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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0021
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2109

sich die Privatwvhnung des Kommissars befand. Wir kamen überein,
den Spitzer auf die Probe zu stellen.

Eines Abends, im Gasthaus zum „blauen Stern", unserem Ver-
kehrslokal, waren wir schon in eifriger Berathung, als Spitzer eintrat.

„In der Stadt ist eS zu unsicher, >vir müssen ein Nachbardorf
wählen", sagte der alte Bergmaier.

Spitzer setzte sich an den Tisch und horchte gespannt.

„Freilich", bemerkte der kleine Schröter, „da es sich uni eine so
wichtige Sache handelt, darf keine Vorsicht außer Acht gelassen werden."

Spitzer spitzte die Ohren.

Na, es soll ja keine regelrechte Versainmlung, sondern nur eine
geheime Besprechung im engsten Kreise werden. Dazu brauche,,
wir doch nicht aufs Dorf zu gehen", wandte der Schuhmacher
Kurze ein.

Spitzer zitterte vor Neugier. „Was giebt's eigentlich?"
fragte er.

„Eine Sache, die zunächst nur die intimsten Genossen
erfahren dürfen", sagte Bergmaier mit gedämpfter Stimme,
und fügte noch leiser hinzu: „Es kommt ein ReichStagSabgeord-
nctcr, um Rücksprache mit den Genossen in der Provinz zu
nehmen; um die Einführung einer neuen Taktik soll es sich
handeln."

Spitzer wurde sehr aufgeregt; er beeilte sich, das Er-
cigniß mit kräftigen Worten zu begrüßen. Da werde es wohl
endlich dazu kommen, auf das Schandgesetz die richtige Ant
wort zu geben; hoffentlich würde man einmal zuschlagen, statt
blos den Buckel zuin
Empfang der Prügel hin-
zuhalten u. s. w.

Wir mußten den
eifrigen Spitzer ernstlich
zur Ruhe und Mäßig-
ung ermahnen, und es
wurde unter seiner Mit-
wirkung beschlossen, daß
die geheiinnißvolle Kon-
ferenz im Nachbardorfe
H., zwei Stunden weit
von N., abgehalten wer-
den solle.

Der Abend der an-
geblichen Parteikonferenz
kam heran. Es war ein
sehr trüber Herbstabend
und der Regen floß in
Strömen.

Spitzer hatte sich,
ganz im Gegensatz zu
seinem früher geäußerten
Eifer, entschuldigt. Er
könne gar nicht oder doch
erst spät nach H. kommen,
da er nothwendige Ar-
beit zu verrichten habe.

„Das ist verdächtig", sagten die Genossen. „Wir müssen ihn
beobachten."

Wir hatten für diesen Abend einen eigenen „Sicherheitsdienst"
organisirt, um Alles festznstellen, was auf der Straße nach H. und
in H. selbst vorging.

Da sahen wir zuerst die zwei Polizisten von N. auftauchen, in
Begleitung von zwei Männern in Zivil, die auswärtigen Geheim-
polizisten verdammt ähnlich sahen. Sic verfolgten eilfertig den Weg
nach H. Dann erschien in Regen und Nebel die Gestalt Spitzers,
welcher trotz der Finsterniß scheu und vorsichtig dahin eilte, wie ein
Mensch, der um keinen Preis gesehen sein will.

Nur der Polizeikommifsär in N., als dessen Gewährsmann Spitzer
sich verdächtig gemacht hatte, nahm an der Aktion nicht persönlich thcil.
Er hatte sich nämlich eine Verletzung am rechten Fuße zugezogcn, die

ihn ans Zimmer fesselte. Zn feine, Vertretung hatte er zwei Geheim-
polizisten aus der Residenz berufen, da er der Intelligenz der Polizei
organe anr Orte bei einen: solchen Hauptschlage nicht traute.

Das Wirthshaus in H. war geschlossen. Zu so vorgerückter Abend-
stunde pflegte dort an gewöhnlichen Werktagen Niemand zu zechen.
Spitzer näherte sich dein Hause und machte eine Entdeckung, die auch
uns überraschend war. In einem Nebenraum der Wirtschaft war
Licht, welches sich durch die Spalten der Fensterläden vcrrieth. Man
hörte drinnen auch murmelnde Laute, wie wenn Menschen mit gedämpfter
Stimme redeten.

Spitzer horchte aufmerksam; er mußte hier die geheime Konferenz ver-

muthen. Aber er konnte
augenscheinlich nichts ver-
stehen, denn er ging um
das Hans herum, um
einen besseren Beobach-
tungsort zu suchen.

Bald darauf erhob
sich auf der anderen
Seite des Hauses ein
großer Lär,n. Lautes
Geschrei, lebhafte Rufe,
dumpfe Schläge. „Wir
haben ihn!" Dieser Ruf
drang verständlich durch
den Tumult.

In: Nu belebte sich
das Nachtbild. Mehrere
Polizisten und Nacht-
wächter waren zur Stelle,
auch Bauern ließen sich
blicken, und Alles eilte
nach dem Schauplatz der
Handlung.

Es war an der Rück-
front des Wirthshauses;
da befand sich ein zur
Aufbewahrung von Obst
benützter Raum, der au
das Nebcnzinnner des
Gastlokales stieß. Ju
dein geöffneten Fenster
dieses Raumes hing
Spitzer, von innen fest-
gehalten , während die
Knechte ihn von außen
windelweich prügelten.

Die Aufklärung er-
folgte in ausreichender
Weise. Man erfuhr, daß
schoi: seit läilgercr Zeit
Obstdiebstähle verübt
worden waren. Um ben
Dieb endlich abzufassen,
hatten heute zwei Knechte Wache gehalten. Da ihnen die Zeit bis zu
der späten Stirndc, in welcher Diebe zu arbeiten pflegen, laug wurde,
so hatten sie sich im Ncbenraum des Gastlokals Licht angezündet,
einen Krug Bier geholt und Karten gespielt, bis sie hörten, wie das nur
angelegt gewesene Fenster der Obstkammer anfgestoßcn wurde. Dann
waren sie herbeigeeilt und hatten den vermeintlichen Dieb gefaßt.

„Aber es sollte doch heute hier eine politische Versammlung statt-
findcn", wandte der Geheimpolizist ein.

Der Dorfwirth riß verwundert den Mund auf. Er wußte voi: nichts.

Spitzer wurde noch in der Nacht nach N. gebracht. Er blieb
zwar nicht lange in Haft, aber die Prügel und die Angst hatte er
doch weg und seine Entlarvung war glänzend gelungen. Er verließ
die Stadt und wir hatten scitden: wieder Ruhe vor den Ueberfälle»
der Polizei.
 
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