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1602

Politischer Weihnachtsinarkt.

MnaDt! golbes §css der Kleinen.
Wenn bevorssetzt dein LrDeinen,
Wie belebt der Markt siV dann!

Äullte. leiDte Mtterwaare,

Äufgcssaxelt im Harare,

Lockt die kleinen Käufer an.

In Verlin der Niqnel sitzet.
Lockend Ulan sein Keuglein blitzet.
Denn viel Ztcuern Mlt er seil.
Drüben an der Donau Ztrande
ZuM im Reaktionsverbanbe
Jehl der WilidisDgrätz fein Keil.

Larnot gandelt gar mit Knuten
And isir Kölker müsset bluten.

Wenn folD DleSker Kandel bläßt;
Darum prüfet klug die Waare,

Daß LnttäufFung niDt erfaßre
Luer kindliDes Lemütg.

And die Völker, wie die Kinder.
Lassen täuDen siD nDt minder
8on der MürHcnDähe Llan;.
Kalten präDtig große Keere,
Vlank geputzte NordgeweZre
§ür den ZDutz des Vaterlands.

Am das WaßleHt todhusDlagen,
Meint er. sollen siD vertragen
DeutDtgum und Kroatenttzum.
WindifFgrätz - der alte Name
MaDt für RückDritt Don Reklame.
Lr gemaßnt an Robert Älum.

Zosialiss. du treuer Warner.

Der Don oft des 8olks Amgarner
Aus der Wahrheit Tempel trieb -
Keut auD deines Kmtes walte.

Daß die WeihnaDt siD gestalte
Kls ein Fest der UensDenlieb. m.u.

Politische Spaziergänge.

Leipziger: Ei. scheenster Diener, mei gndcstes Herrchen! Sie sahn
ja Heide so vergniegd ans, wie änne nagelncie boüinwoll'ne Weste.

Berliner: Jawvll. ick athme uff! Der Reichstag jing in die Weih-
nachtsfericn un wir Steierzahler sind wenigstens bis Neujahr sicher, bet
mir uns nich erkälten.

Leipziger: Nee aber, Sie dnhn grade, als wenn Miguel ä Nord-
bool und de Rcichsboden Eisbär'n wär'n.

Berliner: Nee, bet nich, aber et is doch unjemiethlich, wenn man
Unsereenen bei die Kälte det Fell über de Ohren zieht. Dabei kann man
’tt schönsten Schnuppen kriegen.

Leipziger: Na ja, da muß mer äbcn ä gcdnld'ges Dierchen sein.
Der Reichsdag duhd ja ooch vor de armen Leide was.

Berliner: O heilige Einfalt, sagte der Sperling, wie er'n Regen-
wnrm fraß. Wenn Se in unsere Reichs-Parajrafen-Fabrik eenen ncien

sozial-politischen Jedanken suchen, denn verdienen Se sich Ihr Lebtag
keen Finderlohn.

Leipziger: Heernsel Wenn Se so weidcr schimfen, da dnhn Sc
sich schließlich noch zu eener bolidschen Anschbielung hinreißen lassen. Mir
Deidschen Hain ja. wie der Marquis von Bosa so scheene sagd: Gedankcn-
freiheed, das heeßd, mer dcrf denken, was mer will, aber sagen derf
mcrsch nich, sonst schdelld sogar der Graf von Gabbrivi Schdrafandräge,
was mer uff ackedemisch den neien Knrsch nennen duhd.

Berliner: Dnhn Se mir den eenzijen Jefallen un bleiben Se mir
mit den neien Kurs von'n Leibe. Ick wünsche Ihnen verjniegte Weih-
nachten un 'n jntes Abzahlnngsjeschäft.

Leipziger: Sie, was meenen Sc denn mit dem Abzahlungsgeschäft?
Das had wohl änne diese Bedeidnng?

Berliner: Det jrade nich — ick wollte man blos uff Miqueln an-
spielen, der immer drauf los kooft, un wir müssen immer abzahlen.

Leipziger: Ach so, da wcrds aber Zeid, daß de Abzahlungsgeschäfte
verboden wer'n.

Unsere Wilder.

Das diesmalige Bild auf der Vorderseite bedarf eigent-
lich keiner Erläuterung. Es spricht für sich selbst. Doppelt
behaglich empfindet jeder Mensch sein Heim am Weihnachts-
Abend, mährend durch Flur und Wald die eisige Windsbraut
stürmt. Bekanntlich regieren die strengen Herren nicht lange
und Jeder weiß, daß in wenigen Monaten der grimme Winter
dem milden Frühling weichen muß, und wie in der Natur, so
ist es auch im Leben der Menschen. Die Kultur hat noch nicht
diejenigen Fortschritte gemacht, die Jedem es ermöglichen, den
Bedrängnissen zu widerstehen, die Leiden zu mildern. Aber
mächtig ist die Menschheit an der Arbeit, sich die Pforten des
Völkerglücks zu erschließen, die von den Riesen Dummheit
und Aberglaube bewacht werden.

Auf dem Bilde ,»Kaufen Sie mir einen Hampel-
mann ab" ist der Gegensatz zwischen reich und arm, wie
wir ihn in der heutigen Gesellschaft überall finden, von dem
Künstler packend dargestellt. Auf der glänzenden Straße, in-
mitten all der Pracht, ruft das arme Mädchen den Knallprotzen
an: „Kaufen Sie mir einen Hampelmann ab." Unwirsch
weist er das „zudringliche Geschöpf" ab. Hat er doch seine
Pflicht als guter Staatsbürger erfüllt und den verschiedenen
Wohlthätigkeits-Vereinen und -Bazaren seinen wohlgemessenen
Beitrag überwiesen; dafür will er jetzt unbelästigt bleiben.
Was aus den vielen Tausenden wird, für die der Tisch am
heutigen Tag nicht gedeckt ist, was kümmert es ihn! Die Welt
ist ja so schlecht, und das Anpreisen von Hampelmännern ist
eigentlich nur eine versteckte Bettelei, gegen die die Polizei
einscht eiten sollte. Und er geht hin, ein Loblied zu singen
dem Heiland, der in einem Stalle geboren ward, der gekommen
ist, zu erlösen die Armen und Elenden. — Leise rieselt der
Schnee nieder, da und dort flammt an einem Fenster der
Christbaum auf, fröhliches Jauchzen der Kinderschaar begrüßt
den lichtfunkelnden Baum und all die Herrlichkeiten, die unter
ihm liegen. — Und weiter Straße auf, Straße ab ertönt der Ruf
des armen Mädchens: „Kaufen Sie mir einen Hampelmann ab!"

„Feierabend" betitelt sich das doppelseitige Bild, welches
unsere zweite Beilage enthält; der Künstler zeigt uns ein Idyll
aus dem Arbeiterleben. Die Fabriksglocke kündet den Feier-
abend an und nun strömen die fleißigen Menschen heraus aus
dem großen Gebäude und streben ihrem Heim zu. Allen

voran ein kräftiger, im besten Mannesalter stehender Arbeiter,
dem eine ungeahnte Freude bereitet wird. .Sein blühendes
Weib erwartet ihn vor der Fabrik und die Kinder stürmen
auf den Vater mit lauten Jubelrufen zu, in welche er fröhlich
einstimmt. Die Kleinste wird auf den Arm genommen und
tüchtig abgeküßt, während die größeren Kinder sich an den
Vater hängen. Die Mutter dagegen sieht in stiller Freude zu,
sie ist überglücklich, und wenn wir sie recht betrachten, so ver-
dient sie ihr Glück im vollsten Maße. Wünschen wir ihr und
allen Genossinnen und Genossen ein fröhliches Weihnachtssest.

Thier und Mensch.

//is senken des Winkers Schatten
Sich nieder auf Dlur und Hain,

In walkende, wogende Aekel
Hüllt fröstelnd die Ärdc sich ein.

Im Thiergarten Anhe nun waltet,

Leis tönt nur des Windes Gebraus —

Die afrikanischen Bestien
Mezogen ihr Winterhaus.

Die Löwen, die Vanther und Tiger,

Das sind gar empsindsaine Leut',

Sind trotz ihrer herrlichen Delze
Nicht über den Winter erfreut.

Drum wurden im stattlichen Haufe
Einstweilen sie internirt,

23ei Tag und bei Wacht sorgt die Heizung,
Daß keine der lKestien friert.

Vorüber am Haus schritt ein Armer —
Auch er grollt dein Schnee und dem Äis,
Ihm wehrt, seine Hütte zu Heizen,

Der hohe Kohlenpreis.

Tr höret der Westien 23rüllcn,

And neidisch ruft er aus:

Ach, hätten die armen Leute
Doch solch' ein Winterhaus!

Was sollen wir uns Denken?

Diese Frage ist in der gegenwärtigen Weih-
nachtszeit von größeren! aktuellen Interesse, als
beispielsweise die orientalische Frage, die Juden-
frage oder selbst die Doppclwährungsfrage.

Ain liebsten schenkten ivir uns den Miguel mit
all' seinen Steuergesetzen, ließen ihn mit Staats-
schnldscheincn ausstopfen und als Posannen-Engel
auf dem Wipfel des deutschen Wcihnachtsbaumes
befestigen.

Aber der Miguel ist zu kostbar, den können wir
nicht befummelt. Einmal haben wir ihn freilich
schon gehabt, als er die deutschen Arbeiter zur
Rebellion organisiren wollte, aber wir haben ihn
damals nicht zu schätzen gewußt und haben ihn
zu den Gegnern überlaufen lassen. Hätten ivir
ihn behalten, so würde er jetzt wahrscheinlich den
Sozialdemokraten die Millionen zuführen, welche
er für das Militär zusammcnscharrt.

Also mit Miguel ist es nichts und auch Eaprivi
oder Eulenburg wollen wir nicht haben, denn die
bleiben besser wo sie sind. Eaprivi vertritt be-
kanntlich den neuen und Eulenburg den alten
Kurs der preußischen Reaktion; der Eine zieht hin
und der Andere her; so heben sie sich gegenseitig auf
und können die Aktien der Reaktion nicht in die
 
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