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->M- Eine fidele Woche. -E^-
^chon sechs Wochen im Gefängniß, und noch immer eine Woche vor
mir. Das mar hart. Durch die Gittcrstäbe schien die lachende Juni-
sonne, draußen dufteten die Rosen und rauschten die Ulmen. Von fernher
drang das dumpfe Geräusch der Pferdebahn, unten vor dem Hause schritt
die Schildwache auf und nieder. Und heiß war es in den: nüchternen,
gclbgetünchten Raum, daß die Stäubchen einen
wahren Kankan tanzten. Da rasselte ein Schlüssel-
bund, den Ton hört der Gefangene, und wenn
er im festesten Schlafe^liegt. Die Thür sprang
auf, und ein behäbiger Spießbürger wurde hinein-
komplimentirt.
Wir wurden sehr rasch mit einander bekannt.
Kaum hatte sich die Thür hinter dem Aufseher
geschlossen, so zog der Dicke aus den Tiefen seiner
Stiefel ein Bund Havanna-Zigarren nach dein
andern, langte aus dem geheimnißvollen Abgrund
seiner Joppe ein wahres Wunder von Schlackwurst,
reichte mir die Hand und sagte: „Wer Sie sind,
weiß ich, das hat mir schon der Inspektor gesagt.
Sie sind ein Sozialdemokrat, der eine Broschüre
gegen unsere Kuhschnappler Polizei geschrieben hat.
Hab' sie auch gelesen; hat mir sehr gut gefallen.
Ordentlich gesteckt haben Sic es diesen Leuten.
Ich heiße Michael Oberniedermaicr und bin der
Güterverwalter des Prinzen August von Piinpel-
felde-Jllenfingen. Ich habe einen Advokaten einen
.Lausbuben' geheißen und dafür hat mir das Ge-
richt eine Woche Gefängniß zudiktirt. Der Advokat
ist aber doch ein .Lausbube!' — So, was haben
Sie zu trinken?"
Verzweifelt wies ich auf den hellen Inhalt
des Wasserkrugs, und in Worten, die von tiefen:
Mitgefühl zeugten, drückte mir der wackere Ober-
niedermaier sein herzlichstes Beileid aus. Ich
dankte ihn:, konnte ihn: aber zum Tröste erzählen,
daß es meinem Freunde, dem langen Frieder, den:
Schrecken aller Zugführer — denn er bestieg nie
einen Zug eher, als bis er im Abfahren begriffen
war — und kam zu allen zu spät, außer zun: Sitzen,
daß dieser kreuzbrave Kerl noch viel schliminer
daran sei, als ich. Der saß unter mir in einer
Zelle, weil er irgendwie, irgendwo, irgendwann
politischen Waldfrevel begangen hatte. Dem war
als Zellengenosse die unselige Spottgeburt eines
polnischen Juden beigegeben, der sich zwar Jtzig
Veilchenbaum nannte, seinem Familiennamen aber
gar keine Ehre machte, und wegen eines fahr-
lässigen Bankerottes, den er mit staunenswerthen:
Ungeschick begangen hatte, einige Monate im
Schatten saß. Sein Verhängniß aber war es,
daß er den ganzen geschlagenen Tag des unsterb-
lichen Dante „Göttliche Komödie" las. Er schwor
auf jeden Buchstaben der „Hölle", und der arme
Frieder erduldete in: wahren Sinne des Wortes
Höllenqualen, wenn Jtzig Veilchenbaum ihn bald
in diesen, bald in jenen Höllenbezirk bannte, oder
aber, was unserem Frieder das Schrecklichste mar,
ihn elend verdursten ließ. Denn Jtzig war ein
kleines Scheusal und konnte sich zwar kratzen,
aber nicht dankbar sein. Und Frieder theilte ihm
doch, der nicht zu sättigen war, reichlich von seiner-
eigenen schinalen Gefängnißkost zu.
Das hatte mir Frieder auf den gemeinsanren
Spaziergängen auf dem Gefängnißhof erzählt, wo
er und ich mit Vorliebe unter dein Armesünder-
glöckchen plauderten, das die Verurtheilten zun:
Fallbeil rief, während das bankerotte Jüdchen un-
ruhig im Hofe auf und ab bibberte und unab-
lässig Dantische Verse murmelte.
Obermedermaier sprach wenig, aber er han-
delte, und sein Zauberstab ließ Freude aus den:
Felsen quellen. Verständnißinnig sprach er unr-
ein Wort mit dein Wärter und drückte ihn: fest
die Hand, verständnißinnig ballte dieser dann
die Faust in der Hosentasche, gewiß ans Ingrimm darüber, daß drei
so prächtige Kerls, wie der Frieder, Oberniedermaier und ich in: Kerker
schnrachteten.
Eine Stunde später schnrachteten wir nicht mehr. Blasenschinken und
Kalbsbraten, Sardinen in Oel und Cognak und schäumende Maßkrüge
hatten die Heinzelmännchen uns aufgetischt, während wir ahnungslos zum
Fenster hinausschauten. Als wir in den Spazierhof kamen, brachten wir
den: Frieder und dem Jtzig die heißersehnte Atzung. Armer Jtzig! Warum
(Fortsetzung auf der nächsten Seite )
Eine Indianergrschichte in drei Bildern.
Der Indianerhäuptling Bangcvornichts hat auf dem Kricgspfade den Stammesfeind
erschlagen und kehrt unter dem Jubel seines Dorfes heim. Die schöne Adlerkralle verliebt
sich in ihn und — —
2.
bald darauf wird Hochzeit gemacht. Bangcvornichts wird mit Adlerkralle getraut.
->M- Eine fidele Woche. -E^-
^chon sechs Wochen im Gefängniß, und noch immer eine Woche vor
mir. Das mar hart. Durch die Gittcrstäbe schien die lachende Juni-
sonne, draußen dufteten die Rosen und rauschten die Ulmen. Von fernher
drang das dumpfe Geräusch der Pferdebahn, unten vor dem Hause schritt
die Schildwache auf und nieder. Und heiß war es in den: nüchternen,
gclbgetünchten Raum, daß die Stäubchen einen
wahren Kankan tanzten. Da rasselte ein Schlüssel-
bund, den Ton hört der Gefangene, und wenn
er im festesten Schlafe^liegt. Die Thür sprang
auf, und ein behäbiger Spießbürger wurde hinein-
komplimentirt.
Wir wurden sehr rasch mit einander bekannt.
Kaum hatte sich die Thür hinter dem Aufseher
geschlossen, so zog der Dicke aus den Tiefen seiner
Stiefel ein Bund Havanna-Zigarren nach dein
andern, langte aus dem geheimnißvollen Abgrund
seiner Joppe ein wahres Wunder von Schlackwurst,
reichte mir die Hand und sagte: „Wer Sie sind,
weiß ich, das hat mir schon der Inspektor gesagt.
Sie sind ein Sozialdemokrat, der eine Broschüre
gegen unsere Kuhschnappler Polizei geschrieben hat.
Hab' sie auch gelesen; hat mir sehr gut gefallen.
Ordentlich gesteckt haben Sic es diesen Leuten.
Ich heiße Michael Oberniedermaicr und bin der
Güterverwalter des Prinzen August von Piinpel-
felde-Jllenfingen. Ich habe einen Advokaten einen
.Lausbuben' geheißen und dafür hat mir das Ge-
richt eine Woche Gefängniß zudiktirt. Der Advokat
ist aber doch ein .Lausbube!' — So, was haben
Sie zu trinken?"
Verzweifelt wies ich auf den hellen Inhalt
des Wasserkrugs, und in Worten, die von tiefen:
Mitgefühl zeugten, drückte mir der wackere Ober-
niedermaier sein herzlichstes Beileid aus. Ich
dankte ihn:, konnte ihn: aber zum Tröste erzählen,
daß es meinem Freunde, dem langen Frieder, den:
Schrecken aller Zugführer — denn er bestieg nie
einen Zug eher, als bis er im Abfahren begriffen
war — und kam zu allen zu spät, außer zun: Sitzen,
daß dieser kreuzbrave Kerl noch viel schliminer
daran sei, als ich. Der saß unter mir in einer
Zelle, weil er irgendwie, irgendwo, irgendwann
politischen Waldfrevel begangen hatte. Dem war
als Zellengenosse die unselige Spottgeburt eines
polnischen Juden beigegeben, der sich zwar Jtzig
Veilchenbaum nannte, seinem Familiennamen aber
gar keine Ehre machte, und wegen eines fahr-
lässigen Bankerottes, den er mit staunenswerthen:
Ungeschick begangen hatte, einige Monate im
Schatten saß. Sein Verhängniß aber war es,
daß er den ganzen geschlagenen Tag des unsterb-
lichen Dante „Göttliche Komödie" las. Er schwor
auf jeden Buchstaben der „Hölle", und der arme
Frieder erduldete in: wahren Sinne des Wortes
Höllenqualen, wenn Jtzig Veilchenbaum ihn bald
in diesen, bald in jenen Höllenbezirk bannte, oder
aber, was unserem Frieder das Schrecklichste mar,
ihn elend verdursten ließ. Denn Jtzig war ein
kleines Scheusal und konnte sich zwar kratzen,
aber nicht dankbar sein. Und Frieder theilte ihm
doch, der nicht zu sättigen war, reichlich von seiner-
eigenen schinalen Gefängnißkost zu.
Das hatte mir Frieder auf den gemeinsanren
Spaziergängen auf dem Gefängnißhof erzählt, wo
er und ich mit Vorliebe unter dein Armesünder-
glöckchen plauderten, das die Verurtheilten zun:
Fallbeil rief, während das bankerotte Jüdchen un-
ruhig im Hofe auf und ab bibberte und unab-
lässig Dantische Verse murmelte.
Obermedermaier sprach wenig, aber er han-
delte, und sein Zauberstab ließ Freude aus den:
Felsen quellen. Verständnißinnig sprach er unr-
ein Wort mit dein Wärter und drückte ihn: fest
die Hand, verständnißinnig ballte dieser dann
die Faust in der Hosentasche, gewiß ans Ingrimm darüber, daß drei
so prächtige Kerls, wie der Frieder, Oberniedermaier und ich in: Kerker
schnrachteten.
Eine Stunde später schnrachteten wir nicht mehr. Blasenschinken und
Kalbsbraten, Sardinen in Oel und Cognak und schäumende Maßkrüge
hatten die Heinzelmännchen uns aufgetischt, während wir ahnungslos zum
Fenster hinausschauten. Als wir in den Spazierhof kamen, brachten wir
den: Frieder und dem Jtzig die heißersehnte Atzung. Armer Jtzig! Warum
(Fortsetzung auf der nächsten Seite )
Eine Indianergrschichte in drei Bildern.
Der Indianerhäuptling Bangcvornichts hat auf dem Kricgspfade den Stammesfeind
erschlagen und kehrt unter dem Jubel seines Dorfes heim. Die schöne Adlerkralle verliebt
sich in ihn und — —
2.
bald darauf wird Hochzeit gemacht. Bangcvornichts wird mit Adlerkralle getraut.