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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0040
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(Lin unpolitisches Fest.

„"Was man auf seine alten Tage noch Alles erleben muß!" hatte
der biedere Polizei-Juspektor Tappel sich seufzend gesagt, als die Sozial-
demokraten des Ortes ihm anzeigten, sie würden am Faschingsabende
im „Elysium"-Saale ein Maskenkränzchen abhalten.

Er hatte davon anfangs nichts wissen wollen, denn er meinte,
das Maskiren schicke sich wohl für hohe Herrschaften, z. B. für den
Herrn Landrath, den Kaminfegermeister und allenfalls noch für einen
Professor, aber keinesfalls für Arbeiter, denn diesen dürfe niemals Ge-
legenheit gegeben werden, sich vor dem Auge des Gesetzes unkenntlich
zu machen.

Aber die Veranstalter der Festlichkeit beharrten darauf, daß iu
all den zahlreichen Staats-, Polizei- und Gemeindegesetzen des König-
reichs nirgends eine Bestimmung eristire, welche Arbeiter vom Fasching
ausschließe, und so entschloß sich der gute Tappel, schriftlich Instruktion
von seinem Landrath einzuholen. Er empfing die Weisung, das Fest
zu gestatten, wenn es einen durchaus unpolitischen Charakter trage,
aber strengstens darüber zu wachen, daß keine politischen Anspielungen
vorkämen.

Das war nun eigentlich für Tappel eine schwierige Aufgabe, denn
was Politik sei, davon hatte er keine recht klare Vorstellung. Das
Kreisblatt brachte unter dem Titel „Politisches" immer allerhand Klatsch,
sehr häufig Verunglimpfungen der Sozialdemokratie; sonstige Belehrungen
über Politik hatte aber der biedere Inspektor nie genossen. Trotzdem
zweifelte er keinen Augenblick an seiner Befähigung auf diesem Gebiete,
denn so oft er eine politische Versammlung aufgelöst und die Betroffenen
Beschwerde erhoben hatten, dann hatte er immer vom Landrath Recht
bekommen.

„Merkt also auf!" sagte er gewichtig zu den Veranstaltern des
Festes, als sie sich Bescheid holten, „ich will für diesmal Euer Unter-
nehmen gestatten, obgleich es eigentlich unter den Begriff des groben
Unfugs und ruhestörenden Lärms fällt. Aber Ihr habt strengstens zu
vermeiden, daß etwas Politisches oder gar etwas Sozialdemokratisches dabei
vorkommt. Wenn ich eine einzige sozialdemokratische Maske sehe, löse
ich das ganze Fest auf."

„Unbesorgt," sagte einer der Einberufer verschmitzt lächelnd, „sie
sollen keine sozialdemokratische Maske und auch sonst nichts Politisches
zu sehen bekommen."

Als der Faschings-Abend dämmerte, zogen frohgestimmte Menschen
massenhaft nach dem „Elysium". Es hatte sich das Gerücht verbreitet,
daß es einen besonderen Scherz geben werde und die auf Plakaten und
in Inseraten hervorgehobcne Bezeichnung „unpolitischer Fasching" er-
weckte allerlei Vermuthungen.

Auch Herr Tappel erschien und war angenehm überrascht, als er
statt verdächtiger rother Fahnen schwarz-weiße und schwarz-weiß-rothe
Dekorationen erblickte. Die Sozialdemokraten waren also seiner strengen
Ordre zu Liebe patriotisch geworden.

Eine Deputation von Masken empfing den Herrn Inspektor init
tiefen Verbeugungen und geleitete ihn an seinen Ehrenplatz. Das
waren allerdings kuriose Käuze, diese Deputationsmitglieder. Sie
hatten ungewöhnlich lange künstliche Nasen und große Brillengläser, in
den Händen trugen sie Gummischläuche. Da jedoch weder Nasen noch
Gummischläuche sozialdemokratische Abzeichen sind und die Herren sich

höchst respektvoll gegen ihn benahmen, so hatte Herr Tappel nichts an
ihnen auSzusetzen.

Nachdem er einen kräftigen Trunk gethan, schaute er sich niit
kritischen Blicken um. Da lvimmelte die bunte Schaar der Masken
lustig an ihm vorüber. Männer im Staatsfrack und Wadelstrümpfen,
Frauen in bunten Volkstrachten, gravitätische Herren mit langen
Zöpfen u. s. w. Was sie vorstellen sollten, davon hatte der gute Tappel
keine Ahnung.

„Es sind doch nicht etwa politische Masken dabei?" fragte er
einen der Festleiter.

„O, keineswegs", betheuerte dieser, „sehen Sie z. B. die drei Herren,
welche dort Arm in Arm auf und ab spazieren, das sind die drei Reichs-
kanzler Caprivi, Bismarck und Hohenlohe."

„Na, na!" sagte Tappel etwas ungläubig, „und wer ist denn
der Mann, der in Strümpfen hinterher läuft?"

„Das ist Bennigsen in den Wadelstrümpfen der Hoftracht; in
der Hand trägt er ein leeres Portefeuille. Sie verstehen doch —"

„Natürlich," versicherte Tappel, obgleich er keinen Begriff von der
Bedeutung dieser Anspielung hatte. Er war der Meinung, daß ein
Polizeimensch niemals zugeben dürfe, daß er etwas nicht verstehe.

„lind jenes große Frauenzinimer mit dem Feuerwehrhelm?"

„Das ist die Germania."

„Brav", lobte Tappel.

„Und sehen Sie, da erscheint eben der Finanzminister Miguel",
fuhr der Erklärer fort. Miguel erschien wirklich, und zwar führte er
ein ltngethüm am Seile, welches aus Pappe zusammengestellt und in
Decken gehüllt war.

„Das soll der Miguel sein?" fragte der Inspektor kopfschüttelnd.
„Und was ist denn das für ein Thier, welches er mitbringt?"

„Das ist das große Reichsdesizit."

„So, ein Defizit... ich hätte es für ein Dromedar gehalten",
bekannte Tappel.

„Diese zwei Herren, die hier vorübergehen", fuhr der Festleiter
fort, „das ist der Freiherr von Hammerstein und der Baron Ungern-
Sternberg."

„Lauter feine Leute", murmelte der Polizeigewaltige, „man sollte
es gar nicht glauben, daß die zu den Sozialdemokraten kommen.
Aber" — fragte er plötzlich, „was tragen denn die beiden Herren um
den Hals? Das sieht ja aus wie Stricke!"

„Es sieht so aus", bestätigte der Sozialdemokrat, „in Wahrheit
ist es das Band zu einem russischen Orden, welcher seine Träger
wesentlich erhöht. Sie können ihn auch noch bekommen, Sie hätten
längst einen Orden verdient."

„Ach, gehen Sie!" antwortete Tappel geschineichelt.

Ein Trompetentusch verkündete den Beginn des Festspiels. Die
Masken ordneten sich zum Zuge, die Musik spielte die Melodie: „Was
ist des Deutschen Vaterland?" und die Menge sang begeistert mit:

„Was ist des Deutschen Vaterland?

Jst's, wo die Nacht des Elends schwand?

Jst's, wo die Freiheit Blütheu trägt?

Jst's, wo man Kunst und Bildung pflegt?

O nein, nein, nein!

Das nimmermehr kann Deutschland sein."
 
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