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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0012
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2102 .

-D>- (Lin Dichter öer (Lnteröten.

(As hat schon viele Dichter gegeben, die in prophetischen Worten
den herrschenden Klassen das Ende ihres Regiments angekündigt haben,
aber keinem von ihnen war ein Schicksal beschiedeu, wie Leopold Jaeoby.
Die Anderen wurden verfolgt, beschimpft, geschmäht und verkleinert;
Jaeoby, der in diesen Tagen Dahingeschiedene, wurde von den herr-
schenden Klassen todtgeschwiegen. Um so tiefer aber ist sein An-
denken in die Herzen der Arbeiter eingegraben.

Leopold Jaeoby wurde in dem hinterpommerschen Städtchen Lauen-
burg geboren als der Sohn des dortigen Kantors und Religionslehrers
an der jüdischen Gemeinde. Er besuchte die Volksschule seiner Vaterstadt
und dann das Gymnasium zu Danzig. Sein Loos tvar kein leichtes,
denn er hatte von Jugend auf mit der Roth zu kämpfen. Aber er besaß
Energie und Muth und sein überall leicht eindringender Verstand half
ihm eine Vielseitigkeit der Bildung erringen, die in unseren Tagen nicht
gewöhnlich ist. Er erlernte die Stolze'schc Stenographie, die ihn, tvie er
sagte, vor dem Untergang betvahrte, liub
blieb zwölf Jahre Parlaments-Stenograph.

Dazwischen studirte er in Marburg Medizin
und proinovirte zum Doktor mit einer natur-
wissenschaftlichen Abhandlung.

Als 1870 der Krieg ausbrach, bot
Jaeoby seine Dienste an. Man berief ihn
als Assistenzarzt der freitvilligen Kranken-
pflege zur Südarmee. Aus dem großen La-
zareth zu Chalons ward er an ein Rekon-
valeszentenlazareth vor Paris berufen. Er
hielt sich nach dein Ende der Belagerung
auch vier Tage lang in Paris auf. Was
er damals sah, die Greuel des Krieges und
deren Rachtvirkungen, brachten eine völlige
Umwälzung in seiner Wcltanschaltung hervor.

Die blutige Niederwerfung des Kommune-
Aufstandes in Paris, besonders aber die wider-
wärtigen Auswüchse der Gründerzeit machten
ihn zum Sozialisten.

Er tvard wieder Kammer-Stenograph,
zugleich gab er aber auch seine bekannte
Gedichtsammlung: „Es werde Licht!"
heraus.

Diese Dichtungen, die Ende 1870 er-
schienen, erwarben dem Dichter rasch eine
Geiiteinde von Verehrern und Anhängern. Er trat als überzeugter
Sozialdeinokrat vor die Oeffentlichkeit. Mit Hutteu's Worten be-
zeichnete er diese Publikation als ein Wagniß, und sie war es in der
That. Noch tvar alles erfüllt von dem übermüthigen Geist, den der
Sieg über die Franzosen mit sich gebracht; noch foimte man sich in dem
gleißnerischen Schein der neuen „Herrlichkeit" itud schon kani Einer,
der den Wurm in derselben fand! In seiner „Klage" rief der Dichter:

„Ich will meine Stimme erheben
Und rühren, daß man weit es höre:

Wer nicht arbeitet, der soll nicht leben!

Seht doch wie wunderlich es ihnen gehet,

Sie pflanzen das Land

Und säen die Saaten aus

Und bringen die Ernten ein

Und dürfen doch die Frucht nicht genießen.

Sie bauen alle Häuser
Und können nirgend wohnen.

Sie machen Alles,

Sie schaffen Alles
Und sic haben Nichts.

Ein Unrecht geschieht hier, wer will cs leugnen?

Ein blutiges Unrecht geschiehet hier,

Wer wird es sühnen?"

Das kleine Bändchen dieser Verse tvard schon 1877 zum zweiten
Mal aufgelegt; 1886 hatte cs die dritte und 1892 die vierte Auflage.

Oblvohl die Berichterstattung in drei Parlamenten — Reichstag,
Herrenhaus, Abgeordnetenhaus — die Arbeitskraft dcö Dichters sehr in
Anspruch tiahin, so konnte der Unermüdliche doch schon 1874 und 1876
die beiden ersten Theilc seines Hauptwerkes: „Die Idee der Ent-
wicklung" erscheinen lassen. In diesem Werke, das seine sozialphilo-
sophischen Auffassungen enthält, hob er die Bedeutung der Arbeiterbewegung
in der Menschheitsgeschichte hervor. Er bcurtheilte die Vervollkomm-
nung des Gesellschaftsbaues von Darwin'scheu Gesichtspunkten ans und
sah in der Arbeiterbewegung die Keime einer höheren Organisativns-
stufe der Menschheit. Die Erhebung der Menschen auf diese Stufe,
sagt er, sei von gleichem Werth, tvie die Erhebung der Menschen aus
dem Thierreich.

1877 gab Jaeoby seine Stellung als Parlamentsstenograph aus
und ging über Zürich nach Triest, wo er wieder Naturwissenschaften
trieb. Seine Vielseitigkeit trat auch hier glänzend hervor, denn der-
selbe Mann, der so viele Jahre die Rede»
der Abgeordneten stenographirt, Verse gemacht
lind in den verschlungenen Gängen der
Philosophie sich umhergetrieben, gab nun ein
Werk über den Fischfang in den Lagunen
von Comacchio heraus und behandelte die
„Aalfrage". Zugleich schrieb er „Die deutsche
Makame", worin er eine von Rückert ge-
pflegte poetische Form der Araber mit tiefem
Verständniß behandelte.

Die über Deutschland hereinbrechende
Reaktion verdarb Jaeoby die Lust zur Heim-
kehr; nachdem er in Triest noch sein Trauer-
spiel „Der Uhrmacher von Danzig" vollendet,
trieb es ihn über das Meer nach Nord-
amerika. Er lebte in Cambridge bei Boston,
>vo er Privatunterricht gab und sich die
Kenntnis' der englischen und italienischen
Sprache erwarb. Dort entstand sein Epos
„Cunita", einen indischen Stoff behandelnd,
reich an tiefen Gedanken :md in das prächtige
Gewand blühender poetischer Sprache gekleidet,
eine Dichtung, die ihnt die Anerkennrmg
hervorragender Geister eintrug.

Auf die Dauer litt es ihn nicht in
Amerika, dem Lande des Erwerbes; er
sehnte sich zurück nach dem alten Europa. Er ließ sich in Mailand
nieder, Ivo ihm Gelehrte, die sein Genius anzog, eine Stätte bereiteten.
Hier wurden auch seine „Deutschen Lieder aus Italien" gedichtet, jene
schwungvollen Gesänge, wo cs heißt:

„Thoren haben es Glück genannt,

Haben die Menschen selig gepriesen,

Die unbewußt der Seelenqualeu
Sich des niederen Daseins freu»,

Mit dem Vieh zugleich zusrieden leben.

Lieber wissend bluten in Qual,

Lieber bewußt in Qual vergehn.

Fürchterlicher als das Elend
Der Menschen ist das Nichtwissen,

Sei's auch vom Elend!"

Sein Körper war den Anstrengungen nicht gewachsen. 1892 erlitt
er auf dem Gang zur Akademie einen Schlagansall. Seine Kraft er-
scheint gebrochen von diesem Zeitpunkt an. Die Crispi'sche Schreckens-
herrschaft mochte auch ihr Theil dazu beitragen, dem Dichter den Aufenthalt
in Italien zu verleide», und er ging nach Zürich. Dort ist er am
20. Dezember 1895 im Krankenasyl von Neumünster gestorben.

Wer je den großen Gedanken der Freiheit, Gleichheit und Brüder-
lichkeit erfaßt hat, der wird sich gern an der Gluth erwärmen, die aus
den Dichtungen dieses von reiner Begeisterung erfüllten Denkers strahlt.
Die Sozialisten der Erde werden sein Andenken in Ehren halten.

Leopold Jaeoby

geboren 1840, gestorben 1895.


Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
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