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1610

Das Brauergewissen. ► >

längst vergangenen Zeilen lebte einmal ein
junger Brauer. Sein Geschäft blühte, denn
der' Durst seiner Zeitgenossen war ein geseg-
neter. Je mehr sie aber tranken, desto
unfähiger wurden ihre Zungen, das Bier
auf seine Reinheit zu prüfen, und immer
stärker wollten sie es haben, immer mund-
voller.

Und der Brauer ging hin und that
nach ihrem Willen und sein Geschäft blühte
noch mehr. Eines Tages wurde er plötz-
lich krank. Auf der Brust lag es ihm wie
ein Felsblock, er bekam keinen Athem, und
während der Nacht wälzte er sich Stunden
hindurch schlaflos auf seinem Lager. Kam
endlich der Schlummer, so träumte er von lauter
Leichen, die er dutzendweise nach einander aus
den Friedhof karren mußte. Da ging er zu den
Doktores und fragte sie um Rath. Sie meinten, er trinke zu viel.
Er aber konnte ihnen zur Antwort geben, daß er von all dem Bier,
das er gebraut, auch noch nicht ein Seidel getrunken. Da schüttelten
sie die weisen Häupter, aber helfen konnten sie ihm nicht. Ein altes
Weiblein rieth ihm hierauf, er solle es einmal mit dem Einsiedler
versuchen, der könne mehr als Brot essen.

Tags darauf machte sich der junge Brauer auf den Weg. Er
fand die Hütte des einsamen Mannes mitten im Walde, der Alte stand
vor der Thür und lauschte auf den Gesang der Vögel. Er theilte ihm
sein Anliegen mit. Und der alte Einsiedler sah ihm lange und scharf
in die Augen und sprach: „Was Dir fehlt, weiß ich: Dich drückt das
Gewissen. Zu helfen ist Dir noch. Aber die Kur geht auf Leben und
Tod. Bist Du einverstanden, so beginne ich . . Der Brauer nickte.

Da griff ihm der Einsiedler zwischen den Hemdkragen und
brachte einen Lappen zum Vorschein, der so schmutzig und besudelt
war, wie der Fußfetzen eines Soldaten nach einem Uebungsmarsch.

„Sieh!" sagte der Einsiedler, „das ist Dein Gewissen. Daß es
so schmutzig ist, daran bist Du allein schuld. Du hast schlecht an
Deinen Mitmenschen gehandelt. Einen Labetrunk hast Du ihnen ver-
sprochen und vorgesetzt hast Du ihnen ein Gebräu ärger denn Gift.
Die Profitgier ist in Dich gefahren und deshalb bist Du so schlecht
geworden. An Hopfen und Malz hast Du gespart und damit man
nicht auf Deine Schliche kommt, hast Du alte Zuckersäcke schütteln
lassen und den Auskehricht in den Sud geworfen. Damit das Gebräu
stärker erscheine, hast Du Taumellolch abgekocht und Dein Geschmier
mit Glycerin verdickt. Und noch vieles Andere hast Du gethan, nur
nichts Gutes. Unter Deinen Mitmenschen hat Deine Profitgier ärger
gewülhet als selbst die Cholera . .. Sieh! Das Alles sagt mir Dein
schmutziges Gewissen . . ."

Der junge Brauer wandte und krümmte sich unter der Straf-
predigt des Einsiedlers. „Was nmß ich thun, um wieder gesund zu
werden?" stammelte er.

„Ein reines Gewissen bekommen. Geh' an den Bach, der hinter
der Hütte fließt, und wasch Deinen Schmntzlappen."

Und der junge Brauer ging an das fließende Wasser und wusch und
bläute und rang bis in die sinkende Nacht, aber sein Gewissen blieb unrein.

Am anderen Morgen sprach der Einsiedler: „Dein Gewissen ist
noch immer schmutzig. Du hast die Profitgier, die mit dem Leben des
Nächsten spielt wie. mit Seifenblasen, noch nicht von Dir gethan.
Geh' in Dich und bessere Dich! !

Und der Brauer wusch und wusch und aus lauter Angst für
sein Leben wurde er ganz zerknirscht und faßte die besten Vorsätze.
Da wurde sein Gewissen rein wie frischgefallener Schnee.

„So!" sagte der Einsiedler, „nun hänge Dein Gewissen dort auf
die Weißdornhecke, damit es trocknet. Du selbst aber komme mit in
meine Wohnung. Ich will Dir etwas vorsetzen. Nach der harten
Arbeit wirst Du Hunger haben. . ."

Als nach einiger Zeit der Einsiedler mit seinem Gast wieder
ins Freie trat, war das Gewissen des Brauers verschwunden. Vor
der Weißdornhecke stand die Ziege des Einsiedlers und kaute und
würgte und ein weißer Zipfel hing ihr noch aus dem Maule. Jam-
mernd sprang der Brauer hinzu — aber es war zu spät. Da hob
der Einsiedler die Hand und sprach: „Geh' hin, Brauer, woher Du
gekommen. Dir ist nicht mehr zu helfen . . ."

Und der junge Brauer kehrte wieder zu seinem Brauhause zurück
und trieb es ärger denn zuvor. Er erreichte ein hohes Alter, denn

er trank nie von seinem Bräu; sein Gewissen plagte ihn auch nicht

mehr, das hatte die Ziege gefressen.

* *

Der Brauer ist schon lange todt, hat aber viele Nachkommen
hinterlassen. Alle sind Brauer geworden. Alle sind wohlhabend und
reich. Mancher hat es zum Millionär gebracht. Sie leben lustig und
guter Dinge in den Tag hinein, denn sie Alle sind ja — gewissenlos.

Das Porträt des Herrn Aoinmerzienraths.

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