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1571

schienen, ereignete sich drinnen etwas Merkwürdiges. Laut und deutlich
rief eine Stimme:

„Vorsicht! die Polizei kommt!"

„Was war das?" fragte der General den Minister. Dieser zog
seine Stirn in tiefe Falten und musterte streng die Anwesenden. Aber
was war da zu mustern? Zufällig waren hier fast nur Damen zu-
gegen. welche plauderten und promenirten und auf den Ruf wohl
nicht sonderlich geachtet hatten. Einige Lakaien standen in respekt-
voller Haltung an den Thüren; man sah es ihnen an. daß sie einer
so groben Ungehörigkeit nicht fähig waren.

„Ein sonderbares Haus", murmelte der Minister.

In seinem Ringe schaukelte sich lustig Koko. der blutrothe
Papagei.

Die beiden alten Herren gingen in leisem Gespräch weiter. Graf
Robert blieb, denn soeben betrat Fräulein Elise den Gartensaal.

Der Lieutenant näherte sich ihr und begann ihr regelrecht die
Cour zu schneiden. Als es ihm jedoch nicht gelang, das Interesse
der Dame zu fesseln, versuchte er. den Diplomaten zu spielen. Die
Gerüchte von der
verdächtigen Partei-
stellung des guten,
loyalen Dachskopf
waren ihm bekannt
und Graf Robert
hielt sich für geschickt
genug, um zu sondi-
re». ob diese Ge-
rüchte einen Grund
hätten. Er nahm ei-
nen kühnen Anlauf,
lenkte das Gespräch
auf politische Ge-
biete und ließ dann
die Frage einfließen,
welcher Partei wohl
das gnädige Fräu-
le.m die meiste Sym-
pathie schenke?

„Der ultramon-
tanen". antwortete
sie ganz ernsthaft.

„Wie soll ich das
verstehen?" fragte
der Lieutenant sehr
verblüfft.

„Sie können es ganz wörtlich nehmen," entgegnete die junge
Dame; „ultra montan heißt ungefähr: über den Bergen; und ich
langweile mich hier so. daß ich am liebsten ,über alle Berge' ginge."

„Aber, gnädiges Fräulein." rief der Lieutenant, „wie können Sie
sich langweilen — bin doch ich bei Ihnen!"

Elise war inzwischen zu ihrem Papagei getreten und dieser sang
in grellen Mißtönen:

„Du bist verrückt, mein Kind!"

„Malitiöses Vieh", brummte der Lieutenant für sich mit einem
wüthenden Blick auf den Papagei. „Schade, daß es nicht Satisfaktion
geben kann." Damit zog er sich aus Elisens Nähe zurück.

Die Stunde des Soupers rückte heran und der schwülen Tempe-
ratur wegen beschloß man. dasselbe int Gartensaale einzunehmen.

Die Tafelrunde wurde gruppirl. Elise mußte sich den jungen
Grafen Robert als Tischnachbar gefallen lassen. Besonders geistreich
waren die Tafelgespräche nicht; die älteren Herren unterhielten sich
über die hohen Ansprüche der Arbeiter und die Noth der Landwirth-
schaft. die Damen über Toiletten und die Schwächen und Fehler
abwesender Mitschwestern. Die vorzügliche Qualität der Speisen er-
setzte aber die schlechte Qualität der Konversation.

Endlich, als man beim Champagner angekommen war. erhob
sich Herr Geheimrath von Dachskopf, um einen offiziellen Toast aus-
zubrnigen. Er ivollte den Minister, das Ministerium und das ganze
Regierungssystem leben lassen und erging sich in ausführlichen Lob-

hudeleien über dasselbe, ivobei er es auch an Seitcnhieben gegen die
Umstürzler nicht fehlen ließ. Endlich kam er zum Schluß und hob
sein Glas; alle Anwesenden thaten dasselbe. Der Redner sprach be-
geistert: „Ich bitte Sie. ineine Herren, einzustimmen mit mir in ein
kräftiges Hoch, es lebe —"

„Es lebe die Sozialdemokratie!" erschallte eS plötzlich mitten im
Saale, man wußte nicht, ob die Stimme von oben oder von der
Seite kam.

Dachskopf ließ vor Schreck sein Glas fällen. Tie anderen blickten
sich erstaunt an. der Minister erhob sich und wandte sich der Thür
zu. Ihn: folgte General von Wurstlitz.

Die Verwirrung wurde erhöht durch ein lautes, kreischendes
Gelächter.

Jetzt aber erkannte man den Uebelthäter — Koko, der blutrothe
Papagei, welcher sich lustig in seinem goldenen Ringe schaukelte, hatte
den Ruf ausgestoßen; er war der geheime Hochverräther des aristo-
kratischen Hauses.

Diese Lösung wurde von den meisten Anwesenden mit Heiterkeit

ausgenommen; nicht
so vom Minister.
Derselbe äußerte
zum General von
Wurstlitz: „Ein sol-
cher Vogel spricht
nur nach, was er
oster hört — wir
wissen, woran wir
sind."

Es halsen dem
Herrn von Dachs-
kopf alle Entschuldi-
gungen nichts. Der
Minister empfahl
sich höflich aber kalt,
indem er dringende
Geschäfte vorschütz-
te. Ihm folgte Graf
Robert und der Ge-
neral. Die Gesell-
schaft war gestört,
die Tafel der Ari-
stokraten war mit
Koko's Hoch auf
die Sozialdemokra-
tie aufgehoben.

Während Dachskopf auf den verwünschten Papagei fluchte, gab
ihm Elise ein Stück Zucker und sagte:

„Das hast Du gut gemacht, mein Koko! Jetzt sind' wir die lang-
weilige Gesellschaft los."

* *

-l-

Natürlich hielt Herr von Dachskopf ein großes Strafgericht. Der
rothe Papagei mußte nicht nur aus dem Hause, sondern auch Kurt,
der junge Gärtner, welcher — wie sich herausstellte — dem braven
Koko seine tollen Streiche gelehrt hatte.

Kurt erklärte dem Herrn von Dachskopf, es wäre ihm ohne-
dies nicht eingefallen, noch lange in dieser untergeordneten Stellung
zu bleiben, er kehre nach Paris zurück, wo er die besten Anssichten
habe, eine Anstellung zu finden, welche ihm gestatte, seine Fähigkeiten
lohnend zu verwerthen; man pflege sich dort um die letzteren mehr
zu kümmern, als um die politische Gesinnung.

Nun war das Haus zwar gesäubert, aber es gelang Herrn
von Dachskopf nicht mehr, die Gunst des Ministers zurückzuerlangen.
Er war nun einmal verdächtig und blieb um so sicherer in Ungnade,
als sich auch Gras Robert keine Hoffnung mehr machen konnte. Elisens
sprödes Herz zu erobern.

Elise aber war sehr traurig über die Entfernung ihres lieben
Koko — oder galt die Trauer noch einem Andern?

„Es lebe die Sozialdemokratie!" erschallte es laut im Saal.
 
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