Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
1570

Dachskopf schaute das Männchen durchbohrend an. In der That,
es sah unverdächtig aus, auch seine zaghafte Stimme war nicht die
jenes grellen, lauten Rufes.

„Aber gehört haben Sie es doch?" fragte er.

„Wenn Herr Geheimrath gnädigst erlauben, so habe ich das
Schreckliche allerdings gehört", bestätigte der Subalterne.

„Und ivo kam der Ruf her?"

„Ach Gott, mir schien es, wenn der gnädige Herr gestatten, als
käme die Stimme direkt aus der Luft."

„Unsinn", sagte Dachskopf, „es fliegen keine Sozialdemokraten in
der Luft herum, so weit sind wir Gott sei Dank noch nicht."

Er entließ das ängstliche Männchen und stellte eine strenge Unter-
suchung im Hause an.

Es wurde ermittelt, daß die gnädige Frau mit Kutscher und
Diener schon vor einer Stunde aus-
gefahren war. Nur das gnädige
Fräulein und zwei Dienstmädchen
seien im Hause anwesend, wurde
konstatirt.

Der Geheimrath gab sich noch
nicht zufrieden. „Wo sind die
Gärtnersleute, wo ist namentlich
Kurt, der junge Gärtner?" fragte
er die Dienstboten.

Auf den jungen Gärtner, den
Sohn seines alten Garten- und
Hausverwalters, schien Dachskopf
speziell Verdacht zu haben und es
hatte in der That mit diesem jungen
Manne eine eigene Bewandtniß.

Derselbe war erst vor Kurzem aus
Paris zurückgekehrt, zeichnete sich
durch freies, keckes Wesen aus —
man erzählte sich, er habe sogar
einmal bei der Arbeit die Mar-
seillaise gepfiffen —, aber er besaß
in seinem Fache ganz hervorragende
Kenntnisse. So hatte er den gärt-
nerischen Schmuck der Villa, ins-
besondere den prächtigen Garten-
salon im Erdgeschoß mit künstle-
rischem Geschmack eingerichtet und
dem Geheimrath war von seinen
Besuchern wegen dieser Arrange-
ments schon manches Kompliment
gemacht worden. Deshalb behielt
er Kurt in Diensten, obgleich der-
selbe sich nicht nach Lakaienart ,,Wo hast Du dieses

duckte.

Der Verdacht, den Dachskopf gegenwärtig auf Kurt hatte, erwies
sich übrigens sofort als unbegründet. Der junge Gärtner befand sich
mit seinem Vater in der Stadt, um Besorgungen zu machen. Auch
ein Fremder war in der letzten halben Stunde nicht in der Nähe der
Villa gesehen worden. Wer den „schrecklichen Ruf" ausgestoßen haben
könnte, blieb ein Räthsel.

Herr von Dachskopf suchte seine Tochter auf. Sie weilte im
Gartensaale; ihre graziöse Gestalt wiegte sich in einem Schaukelstuhle
zwischen exotischen Pflanzen, Zwergpalmen und immergrünem Laub,
Ueber ihr in einem großen goldenen Ringe schaukelte ein blutrother
Papagei, dem sie neckend ein Stück Zucker vorhielt.

Der Geheimrath nahm Platz und machte seiner Tochter Mit
theilung von dem Vorgefallenen, indem er fragte, ob sie den staats
gefährlichen Ruf vernommen habe.

Das schöne Mädchen schüttelte lächelnd den Kopf und befriedigte
zunächst ihren Papagei, indem sie ihm das Stück Zucker überließ.

„Habe weiter gar nichts gehört", sagte sie dann, „als was mein
Koko mir vorgesungen hat; er ist wunderbar gelehrig, was er hört
spricht er nach. — Koko!" rief sie dann lockend, singe: „Komm'herab,
o Madonna Therese!"

Sofort ließ der Papagei seine grelle Stimme ertönen und sang
die gewünschte Arie so schauerlich schön, daß der Gehekmrath sich die
Ohren zuhielt.

„Wo hast Du dieses Thier her, liebe Elise?" sagte er mit einer
Nuance von Mißbilligung im Ton.

„O, den hat mir Kurt, der junge Gärtner, besorgt; das ist
ein sehr intelligenter junger Mann, der weiß immer das Richtige
zu finden."

Den Geheimrath schien dieses Lob zu verstimmen. „Er ist ein
vorlauter Bursche, der in unser aristokratisches Haus nicht paßt, und
den ich wahrscheinlich bald entfernen werde," sagte er und fuhr nach
einer Pause fort: „Du weißt, welche vornehmen Besuche wir nächstens
erwarten; der Minister selbst erweist mir die Ehre und sein Sohn,
Graf Robert, interessirt sich für Dich _«

Fräulein Elrse gähnte und be
gann wieder das graziöse Spiel
mit ihrem Papagei.

„Eine Verbindung mit dem
Hause des Ministers wäre eine
hohe Ehre für uns —" fuhr der
Vater fort.

„Wenn Graf Robert, der Lieute-
nant, nur nicht ein so unaussteh-
lich fader Geck wäre", wandte Elise
ein, und ermunterte ihren Papagei
zum Singen, worauf Herr von
Dachskopf das Feld räumte.

Wenige Tage später war in
der Villa große Soiree. Zahlreiche
Herren und Damen der „Gesell
schuft", die sich die „bessere" nennt,
waren erschienen. Auch der Mi-
nister, der Vorgesetzte unseres Ge-
heimrathes, und Gras Robert, des
Ministers Sohn, den die blendende
Schönheit und die reiche Mitgift
Elisens anzogen, fehlten nicht. Der
Minister promenirte mit seinem
alten Freund, dem General von
Wurstlitz im Garten.

„Ein sehr patentes Haus", be-
merkte Wurstlitz, „Sie gedenken
nähere Beziehungen hier anzu-
knüpfen?"

Der Minister schüttelte ärger-
lich den Kopf. „Nicht so voreilig!
Es ist nicht alles Gold, was glänzt! Ueber dieses Haus kursiren
ganz merkwürdige Gerüchte."

„Oho", rief Wurstlitz, „der Reichthum Dachskopfs steht außer
Zweifel; was könnte also gegen ihn vorliegen?"

Der Minister dämpfte seine Stimme. „Dachskopf steht im Gerüche
der Sozialdemokratie", sagte er bedeutungsvoll. „Man erzählt sich in
Beamtenkreisen, daß hier ini Hause zuweilen ein Hoch auf die Sozial-
demokratie ausgebracht wird. Einer meiner zuverlässigsten Subalternen
war Ohrenzeuge!"

Wurstlitz blieb stehen und stampfte seinen Schleppsäbel auf den
Boden.

„Unmöglich! ein Freiherr! ein Geheimrath!"

„Was wollen Sie?" bemerkte der Minister skeptisch; „die ver-
traulichsten Erlasse, die geheimsten Akten des Ministeriums tauchen
gelegentlich in den Spalten des sozialdemokratischen „Vorwärts" auf.
Wo ist man da noch sicher vor Sozialdemokraten? Wem kann man
noch trauen?"

Das Hinzutreten des jungen Grafen Robert unterbrach das Ge-
spräch. Alle drei wandten sich dem Gartensaale zu. Als die Uni-
formen des Generals und des Lieutenants an der Glasthür er-

Thier her, liebe Elise?"
 
Annotationen