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daß der frühere Werkführer Dunkler die Lohnlisten gefälscht und sich
einen ansehnlichen Betrag vom Verdienst der Arbeiter bei Seite
gebracht hatte.
Hieronymus Hocker prüfte; es lag wirklich eine Reihe plumper
Betrügereien vor.
„Ah so! Deshalb wehrte sich der Mann so heftig gegen seine
Entlassung — nun weiß ich, ivoran ich bin", sagte der Buchhalter.
Es war sonst nicht seine Art, gegen Arbeiter rücksichtslos aufzutreten;
er wußte recht wohl, daß er trotz seiner einflußreicheren Stellung doch
auch nur ein Bediensteter des Kapitalismus war und als solcher den
Lohnarbeitern näher stand als den Unternehmern. Aber der hier
entdeckte, an Arbeitern verübte Betrug empörte sein strenges Rechtlich-
keitsgefühl; er wies nunmehr jede weitere Reklamation gegen die
Maßregelung Dunkler's und seiner Genossen schroff ab und zeigte das
Vergehen des Ersteren sogar der Behörde an.
Unter den entlassenen Mißliebigen gab es an diesen: Tage große
Mißstimmung. „Das haben wir nun davon", wurde geäußert, „daß
wir immer zu den Vorgesetzten und nicht zu unseren Mit-
arbeitern hielten! Jetzt sind gerade wir die ersten, die gemäß
regelt werden."
Nach Feierabend wollten sie mit Dunkler eine Verab
redung darüber halten, wie sich der Umschwung in der
Fabrik rückgängig machen und
die Anordnungen des alten Buch-
halters durchkreuzen ließen. Aber
Dunkler kam nicht und sie erfuhren,
daß dieser fromme Mann, dessen
Einflüsterungen sie bisher immer
Gehör gegeben, verhaftet worden
sei, weil er sie Alle schändlich um
einen Theil ihres Lohnes betrogen
hatte. Da gingen ihnen die Augen
ordentlich auf!
Inzwischen kümmerte sich die
brave Marianne um die Vorgänge
in der Fabrik nicht im Geringste»
und hatte nur das Eine im Auge:
die bewußten Weihnachtsbescheer-
ungen für die Arbeiter recht glän
zend zu gestalten.
Das war ihr speziell bei der
Familie Reinhard ganz ausnehmend
gut gelungen.
Der Weihnachtsabend war da; der große goldfliminernde Tannen-
baum strahlte in Kerzenpracht und das Glöcklein ertönte, welches die
Kinder zur Bescheerung herbeirief.
War das eine Freude! Der kleine Kurt fand ein prächtiges
Schaukelpferd, Frida eine Puppe, die beinahe größer war, als sie
selbst, das ältere Mädchen fand hübsche Bücher, Kleidungsstücke, und
noch allerlei war vorhanden von dem liebenswürdigen bunten Tand,
der sich auf dem Weihnachtstische so gut ausnimmt. Auch die Eltern
erhielten nützliche Geschenke und konnten der guten Marianne nicht
genug danken.
Dem biederen Reinhard wollte nur Eines nicht in den Kopf; seit
wann waren die Herren so freigebig ohne Hintergedanken? Und wie
lange würde die Herrlichkeit dauern? Reinhard hatte sich freilich
auf seinem neuen Posten sofort die volle Zufriedenheit des stell-
vertretenden Leiters erworben; auch die Arbeiter begegneten ihm mit
Achtung und Zuneigung; hatte er es doch durchgesetzt, daß die von
Dunkler unterschlagenen Beträge den Arbeitern aus der Fabrikkasse
herausgezahlt wurden als ein hochwillkommenes Weihnachtsgeld.
„Aber wenn Schurig wiederkommt und die Zügel aufs Neue ergreift,
wird er dies Alles akzeptiren?" fragte Reinhard seine Schwägerin
Marianne.
„Unbesorgt, und Kopf hoch!" tröstete sie. „Wenn er kommt,
iverde ich bei ihm ein Wort für Euch einlegen."
Weihnachten war vorüber und auch die Neujahrsglocken waren
verklungen, als Herr Schurig sein Bureau wieder betrat. Er befand
sich in bester Laune, die Eindrücke seiner Reise hatten ihn geistig
erfrischt und gegen die kleinlichen Alltagssorgen des Geschäftsbetriebes
unempfindlicher gemacht, als er es sonst wohl war.
Eine Zigarre rauchend, hörte er mit jovialer Miene den Bericht
seines alten Buchhalters an. "Aber nun machte er doch große Augen,
als er von den Kündigungen, der Bescheerung und der Neubesetzung
der Werkführerstelle hörte.
„Hocker, Hocker, was haben Sie gemacht!" rief er. „Die Gutgesinnten
werfen Sie hinaus und die Sozialdemokraten begünstigen Sie!"
Durch diesen Vorwurf fühlte sich der alte Buchhalter gekränkt
und vertheidigte sich energisch. Er kenne im Geschäft nicht „Gut-
gesinnte" und „Mißliebige", sondern
nur tüchtige und untüchtige Arbeiter.
Und er wies die Tüchtigkeit Rein-
hard's und die verwerfliche Hand-
lungsweise Dunkler's gründlich nach.
Endlich betonte er, daß er ja ans
ausdrücklichen Befehl des Chefs
gehandelt habe und legte die be-
wußten zwei Listen vor.
Schurig prüfte sie und rief
erstaunt: „Die sind ja verwechselt!
Wer in aller Welt hat denn hier
Vorsehung gespielt?"
Da trat Marianne vor, welche
die Unterredung mitangehörl hatte.
„Ich war so frei!" sagte sie
ruhig. „Sie selbst, Herr Schurig,
haben sich auf meine Personal-
kenntniß berufen; nun, ich fand
die Namen braver Leute am un-
richtigen Platze und da habe ich
ordnend eingegriffen."
Das Erstaunen des Chefs wuchs.
„Ist es möglich — Marianne
ist im Komplott? Und ich soll das
Geschehene einfach gelten lassen?"
„Na, Herr Schurig", erwiderte
Marianne, „ich will Ihnen ein
Kompromiß vorschlagen. Daß Reinhard Werkführer bleibt, ist wohl
selbstverständlich; Sie haben und finden keinen besseren; die Weih-
nachtsbescheerungen können Sie auch nicht ungeschehen machen; aber —
die Entlassungen können Sie wieder zurücknehmen. Die Betroffenen
sind, seit sie nicht mehr unter Dunkler's Einfluß stehen, zur Ein
sicht gekommen, daß es besser ist, wenn der Arbeiter zum Arbeiter
hält. Heute läuft ihre Kündigungsfrist ab, es ist somit noch Zeit, die
Sache zu regeln."
Der Fabrikant blies nachdenklich die Rauchwolken seiner Havanna
von sich. Das resolute Eingreifen Mariannens gefiel ihm, wenn er
auch nicht allen ihren Gründen beistimmte. Endlich sagte er: „Sei
es denn! Wenn Frauen vom Schlage unserer klugen und praktischen
Marianne für die Sozialdemokraten eintreten, muß ich mich wohl
fügen; gegen Leute, die in allen Lebenslagen so treulich Zusammen-
halten, will ich nicht ankämpfen. Das Fabrikantenkartell und der
Missionsverein haben nur Verwirrung in meinem Hause angerichtet,
sie sollen mir künftig vom Halse bleiben, ich will mit meinen Arbeitern
in Frieden leben."
Dabei blieb es, und Herr Wilhelm Schurig hatte es nicht zu
bereuen, daß er dem Rath der klugen Marianne den Vorzug gegeben
hatte vor den Einflüsterungen der Ausbeuter und der Mucker.
daß der frühere Werkführer Dunkler die Lohnlisten gefälscht und sich
einen ansehnlichen Betrag vom Verdienst der Arbeiter bei Seite
gebracht hatte.
Hieronymus Hocker prüfte; es lag wirklich eine Reihe plumper
Betrügereien vor.
„Ah so! Deshalb wehrte sich der Mann so heftig gegen seine
Entlassung — nun weiß ich, ivoran ich bin", sagte der Buchhalter.
Es war sonst nicht seine Art, gegen Arbeiter rücksichtslos aufzutreten;
er wußte recht wohl, daß er trotz seiner einflußreicheren Stellung doch
auch nur ein Bediensteter des Kapitalismus war und als solcher den
Lohnarbeitern näher stand als den Unternehmern. Aber der hier
entdeckte, an Arbeitern verübte Betrug empörte sein strenges Rechtlich-
keitsgefühl; er wies nunmehr jede weitere Reklamation gegen die
Maßregelung Dunkler's und seiner Genossen schroff ab und zeigte das
Vergehen des Ersteren sogar der Behörde an.
Unter den entlassenen Mißliebigen gab es an diesen: Tage große
Mißstimmung. „Das haben wir nun davon", wurde geäußert, „daß
wir immer zu den Vorgesetzten und nicht zu unseren Mit-
arbeitern hielten! Jetzt sind gerade wir die ersten, die gemäß
regelt werden."
Nach Feierabend wollten sie mit Dunkler eine Verab
redung darüber halten, wie sich der Umschwung in der
Fabrik rückgängig machen und
die Anordnungen des alten Buch-
halters durchkreuzen ließen. Aber
Dunkler kam nicht und sie erfuhren,
daß dieser fromme Mann, dessen
Einflüsterungen sie bisher immer
Gehör gegeben, verhaftet worden
sei, weil er sie Alle schändlich um
einen Theil ihres Lohnes betrogen
hatte. Da gingen ihnen die Augen
ordentlich auf!
Inzwischen kümmerte sich die
brave Marianne um die Vorgänge
in der Fabrik nicht im Geringste»
und hatte nur das Eine im Auge:
die bewußten Weihnachtsbescheer-
ungen für die Arbeiter recht glän
zend zu gestalten.
Das war ihr speziell bei der
Familie Reinhard ganz ausnehmend
gut gelungen.
Der Weihnachtsabend war da; der große goldfliminernde Tannen-
baum strahlte in Kerzenpracht und das Glöcklein ertönte, welches die
Kinder zur Bescheerung herbeirief.
War das eine Freude! Der kleine Kurt fand ein prächtiges
Schaukelpferd, Frida eine Puppe, die beinahe größer war, als sie
selbst, das ältere Mädchen fand hübsche Bücher, Kleidungsstücke, und
noch allerlei war vorhanden von dem liebenswürdigen bunten Tand,
der sich auf dem Weihnachtstische so gut ausnimmt. Auch die Eltern
erhielten nützliche Geschenke und konnten der guten Marianne nicht
genug danken.
Dem biederen Reinhard wollte nur Eines nicht in den Kopf; seit
wann waren die Herren so freigebig ohne Hintergedanken? Und wie
lange würde die Herrlichkeit dauern? Reinhard hatte sich freilich
auf seinem neuen Posten sofort die volle Zufriedenheit des stell-
vertretenden Leiters erworben; auch die Arbeiter begegneten ihm mit
Achtung und Zuneigung; hatte er es doch durchgesetzt, daß die von
Dunkler unterschlagenen Beträge den Arbeitern aus der Fabrikkasse
herausgezahlt wurden als ein hochwillkommenes Weihnachtsgeld.
„Aber wenn Schurig wiederkommt und die Zügel aufs Neue ergreift,
wird er dies Alles akzeptiren?" fragte Reinhard seine Schwägerin
Marianne.
„Unbesorgt, und Kopf hoch!" tröstete sie. „Wenn er kommt,
iverde ich bei ihm ein Wort für Euch einlegen."
Weihnachten war vorüber und auch die Neujahrsglocken waren
verklungen, als Herr Schurig sein Bureau wieder betrat. Er befand
sich in bester Laune, die Eindrücke seiner Reise hatten ihn geistig
erfrischt und gegen die kleinlichen Alltagssorgen des Geschäftsbetriebes
unempfindlicher gemacht, als er es sonst wohl war.
Eine Zigarre rauchend, hörte er mit jovialer Miene den Bericht
seines alten Buchhalters an. "Aber nun machte er doch große Augen,
als er von den Kündigungen, der Bescheerung und der Neubesetzung
der Werkführerstelle hörte.
„Hocker, Hocker, was haben Sie gemacht!" rief er. „Die Gutgesinnten
werfen Sie hinaus und die Sozialdemokraten begünstigen Sie!"
Durch diesen Vorwurf fühlte sich der alte Buchhalter gekränkt
und vertheidigte sich energisch. Er kenne im Geschäft nicht „Gut-
gesinnte" und „Mißliebige", sondern
nur tüchtige und untüchtige Arbeiter.
Und er wies die Tüchtigkeit Rein-
hard's und die verwerfliche Hand-
lungsweise Dunkler's gründlich nach.
Endlich betonte er, daß er ja ans
ausdrücklichen Befehl des Chefs
gehandelt habe und legte die be-
wußten zwei Listen vor.
Schurig prüfte sie und rief
erstaunt: „Die sind ja verwechselt!
Wer in aller Welt hat denn hier
Vorsehung gespielt?"
Da trat Marianne vor, welche
die Unterredung mitangehörl hatte.
„Ich war so frei!" sagte sie
ruhig. „Sie selbst, Herr Schurig,
haben sich auf meine Personal-
kenntniß berufen; nun, ich fand
die Namen braver Leute am un-
richtigen Platze und da habe ich
ordnend eingegriffen."
Das Erstaunen des Chefs wuchs.
„Ist es möglich — Marianne
ist im Komplott? Und ich soll das
Geschehene einfach gelten lassen?"
„Na, Herr Schurig", erwiderte
Marianne, „ich will Ihnen ein
Kompromiß vorschlagen. Daß Reinhard Werkführer bleibt, ist wohl
selbstverständlich; Sie haben und finden keinen besseren; die Weih-
nachtsbescheerungen können Sie auch nicht ungeschehen machen; aber —
die Entlassungen können Sie wieder zurücknehmen. Die Betroffenen
sind, seit sie nicht mehr unter Dunkler's Einfluß stehen, zur Ein
sicht gekommen, daß es besser ist, wenn der Arbeiter zum Arbeiter
hält. Heute läuft ihre Kündigungsfrist ab, es ist somit noch Zeit, die
Sache zu regeln."
Der Fabrikant blies nachdenklich die Rauchwolken seiner Havanna
von sich. Das resolute Eingreifen Mariannens gefiel ihm, wenn er
auch nicht allen ihren Gründen beistimmte. Endlich sagte er: „Sei
es denn! Wenn Frauen vom Schlage unserer klugen und praktischen
Marianne für die Sozialdemokraten eintreten, muß ich mich wohl
fügen; gegen Leute, die in allen Lebenslagen so treulich Zusammen-
halten, will ich nicht ankämpfen. Das Fabrikantenkartell und der
Missionsverein haben nur Verwirrung in meinem Hause angerichtet,
sie sollen mir künftig vom Halse bleiben, ich will mit meinen Arbeitern
in Frieden leben."
Dabei blieb es, und Herr Wilhelm Schurig hatte es nicht zu
bereuen, daß er dem Rath der klugen Marianne den Vorzug gegeben
hatte vor den Einflüsterungen der Ausbeuter und der Mucker.