r?s,s Vellage zum „Mahren Zacav" Lr. 184.
Peter Lawroff.
Am 14. Juni d. I. feierte ein wohlverdienter Vorkämpfer des
Sozialismus seinen siebzigsten Geburtstag: der russische Gelehrte und
Revolutionär PeterLawrowitschLawroff. Aus den verschiedensten
Ländern, von den Vertretern der verschiedensten sozialistischen und
revolutionären Parteigruppirungen liefen Glückwünsche ein. denn
Lawroff kämpft seit mehr als dreißig Jahren mit der Feder unentwegt
und in erster Reihe-jener Schaar kühner, hochherziger Frauen und
Männer, welche dem russischen Volke durch eine soziale Wiedergeburt
Freiheit und Glück bringen möchten. In Paris, fern von der Heimath.
im Exil mußte der greise Soldat der sozialistischen Idee seinen Ehren-
tag begehen. Die Rosen, welche den Kämpfern im politischen Streik
wachsen, haben mehr als alle an-
deren ihre Dornen, und wer die
ans Schwärmerische streifende Liebe
kennt, mit welcher der Russe an
seinem unglücklichen Vaterlande
hängt, der kann nachempfinden,
welch bitteren Schmerz es für einen
Mann vom Schlage Lawroffs be-
deutet. fern von der Heimath für
die Heimath kämpfen zu müssen.
Lawroff wurde am 14. Juni
1823 als Sohn reicher, altadliger
Eltern geboren. Er sollte sich der
militärischen Laufbahn widmen
und erwarb an der Petersburger
Artillerieschnle glänzende Fach-
kenntnisse. Da das Waffenhand-
werk jedoch sehr wenig seiner Nei-
gung und Begabung entsprach, so
widmete er sich dem Lehrfach für
Kriegswissenschaften. Schon mit
einundzwanzig Jahren wurde er
Lehrer für höhere Mathematik an
der Artillerieschule, und bald dar-
auf erhielt er den Rang eines
Obersten und eine Berufung an die
Petersburger Kriegs-Akademie.
Seinen weitfassenden. reg-
samen Geist befriedigte jedoch die
Beschäftigung mit den Militär-
wissenschaften nicht und so gab er
sich gründlichen geschichtlichen und
philosophischen Studien hin. welche in ihm mehr und mehr neue, frei-
heitliche Ueberzeugungen zeitigten. Dieselben klärten und festigten
sich im weiteren Forschen und im Verkehr mit Männern, wie
Tschernischewsky. Michailofs nnd anderen, welche die studirende
Jugend Rußlands in den Ideen des revolutionären Sozialismus er-
zogen. Lawroff entfaltete wie sie eine rege literarische Thätigkeit und
veröffentlichte in den angesehensten russischen Zeitschriften Aufsätze
und Abhandlungen, welche von der vielseitigen wissenschaftlichen Bil-
dung des Verfassers zeugten und ihm durch ihre Tendenzen die
Sympathie der radikalen und sozialistischen Kreise gewannen. Rußland
stand nämlich in jenen Jahren noch im Zeichen der „Reformen"
Alexanders II., und die Zensur, welche unter dem Despoten Nikolaus
jedes geistige Leben darnieder gehalten hatte, wurde weniger streng
gehandhabt. so daß sich in Presse und Gesellschaft ein freierer Geist
äußern konnte.
Doch „die schönen Tage von Aranjuez" gingen bald vorüber. Die
finsterste Reaktion hielt ihre Rückkehr; ein Vorkämpfer des Sozialismus
nach dem anderen siel ihr zum Opfer und auch Lawroff sollte bald
von seinem Geschick ereilt werden.
Als Mitarbeiter und späterer Hauptredakteur einer großen En-
zyklopädie hatte er durch seine philosophischen Ansichten über Religion
und Moral die Galle der Pfaffen erregt. Die Diener der „Religion
I-
der Liebe und Duldsamkeit" forderten für den Gottlosen den Kirchen-
fluch und die Verbannung nach Sibirien, und die Regierung hatte von
nun an ein Auge auf den Mann, in welchem sie bisher nur den
Gelehrten, nicht den Revolutionär gesehen hatte. Die sozialistischen
Ueberzeugungen. welche Lawroff vertrat, der Einfluß, den er auf die
studirende Jugend ausübte, ließen ihr bald in ihm einen gefähr-
lichen Gegner erkennen. Sie verwickelte ihn 1866 in einen politi-
schen Prozeß, und obgleich bei einer Haussuchung keine belastenden
Papiere gefunden wurden, sondern nur etliche Gedichte, in denen
sich eine glühende Freiheitsliebe kundgab. sowie tiefes Mitgefühl
mit den Leiden des geknechteten Volkes, so wurde Lawroff dennoch
verhaftet und vor ein Militär-
gericht gestellt.
Eine kleine Episode aus dem
Verlauf der Untersuchung ist be-
zeichnend für Lawroffs Charakter.
Unter den beschlagnahmten Schrift-
stücken befanden sich verschiedene,
welche nicht seine Schriftzüge tru-
gen. Danach befragt, von wem
das eine herrühre, antwortete der
Angeklagte, daß es seine vor meh-
reren Jahren verstorbene Frau ge-
schrieben habe. „Und das andere?"
— „Meine Schwester." — „Wo ist
sie?" — „Sie ist tobt." — „Von
wem ist dieser Brief?" — „Er
rührt von N. her. welcher bei der
Belagerung von Sebastopol ge-
fallen ist." — „Aber Sie nennen
ja nur Verstorbene", rief nun einer
der Richter erzürnt ans. — „Haben
Sie vielleicht erwartet, daß ich
Lebende nennen würde?" gab
Lawroff ruhig und stolz zur Ant-
wort.
Das Gericht vernrtheilte ihn
zu neun Monaten Gefängniß. „weil
er durch seine Gedichte die Nikolaus
und Alexander II. geschuldeten Ge-
fühle der Verehrung untergraben,
mit der Regierung offenkundig
feindselig gesinnten Individuen
(Tschernischewsky. Michailofs) freundschaftliche Beziehungen unter-
halten. in der Presse umstürzlerische Ideen verbreitet und sich anderer
weniger schweren Vergehen schuldig gemacht hatte."
Revolutionärer als Lawroff in das Gefängniß gegangen, kam er
ans ihm zurück. Er wurde nun ohne weiteres Urtheil auf admini-
strativem Wege nach einem kulturfremden Dörfchen im Gouvernement
Wologda verbannt, einer der ödesten Gegenden des europäischen Ruß-
lands. Zwei Gendarmen waren seine ganze Gesellschaft. Unter dem
Pseudonym „Myrtoff" schrieb er von hier aus dasjenige seiner Werke,
das den tiefsten und nachhaltigsten Einfluß auf die russische revolu-
tionäre Bewegung ausgcübt hat. seine „Historischen Briefe".
Ihnen liegt der Gedanke zu Grunde, daß es Pflicht des gebildeten
Menschen ist. mit aller Kraft zu wirken für den Kultnrfortschritt, zu
wirken für die Befreiung des in Elend und Unwissenheit schmachtenden
Volkes. Die „Historischen Briefe" ergriffen die studirende Jugend
gewaltig, denn ihre idealen Bestrebungen, dem Volke Freiheit und
Aufklärung zu bringen, waren darin von Lawroff wissenschaftlich und
geschichtlich begründet worden.
Um der unfreiwilligen politischen Unthätigkeit zu entgehen, welche
ihn schwerer drückte als alle Entbehrungen und Mühsale. flüchtete
Lawroff nach dreijähriger Verbannung mit Hilfe einiger entschlossenen
und begeisterten jungen Revolutionäre ins Ausland. Im März 1870
Peter Lawroff.
Peter Lawroff.
Am 14. Juni d. I. feierte ein wohlverdienter Vorkämpfer des
Sozialismus seinen siebzigsten Geburtstag: der russische Gelehrte und
Revolutionär PeterLawrowitschLawroff. Aus den verschiedensten
Ländern, von den Vertretern der verschiedensten sozialistischen und
revolutionären Parteigruppirungen liefen Glückwünsche ein. denn
Lawroff kämpft seit mehr als dreißig Jahren mit der Feder unentwegt
und in erster Reihe-jener Schaar kühner, hochherziger Frauen und
Männer, welche dem russischen Volke durch eine soziale Wiedergeburt
Freiheit und Glück bringen möchten. In Paris, fern von der Heimath.
im Exil mußte der greise Soldat der sozialistischen Idee seinen Ehren-
tag begehen. Die Rosen, welche den Kämpfern im politischen Streik
wachsen, haben mehr als alle an-
deren ihre Dornen, und wer die
ans Schwärmerische streifende Liebe
kennt, mit welcher der Russe an
seinem unglücklichen Vaterlande
hängt, der kann nachempfinden,
welch bitteren Schmerz es für einen
Mann vom Schlage Lawroffs be-
deutet. fern von der Heimath für
die Heimath kämpfen zu müssen.
Lawroff wurde am 14. Juni
1823 als Sohn reicher, altadliger
Eltern geboren. Er sollte sich der
militärischen Laufbahn widmen
und erwarb an der Petersburger
Artillerieschnle glänzende Fach-
kenntnisse. Da das Waffenhand-
werk jedoch sehr wenig seiner Nei-
gung und Begabung entsprach, so
widmete er sich dem Lehrfach für
Kriegswissenschaften. Schon mit
einundzwanzig Jahren wurde er
Lehrer für höhere Mathematik an
der Artillerieschule, und bald dar-
auf erhielt er den Rang eines
Obersten und eine Berufung an die
Petersburger Kriegs-Akademie.
Seinen weitfassenden. reg-
samen Geist befriedigte jedoch die
Beschäftigung mit den Militär-
wissenschaften nicht und so gab er
sich gründlichen geschichtlichen und
philosophischen Studien hin. welche in ihm mehr und mehr neue, frei-
heitliche Ueberzeugungen zeitigten. Dieselben klärten und festigten
sich im weiteren Forschen und im Verkehr mit Männern, wie
Tschernischewsky. Michailofs nnd anderen, welche die studirende
Jugend Rußlands in den Ideen des revolutionären Sozialismus er-
zogen. Lawroff entfaltete wie sie eine rege literarische Thätigkeit und
veröffentlichte in den angesehensten russischen Zeitschriften Aufsätze
und Abhandlungen, welche von der vielseitigen wissenschaftlichen Bil-
dung des Verfassers zeugten und ihm durch ihre Tendenzen die
Sympathie der radikalen und sozialistischen Kreise gewannen. Rußland
stand nämlich in jenen Jahren noch im Zeichen der „Reformen"
Alexanders II., und die Zensur, welche unter dem Despoten Nikolaus
jedes geistige Leben darnieder gehalten hatte, wurde weniger streng
gehandhabt. so daß sich in Presse und Gesellschaft ein freierer Geist
äußern konnte.
Doch „die schönen Tage von Aranjuez" gingen bald vorüber. Die
finsterste Reaktion hielt ihre Rückkehr; ein Vorkämpfer des Sozialismus
nach dem anderen siel ihr zum Opfer und auch Lawroff sollte bald
von seinem Geschick ereilt werden.
Als Mitarbeiter und späterer Hauptredakteur einer großen En-
zyklopädie hatte er durch seine philosophischen Ansichten über Religion
und Moral die Galle der Pfaffen erregt. Die Diener der „Religion
I-
der Liebe und Duldsamkeit" forderten für den Gottlosen den Kirchen-
fluch und die Verbannung nach Sibirien, und die Regierung hatte von
nun an ein Auge auf den Mann, in welchem sie bisher nur den
Gelehrten, nicht den Revolutionär gesehen hatte. Die sozialistischen
Ueberzeugungen. welche Lawroff vertrat, der Einfluß, den er auf die
studirende Jugend ausübte, ließen ihr bald in ihm einen gefähr-
lichen Gegner erkennen. Sie verwickelte ihn 1866 in einen politi-
schen Prozeß, und obgleich bei einer Haussuchung keine belastenden
Papiere gefunden wurden, sondern nur etliche Gedichte, in denen
sich eine glühende Freiheitsliebe kundgab. sowie tiefes Mitgefühl
mit den Leiden des geknechteten Volkes, so wurde Lawroff dennoch
verhaftet und vor ein Militär-
gericht gestellt.
Eine kleine Episode aus dem
Verlauf der Untersuchung ist be-
zeichnend für Lawroffs Charakter.
Unter den beschlagnahmten Schrift-
stücken befanden sich verschiedene,
welche nicht seine Schriftzüge tru-
gen. Danach befragt, von wem
das eine herrühre, antwortete der
Angeklagte, daß es seine vor meh-
reren Jahren verstorbene Frau ge-
schrieben habe. „Und das andere?"
— „Meine Schwester." — „Wo ist
sie?" — „Sie ist tobt." — „Von
wem ist dieser Brief?" — „Er
rührt von N. her. welcher bei der
Belagerung von Sebastopol ge-
fallen ist." — „Aber Sie nennen
ja nur Verstorbene", rief nun einer
der Richter erzürnt ans. — „Haben
Sie vielleicht erwartet, daß ich
Lebende nennen würde?" gab
Lawroff ruhig und stolz zur Ant-
wort.
Das Gericht vernrtheilte ihn
zu neun Monaten Gefängniß. „weil
er durch seine Gedichte die Nikolaus
und Alexander II. geschuldeten Ge-
fühle der Verehrung untergraben,
mit der Regierung offenkundig
feindselig gesinnten Individuen
(Tschernischewsky. Michailofs) freundschaftliche Beziehungen unter-
halten. in der Presse umstürzlerische Ideen verbreitet und sich anderer
weniger schweren Vergehen schuldig gemacht hatte."
Revolutionärer als Lawroff in das Gefängniß gegangen, kam er
ans ihm zurück. Er wurde nun ohne weiteres Urtheil auf admini-
strativem Wege nach einem kulturfremden Dörfchen im Gouvernement
Wologda verbannt, einer der ödesten Gegenden des europäischen Ruß-
lands. Zwei Gendarmen waren seine ganze Gesellschaft. Unter dem
Pseudonym „Myrtoff" schrieb er von hier aus dasjenige seiner Werke,
das den tiefsten und nachhaltigsten Einfluß auf die russische revolu-
tionäre Bewegung ausgcübt hat. seine „Historischen Briefe".
Ihnen liegt der Gedanke zu Grunde, daß es Pflicht des gebildeten
Menschen ist. mit aller Kraft zu wirken für den Kultnrfortschritt, zu
wirken für die Befreiung des in Elend und Unwissenheit schmachtenden
Volkes. Die „Historischen Briefe" ergriffen die studirende Jugend
gewaltig, denn ihre idealen Bestrebungen, dem Volke Freiheit und
Aufklärung zu bringen, waren darin von Lawroff wissenschaftlich und
geschichtlich begründet worden.
Um der unfreiwilligen politischen Unthätigkeit zu entgehen, welche
ihn schwerer drückte als alle Entbehrungen und Mühsale. flüchtete
Lawroff nach dreijähriger Verbannung mit Hilfe einiger entschlossenen
und begeisterten jungen Revolutionäre ins Ausland. Im März 1870
Peter Lawroff.