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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0016
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2104

-go Gbbe unö Fluth.

Lin sehr wenig bekanntes Gedicht von Gottfried Ainkel, welches er während seiner Gefangenschaft in ßreiburg i. B. verfaßt hat.

Sprich, bist dn gewandert anr Meeresstrand, wo so nrächtig
schwoll die wogende Lluth

Bis endlich der ganze Dünenrand still lag vonr schimmernden
Spiegel umruht?

Nun kam die Ebbe: es wich der Schwall! — Da lag der
Strand so trocken und bloß,

Da lagen verschmachtend die Wesen all', die das Meer gebiert
im tiefen Schoost.

Lin Thor wohl spräche zur Stund': „Der Strand ist trocken
und gehört nun mir,

Ich will ihn bebauen den Dünenrand, ich will ihn beackern
mit Pflug und mit Stier."

G, Thor, der vom wind und der Welle nicht weist, laß ab
vom kindisch thörichten Traum,

Schau drunten aufs Meer, wie kocht es so weiß, wie säumt
die wogen schon wieder der Schaum!

Halloh, die Lluth! Schon kehrt sie im Schuß, und rächend
schießt sie im Bogen daher,

Sein altes Recht mit stürmendem Gruß erobert sich wieder
das grollende Meer!

Und was verzweifeln im Sande gemußt und meinte zu
sterben in Sonnengluth

Saugt neues Leben und neue Lust und fühlt sich erlöst von
der heiligen Lluth.

Du Thor, der das Meer schon bezwungen geglaubt, und der
es gehindert und niedergedämmt,

Schon bist im Spiele du hingeraubt und wälzend hinab mit
Verderben geschwemmt! —

So stehst du, Lreund, an dem Meeresstrand, wenn wieder
schwoll die wogende Lluth,

Bis endlich der ganze Dünenrand still lag vom schimmernden
Spiegel umruht! —

Das sei, mein Lreund, ein Bild dir der Zeit, daß nie du an
unsrem Siege verzagst,

Und daß du immer im Geisterstreit die Würfel der Lreiheit
zu werfen wagst!

Die Märzfluth kennst du, den Völkerdrang! — Rein wall
noch Damm bot gegen sie Schutz,

Jetzt ist die Ebbe im vollen Gang, nur Thoren bieten den
Lluthen Trutz,

Sie bauen ihr Haus auf den Dünen empor, und stell'« auf
Sand den güldenen Thron,

Sie lachen im Glauben an ihre Macht, den still abrinnenden
Lluthen Hohn.

wir sind die Rorallen auf dürrem Sand, wir find des Meeres
verzweifelte Brut,

wir schmachten gefangen im fremden Land, wir harren der
theuren belebenden Lluth.

Doch bleiben wir stark und vertrau'« dem Gebot, das die
Völker lenkt und des Menschen Geist:

Je dürrer die Welt, je größer die Noth, je näher heran die
Rettung kreißt.

Schon seh' ich den Volkssturm wieder erwacht, schon stürzt
in Trümmer, was Thoren gebaut —

Du glaub' an des Geistes heil'ge Macht, im Gleichniß -es
Meeres, das du geschaut!

Glaub' mir, wir stehen schon wieder am Strand, und wieder
schwillt die wogende Lluth,

Bis endlich der ganze Dünenrand still liegt vom schimmern-
den Spiegel umruht!

Den Mameluken.

war' ich verdammt, als Auli zu vertreten
Der heil'gen Vrdnung plärrende Partei,

Zür die alltäglich tausend Pfaffen beten,

Die Alles Haffen, was da kühn und frei;

Mär' ich verdammt, von früh bis spät zu kneten
Den alten, faulen, widerlichen Brei —

Es würde mir ein Lkel unermeffen
In kurzer Zeit das Herz im Leib zerfressen.

Mär' ich verdammt, mit abgedroschnen Lügen
Das Recht zu schmähn, die Wahrheit und das
Licht,

Mär' ich verdammt zu all den Winkelzügen,
Nit denen man in jenem Lager ficht,

Mär' ich verdammt, als Niffethat zu rügen.
Wofür in mir die inn're Stimme spricht —
■Es würde täglich mich die 8ier durchzucken.
Im Spiegel mir ins Angesicht zu spucken.

Müßt' ich für sie, die herrisch uns regieren.
Das Hirn verbrauchen in verhaßter Zrohn,
Und Ries auf Ries voll Ueberdruß verschmieren
Im Herrendienst für einen goldnen Lohn,
Müßt' ich die Achtung vor mir selbst verlieren.
Die Stirne senken vor dem eignen Sohn
Und jeder Scham das Herz entkleiden, jeder —
Dann mag der Schinder holen meine Zeder.

Müßt' ich als Waffenbruder mich gesellen
Der Mameluken abgebrühter Schaar,

Die Jedem schlank sich zur Verfügung stellen,
vorausgesetzt, er zahle gut und baar.

Müßt' ich als Hund empor zum Monde bellen.
Der still am Himmel steht und groß und klar.
Müßt' ich mich selber einen Schurken nennen —
Zu Asche würd' ich meine Hand verbrennen.

Mär' ich verdammt, das alte Lied zu leiern
Mit Ernst und Eifer, Inbrunst und Geschick

Und mit der Phrasen hohlem Schwall zu feiern
Die kleinen Ränke feiger Politik,

Ich ginge hin mit meinen letzten Dreiern
Und kaufte mir beim Seiler einen Strick,

Und baumelnd hinge schließlich meine Leiche
Im tiefsten Walde an der höchsten Eiche.

Rundschau.

Alle diplomatischen Kabincts sind mit allen
«Stammtischen der Welt darüber einig, daß die
politische Lage Europas, Amerikas, Asiens und
Afrikas gegenwärtig eine höchst bedenkliche ist,
und das; jeden Augenblick allerlei Weltenbrände
entstehen können.

Um diese Gefahren zu kennzeichnen, hält es
der „Wahre Jacob" für nöthig, seinen lieben
Lesern und den tonangebenden Diplomaten die
Ursachen der gegenwärtigen Wirren zu enthüllen.

Da ist z. B. der Konflikt zwischen England
und Amerika. Die Ursache, warum diese beiden
geiverbfleißigen Staaten sich in die Haare fahren,
rührt von dem Antrag des Grafen Kanitz im
deutschen Reichstage her. Bekanntlich zahlt das
Ausland unsere Kornzölle, und es müßte auch die
Kosten des Kornwucher-Monopols zahlen. Um
uns diesen Gefallen zu erweisen, sehen wir Eng-
land und Amerika in Streit, und ivenn der An-
trag Kanitz nicht bald angenomnien wird, so
werden jene beiden kapitalkräftigen Nationen ihm
zuvorkommen und das ganze deutsche Getreide zu
Wucherpreisen aufkaufen, und so zwangsweise in
Deutschland das Getreidemonopol einführen. Es
ist auf Grund dieser Sachlage erklärlich, daß der
Antrag Kanitz in: Reichstage schon über hundert
Unterschriften erhalten hat.

Auch die orientalischen Wirren haben ihren
Brennpunkt in Berlin. Denn rvas fehlt der
Türkei? Es fehlt ihr ein geeigneter Mann, der
den dortigen korrupten Verhältnissen gewachsen ist

und das nöthige Vcrständnitz dafür hat. Warum
giebt es im Orient keinen solchen Manu? Weil
der Polizeikommissar Wolff eigens von Berlin
nach dem Orient gefahren ist und die einzige
tüchtige Kraft, nämlich den Hammerstein, weg-
geholt hat.

Nicht ohne Grund hatte sich dieser nach
Griechenland gesetzt, wo er jeden Augenblick nach
Stambul gehen konnte, wenn man seiner bedurfte.
Er weiß Bescheid in faulen Finanzangelegcnheilen,
er besitzt die Rücksichtslosigkeit eines Paschas, auch
die türkische Vielweiberei schreckt ihn nicht, und
mit Eunuchen weiß er prächtig umzugehen,
denn dieses hat er bei den staatserhaltenden Par-
teien in Berlin gelernt. Hätte ihn der Sultan
rechtzeitig berufen, so hätte er Türken und Ar-
menier ohne Unterschied so gründlich über die
Ohren gehauen, daß ihnen die Lust zum Raufen
vergangen wäre.

In der inneren Politik ist ebenfalls nmnches
aufzuklärei:. Es ist ein öffentliches Gehcinmiß,
daß Ahlwardt nach Amerika flüchtete lediglich aus
den: Grunde, uni nicht an Köllers Stelle Minister
des Innern zu werden. Ahlwardt weiß eben,
daß auf diesen: Posten keine Lorbeeren zu holen
sind, und er will sich daher lieber erst in: Aus-
lande berühmt machen, damit man ihn: später
die Vertretung der äußeren Politik, also die
Kanzlerivürde anbieten soll. Freilich hat er hierin
einen gefährlichen Konkurrenten, denn auch Herbert
Bismarck, dessen staatsmännische Weisheit der-
jenigen Ahlwardts beinahe gleichkommt, hat seinen
alten Wunsch, der deutschen Nation einen neuen
Kanzler zu bescheeren, noch nicht aufgegeben.

Auch der Kriegsfall ift bereits gegeben, denn
der Dreibund ist in Abessinien engagirt, und jeder
Patriot ist verpflichtet, Gut und Blut dafür ein-
zusetzen, daß das Ansehen Deutschlands, Oester-
reichs und Italiens in den Augen der Kaffern
keinen Schaden erleidet.
 
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