiesen."

Jetzt wollte dieser Lehmann grob werden; er
behauptete, ich überschritte meine Befugnisse. Da kam
er aber an den Rechten.

„Sie haben mich beamtenbeleidigt. Sie sind arre-
tirt," sagte ich.

„Das geht zu weit!" schrie der erste Buchhalter,
ein kleines, zappeliges Männchen, aufgeregt dazwischen.

„Noch Einer," sprach ich mit Würde. „Sie sind
auch arretirt."

Ich nahm mein Schließzeug aus der Tasche, fesselte
den dicken Lehmann und den kleinen Buchhalter kunst-
gerecht aneinander und führte Beide unter dem Zu-
lauf einer ungeheuren Volksmenge nach der Haupt-
Polizeiwache, wo ich sie in den Warteraum sperrte.

Stolz ging ich weiter. Es sollte am Nachmittag
eine sogenannte Razzia stattfinden. Bei solcher Ge-
legenheit wird Alles aufgegriffen, was sich nicht legi-
timiren und keine Beschäftigung Nachweisen kann.

Als ich über den Markt ging, kam mir ein Kerlchen
in gelben Schuhen entgegen, welches ein rothes Buch
in der Hand und eine Tasche mit Lederriemen trug.

Es bummelte den echten Müßiggängerschritt.

„Heda, wer bist Du!" schrie ich das Kerlchen an.

„Ei Herrjeeses!" war die Antwort, „ich bin Sie
der Jeremias Schulze aus Leibzig, wenn Se's »ich
ungiedig nähm'."

„Was treibst Du?" fragte ich.

„Na härnse, sähnse, ich duhe nämlich änne Reese
machen," sagte der Leipziger.

„Für welche Firma?"

„Ach nee, vor gar geene, ich bin Sie Vergniegungs-
reesender, — jaa!" — —

„Also Bummler," konstatirte ich. „Legitimation!"
„Na nu," sagte der Leipziger, „das is bei feine
Leide »ich mehr Mode, daß mer Legedemadsjohn
midschlebbd. Hier is aber mei Bädecker un mei Rund-
reesebilledchen."

„Wer weiß, wo Du das Zeug gestohlen hast,"
sagte ich. „Legitimationslos aufgegriffen, wirst ver-
haftet und ausgewiesen, so bald Du Deine Strafe ab-
gesessen hast."

Mein Delinquent wurde immer ängstlicher.

„Ach, sein Se nor »ich so ungemiedlich, Herr
von Schandarm. Ich hab's ja nich gewußd, daß mer
in Ihre Schdadt nich rein darf; un auszuweisen
brauchen Se mich gleich gar nich, denn ich loofe,
was ich gann, daß ich uff'n Bahnhof gomme un
abdamfe."

Na, weil der Strolch höflich war, beschloß ich,
milde mit ihm zu verfahren. Ich gab ihm einen Stoß
in die Seite, daß er über den Fahrweg und in die
Körbe der Marktweiber flog, und entließ ihn damit
in Gnaden.

Nun trat ich in ein Kaffeehaus. Es war um die
Zeit, in welcher alle fleißigen Leute bei der Arbeit
sind. Da lungerten am Billard zwei affektirt gekleidete
Burschen herum, die echte Galgenphysiognomien zeigten
— abgelebte, blasse Gesichter, dünnes Haar, welches in
die Stirn herein gekämmt war; in der Ecke lehnten zwei Knüttel,
wie sie wohl von Straßenräubern getragen werden. Ich fragte die
Burschen nach ihrem Namen, Wohnung und Arbeitsplatz.

Der Eine lachte mir frech in's Gesicht. „Arbeitsplatz — lächer-
lich! Mein Vater ist Kommerzienrath und Millionär."

„Ich habe nicht gefragt, wer Dein Alter ist," sagte ich streng,
„sondern ich will wissen, warum Du Dich müßig in den Wirths-
häusern herumtreibst."

„Weil es mir so beliebt," sagte er, „was geht das die Polizei an."

„Thatlicher Widerstand gegen die Staatsgewalt/' konstatirte ich.
 
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