1531
Hochverrat klingt? Sagt schnell und gebt mir triftige Antwort,
warum wir die Steuern nicht haben, oder Euer Kopf. der. wie
mir scheint, ganz unnütz zwischen Euren Schultern sitzt, soll so tief
zu liegen kommen, wie Eure Fußsohlen, die. wie mir scheint, einer
Anregung dringend bedürfen."
„Sie haben Steuern", rief erbleichend der Großwürdenträger,
„welche viele Millionen bringen und jedesmal nur erhöht zu werden
brauchen, wenn man für neue Millionen Verwendung gefunden hat.
z. B. die Bier- und Schnapssteuer. Aber Schnaps und Bier ist gegen
unsere Religion."
„Schade!" murmelte der Sohn der Sonne, „was nur der Prophet
gedacht haben muß."
„J>n Uebrigen". fuhr der Großvezier fort, „geht unsere Industrie
immer mehr zurück, diese Hunde von Ungläubigen fabriziren unge-
scheut persische Teppiche und Shawls und andere Sachen zu viel
niedrigeren Preisen, und man
kauft sie für acht. Was können
wir thun?"
„Was wir thun können, ist
Eures Amtes zu wissen, und ich
erwarte, daß Ihr es bald wissen
werdet, sonst — beim Barte des
Propheten und bei dem meini-
gen — werde i ch wissen, was mit
Euch zu thun ist. Geht!"
Der Großvezier ging — und
kam nicht wieder. Vorsichtig, wie
seine Vorgänger, hatte er sich
jeder Zeit für eine lange Reise
vorbereitet gehalten, und was er
von seinen Besitzthümern und sei-
nem Harem zurückließ, war des
Konfiszirens nicht werth.
Mächtiger waren die Rauch-
wolken. welche der Sohn der
Sonne einige Tage später über
die Rosen von Schiras hinweg-
blies und unheilverkündender die
Wolken auf seiner erhabenen
Stirne, als sich ihm mit dem
allesbesiegenden Lächeln auf den
schwellenden Lippen die derzeitige
Herrscherin des Harems, die ehe-
malige französische Tänzerin Chouhou, von ihrem Gebieter in
Scheherezade umgetaust, nahte und ihm alsbald durch unwider-
stehliche Liebenswürdigkeit und bezaubernde Koketterie die Ursache
seiner Mißstimmung herauslockte.
„Erhabener Sohn der Sonne, Liebenswürdigster aller Sterb-
lichen", rief sie dann, „verbanne die Wolken von Deinem göttlichen
Angesicht, ich will Dir einen Rath geben. Deine Moslim sind dumme
Tölpel, weil sie ihre Nase nicht in die Welt hinausstecken. Ich kenne
einen Derwisch, ich lernte ihn auf der Pariser Weltausstellung kennen,
er befindet sich jetzt hier und hat mich um meine Prolektion ersuchen
lassen. Lass' die Sonne Deiner Gnade auf ihn scheinen und der Born
seiner Erfahrung und Weisheit wird Dir um so reichlicher fließen,
als Du seiner reichlich gedenkst."
Der Derwisch, der Niemand anders war. als ein ehemaliger
Liebhaber der schönen Favorite, wurde befohlen und erschien mit aller
Würde eines Weisen. Mit der Rathlosigkeit des Herrschers bekannt
gemacht, erklärte er:
„Allah ist groß, aber seine jetzigen Propheten sind der seidenen
Schnur nicht werth. mit der man sie standeshalber erdrosseln müßte.
Der Staatsschatz leidet wegen mangelnden Zuflusses an Steuern, welche
in Europa aus der Industrie gezogen werden. Die Produkte Ihres
Reiches aber können nicht konkurriren mit denen des Abendlandes,
weil sie zu theuer sind."
„Wie ist das möglich?" rief der Emir, „im Abendlande hat
man freie Arbeiter, denen man Löhne bezahlen muß. und hier müssen
die Sklaven umsonst arbeiten?"
„Schwindel, erhabener Monarch, alles Schwindel", erklärte der
Derwisch; „die Sklaven müssen hier gekauft werden, der europäische
Jndustriepascha hat seiue Arbeiter umsonst, er kann sie sogar aus-
wählen. denn sie kommen ihm haufenweis zugelaufen, deshalb kann
er auch den Lohn bestimmen, und der ist in der Regel nicht mehr,
als der Arbeiter zur Fristung einer ganz armseligen Existenz gebraucht,
vielfach noch weniger. Ernähren müssen die Herren ihre Sklaven
hier aber auch, und sie müssen sie so halten, daß sie gesund und ar-
beitskräftig bleiben, denn sie bilden
einen großen Theil ihres Kapitals.
Wird der Sklave krank und schwach,
so muß der Herr sehen, daß er
ihn wieder arbeitskräftig macht,
um das Alles kümmert sich der
europäische Jndustriepascha nicht,
denn wenn ihm einer seiner
Lohnarbeiter nicht mehr leistet,
was er von ihm verlangt, nimmt
er einen anderen, es kostet ihin
ja nichts. Kann der Lohnarbeiter
mit seinem Lohne seine Existenz
nicht mehr fristen, so spannt er
Frau und Kinder mit ein. und
wenn sie trotzdem halb ver-
hungern. was thut's dem Fabrik-
pascha? Tritt Arbeitsmangel ein.
so werden die Lohnarbeiter ent-
lassen. wovon sie dann leben,
das kümmert Niemanden; hier
muß der Herr den Sklaven fort-
ernähren. Können Sie da nicht
an den Fingern abzählen. warum
die Industrie Ihres Landes nicht
mit der abendländischen konkur-
riren und also den Staatsschatz
nicht füllen kann?"
„Aber wie ist es denn mit der
Disziplin?"
„Disziplin? Ha. dafür haben sie die Hungerpeitsche, gegen
welche Ihr Bastonnaden-Bambus der reine Honigstengel ist. und nur
in seltenen Fällen müssen Polizei und Militär nachhelfen."
„Ich habe genug gehört", rief der Emir, betäubt von den Er-
klärungen über die Jndustrieblüthe in den Kulturstaaten des Abend-
landes. „Nimm diesen Ring als Lohn für Deine lehrreiche Aufklärung,
er wird Dich für den Rest Deiner Tage sorgenfrei machen."
„Im Abendlande hätte ich dafür eine andere Sorgenfreiheit er-
langt". murmelte der Derwisch, indem er den Ring ehrerbietig küßte
und dann in seine Tasche steckte.
Zwei Monate später reiste er mit der in Ungnade gefallenen
Scheherezade nach Paris.
Das persische Reich aber sieht einer uinfassenden Sozialreform
entgegen. Die Sklaverei soll abgeschafft werden. Man will es mit
der „freien Arbeit" versuchen, die im Abendlande so Großes leistet.
Durch Züchtung von Millionären und hohen Schutzzöllen glaubt
man. dem Staatsschatz eine nie versiegende Quelle von Einnahmen
zu eröffnen. a. o.-w.
„Schwindel, erhabener Monarch, alles Schwindel", erklärte der Derwisch.
Hochverrat klingt? Sagt schnell und gebt mir triftige Antwort,
warum wir die Steuern nicht haben, oder Euer Kopf. der. wie
mir scheint, ganz unnütz zwischen Euren Schultern sitzt, soll so tief
zu liegen kommen, wie Eure Fußsohlen, die. wie mir scheint, einer
Anregung dringend bedürfen."
„Sie haben Steuern", rief erbleichend der Großwürdenträger,
„welche viele Millionen bringen und jedesmal nur erhöht zu werden
brauchen, wenn man für neue Millionen Verwendung gefunden hat.
z. B. die Bier- und Schnapssteuer. Aber Schnaps und Bier ist gegen
unsere Religion."
„Schade!" murmelte der Sohn der Sonne, „was nur der Prophet
gedacht haben muß."
„J>n Uebrigen". fuhr der Großvezier fort, „geht unsere Industrie
immer mehr zurück, diese Hunde von Ungläubigen fabriziren unge-
scheut persische Teppiche und Shawls und andere Sachen zu viel
niedrigeren Preisen, und man
kauft sie für acht. Was können
wir thun?"
„Was wir thun können, ist
Eures Amtes zu wissen, und ich
erwarte, daß Ihr es bald wissen
werdet, sonst — beim Barte des
Propheten und bei dem meini-
gen — werde i ch wissen, was mit
Euch zu thun ist. Geht!"
Der Großvezier ging — und
kam nicht wieder. Vorsichtig, wie
seine Vorgänger, hatte er sich
jeder Zeit für eine lange Reise
vorbereitet gehalten, und was er
von seinen Besitzthümern und sei-
nem Harem zurückließ, war des
Konfiszirens nicht werth.
Mächtiger waren die Rauch-
wolken. welche der Sohn der
Sonne einige Tage später über
die Rosen von Schiras hinweg-
blies und unheilverkündender die
Wolken auf seiner erhabenen
Stirne, als sich ihm mit dem
allesbesiegenden Lächeln auf den
schwellenden Lippen die derzeitige
Herrscherin des Harems, die ehe-
malige französische Tänzerin Chouhou, von ihrem Gebieter in
Scheherezade umgetaust, nahte und ihm alsbald durch unwider-
stehliche Liebenswürdigkeit und bezaubernde Koketterie die Ursache
seiner Mißstimmung herauslockte.
„Erhabener Sohn der Sonne, Liebenswürdigster aller Sterb-
lichen", rief sie dann, „verbanne die Wolken von Deinem göttlichen
Angesicht, ich will Dir einen Rath geben. Deine Moslim sind dumme
Tölpel, weil sie ihre Nase nicht in die Welt hinausstecken. Ich kenne
einen Derwisch, ich lernte ihn auf der Pariser Weltausstellung kennen,
er befindet sich jetzt hier und hat mich um meine Prolektion ersuchen
lassen. Lass' die Sonne Deiner Gnade auf ihn scheinen und der Born
seiner Erfahrung und Weisheit wird Dir um so reichlicher fließen,
als Du seiner reichlich gedenkst."
Der Derwisch, der Niemand anders war. als ein ehemaliger
Liebhaber der schönen Favorite, wurde befohlen und erschien mit aller
Würde eines Weisen. Mit der Rathlosigkeit des Herrschers bekannt
gemacht, erklärte er:
„Allah ist groß, aber seine jetzigen Propheten sind der seidenen
Schnur nicht werth. mit der man sie standeshalber erdrosseln müßte.
Der Staatsschatz leidet wegen mangelnden Zuflusses an Steuern, welche
in Europa aus der Industrie gezogen werden. Die Produkte Ihres
Reiches aber können nicht konkurriren mit denen des Abendlandes,
weil sie zu theuer sind."
„Wie ist das möglich?" rief der Emir, „im Abendlande hat
man freie Arbeiter, denen man Löhne bezahlen muß. und hier müssen
die Sklaven umsonst arbeiten?"
„Schwindel, erhabener Monarch, alles Schwindel", erklärte der
Derwisch; „die Sklaven müssen hier gekauft werden, der europäische
Jndustriepascha hat seiue Arbeiter umsonst, er kann sie sogar aus-
wählen. denn sie kommen ihm haufenweis zugelaufen, deshalb kann
er auch den Lohn bestimmen, und der ist in der Regel nicht mehr,
als der Arbeiter zur Fristung einer ganz armseligen Existenz gebraucht,
vielfach noch weniger. Ernähren müssen die Herren ihre Sklaven
hier aber auch, und sie müssen sie so halten, daß sie gesund und ar-
beitskräftig bleiben, denn sie bilden
einen großen Theil ihres Kapitals.
Wird der Sklave krank und schwach,
so muß der Herr sehen, daß er
ihn wieder arbeitskräftig macht,
um das Alles kümmert sich der
europäische Jndustriepascha nicht,
denn wenn ihm einer seiner
Lohnarbeiter nicht mehr leistet,
was er von ihm verlangt, nimmt
er einen anderen, es kostet ihin
ja nichts. Kann der Lohnarbeiter
mit seinem Lohne seine Existenz
nicht mehr fristen, so spannt er
Frau und Kinder mit ein. und
wenn sie trotzdem halb ver-
hungern. was thut's dem Fabrik-
pascha? Tritt Arbeitsmangel ein.
so werden die Lohnarbeiter ent-
lassen. wovon sie dann leben,
das kümmert Niemanden; hier
muß der Herr den Sklaven fort-
ernähren. Können Sie da nicht
an den Fingern abzählen. warum
die Industrie Ihres Landes nicht
mit der abendländischen konkur-
riren und also den Staatsschatz
nicht füllen kann?"
„Aber wie ist es denn mit der
Disziplin?"
„Disziplin? Ha. dafür haben sie die Hungerpeitsche, gegen
welche Ihr Bastonnaden-Bambus der reine Honigstengel ist. und nur
in seltenen Fällen müssen Polizei und Militär nachhelfen."
„Ich habe genug gehört", rief der Emir, betäubt von den Er-
klärungen über die Jndustrieblüthe in den Kulturstaaten des Abend-
landes. „Nimm diesen Ring als Lohn für Deine lehrreiche Aufklärung,
er wird Dich für den Rest Deiner Tage sorgenfrei machen."
„Im Abendlande hätte ich dafür eine andere Sorgenfreiheit er-
langt". murmelte der Derwisch, indem er den Ring ehrerbietig küßte
und dann in seine Tasche steckte.
Zwei Monate später reiste er mit der in Ungnade gefallenen
Scheherezade nach Paris.
Das persische Reich aber sieht einer uinfassenden Sozialreform
entgegen. Die Sklaverei soll abgeschafft werden. Man will es mit
der „freien Arbeit" versuchen, die im Abendlande so Großes leistet.
Durch Züchtung von Millionären und hohen Schutzzöllen glaubt
man. dem Staatsschatz eine nie versiegende Quelle von Einnahmen
zu eröffnen. a. o.-w.
„Schwindel, erhabener Monarch, alles Schwindel", erklärte der Derwisch.