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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0010
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• 2100

Luch werden nur die dumpfen Linzellaute;

Mir bangt das Herz, da sich der Erde Elend
In einem einz'gen Nochruf zu mir wendet,
von welken Brüsten nehm' ich hier den Säugling
And dort die steche Mutter von den Rindern,

Die sich in Lumpen um ihr Ltrohbett drängen.

Und höher hob sich die Gestalt des Wandrers,

Und tiefer leuchteten mir feine Augen:

„Sieh hin, wie aus den hohen Spiegelscheiben
Das Strahlenlicht die winternacht durchfluthet
Und übers Eis des Parkteichs flirrt und flimmert.
Sieh, wie die Schatten schnell vorübergleiten
Um lichten Klar, der zart die Zensier hüllt.

Hörst du den Jubel fern herüberklingen.

Den Paukenwirbel und die frohen weisen
Herüber in des Elends schmutz'ge Stätten?
verblendete! Sie schlingen ihre Beigen
Und taumeln von Gelage zu Gelag,

Derweil mein Fuß die Winternacht durchmißt.

Und nur im Bangen der Kewissensstunden
Sehn sie mich drohend all die Massen führen,

Die aus der Aoth zur Höhe sich bereiten.

Und malen mich als knöchern Schreckgespenst
Mit Stundenglas und Lense an die wand
Und rufen zitternd: Seht, das ist der Schrecken,
Der an des Volkes Spitze uns bedroht!"-

Ein stolzes Lächeln, stolz und tief verächtlich.

Glitt über seine ernsten, großen Züge.

„Za, noch bin ich der Freund und der Erlöser
Des Elends und der Uoth, die sie verschuldet.

Sie, die mich zitternd ihren Todfeind nennen!

Doch über uns, gewalt'ger und erhab'ner
Als alle Macht und alle Unterdrückung,

Als alle Lügenfesseln, Wahnesketten
Mit mächt'gem eisenfesten Wahrheitsschritt,
Zerschmetternd und erlösend und versöhnend
Geht die Idee der Freiheit und der Liebe!

Sie wird ihr Reich, ihr einzig Reich errichten
Und über alle dunklen Nächte siegen.

Dann wird das Elend nicht mehr nach mir rufen.
Und nicht auf blut'gen Feldern werd' ich gehen,
wo Brüder gegen Brüder sinnlos wüthen -
Dann wird ein Friedensgenius mir winken:

Nimm hin und senk' sie still in deine Erde
Ein Bruder will im Abendglühn verscheiden.

Und eine Schwester möchte schlafen gehn."

ch ging dahin durchs winterstille
Feld -

Schwer war die Nacht um mich
herabgesunken.

Die bange, unheil-düstre winter-
nacht.

Und weithin dehnten sich die
weißen Fluren,

Nah leuchtend, in der Ferne tief
verdämmernd.

Als ging es dort in öde Friedhofsräume.

Rein Laut, kein Hauch, der sich versöhnend nahte;

Nur Eisesruhe — banges, tiefes Schweigen.

Mir war's, als ständ' ich einsam in der Welt,

Und westwärts wandt' ich trostlos meinen Blick.

Da, wie ein Lichtschein durch das Stürmen irrte,

Hob dicht vor mir sich in dem Schneegestöber
Mit weitem Schritt ein stiller Wanderer.

Und als ein Windstoß seinen Mantel hob
Erkannt' ich ihn.-

Ich weiß, er klomm hinauf
In eisig-kalte, düstre Bodenkammern,

Er stieg in modrig-dumpfe Rellerräume,

In dunkle Höfe und in schmale Winkel,

Die unter Brückenbogen finster lauern.

Er bog am weg der stillen Promenaden
Die schneebeladnen Zweige auseinander
Und wo die Straßen weit ins Land sich zweigen
Beugt er sich über weißverwehte Gräben.

Dort bettet sanft er frosterstarrte Glieder —

Da naht er sich beim fahlen Dochtlichtflackern
Und tritt, ein Tröster, an des Elends Lager.

Hier winkt er mild — und Noch und Hunger schweigen;
Und thränenheiße Augen schließt er leis —

Legt seine linde Hand auf arme Herzen,

Die mit den letzten, bangen Schmerzensschlägen
Ihn heiß ersehnt, erfleht als den Erlöser,

Als den Erretter aus der tiefsten Pein -

Der Pein des Trostes und der Pein des Hungers. -

Ich kannst ihn, und er sah mich lange an.

In seinen tiefen Augen war kein Grauen,

In seinen Zügen war ein schmerzlich Linnen,

Und seine Stimme klang wie unter Chränen:
„Unsel'ge Last! — Zu viel, zu viel des Jammers,
Der nach mir ruft, der nach mir stöhnt und schreit.
Ein Schrei des Elends, der die Lüfte füllt.

Im wintersturm ein grauenvoller Schrei! —
 
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