Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0056
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
2140

(Zum 29. März.)

Ein ßebiigjäbr'ges, rauhes Kämpferkeben
Vollendet heut' in Ähren der „Soldat"

Gr hat den Namen selber sich gegeben,

Kls peinlich er verklagt auf Lochverralh.

Und in der Jahre stetem Auf und Nieder,

Nei Wetterleuchten und bei Sonnenschein,

Nei Stur? und Sieg fiel wieder uns und wieder
Der selbstgewählte Ehrenname ein.

Er war Soldat im reinsten, schönsten Sinne:

Die Vflicht der Stern, der ihm vor Augen steht,
Ein Jett sein Dach, die Dreiheit seine Winne,
Ein Stein sein Vfühl, ein Vorwärts! sein (bebet.
Und was der Jüngling froh und frisch begonnen,
Als er den Vranö der großen Zeit geschürt,

Das hat der Wann, entschlossen und besonnen,
Wit starrem Nacken eisern durchgeführt.

Wie aber wird er unsern Gruß empfangen?

Wir fürchten fast, er murre innerlich:

„Wom nun das? Es war' auch so gegangen;

Ich kenn' die Weinen und ste kennen mich?

Doch nur gemach, Du eisengrauer Streiter,

Wenn man Dich grüßt vom Dünensand ?um Dirn
An diesem Tag sei wolkenlos und heiter
Die tiefgefurchte, wetterbraune Stirn!

Wir danken Dir für Wühfal und Vefchweröe,

Die nie Dich fchlaff, die nie Dich muthlos sturd.
Du trotztest lächelnd jeder Wacht der Erde,

Du schwangst das Vanner für den vierten Stand,
Du rijfeft fort mit Deines Geistes Wehen
Die Tausende )u ihrem eignen Leit,

Und wenn die Leere heut' im Uelde stehen,

So hast Du daran Dein gerüttelt Theil.

Du willst ja nichts von Jungen und von Alten
Als einen festen, langen Druck der Land,

Den stummen Schwur, daß wir Zusammenhalten,
Als künft'gen Sieges bestes Unterpfand.

Doch horch! Es schmettern heute die Trompeten,
Ein Jucken lauft elektrisch durch das Leer
Und Deine alten Vataillone treten,

Dich ?u begrüßen, klirrend ins Gewehr!

Reichstags-Jubiläum.

Täglich fast ein Jubiläum
Aus des Urieges blut'gen Tagen
feierten die Patrioten
Und verdarben sich den Magen,

Darum endlich auch der Reichstag
will ein solches Fest begehen.

Denn durch fünfunzwanzig Jahre
Tagt er seit des Reichs Bestehen.

Run. so gönnet ihm die Freude,

Löblich ist ja sein Beginnen,

Seiner vielen großen Thaten
Kann er sich dabei entsinnen.

Vftmals gegen die Regierung
wagte er zu opponiren,

Fegen manche Ford'rung hörten
wir ihn muthig protestiren.

Manchmal noch in zweiter Lesung
Hat er tapfer festgestanden,

Lrst in allerletzter Stunde
Kam das Rückgrat ihm abhanden.
Manchen Umfall gilt's zu feiern
Den er elegant vollbrachte,
wenn des Kanzlers strenger Wille
Solches Vpfer nöthig machte.

Manches Mal. wie straff die Zügel
Roch der alte Bismarck führte.

8ab es einen harten Fußtritt.

Den der Reichstag fromm quittirte.
Meist, in Denmth treu ersterbend.

Folgt er jenes Kanzlers Winken.

Scholl auch laut das Hohngelächter
von den Rothen auf der Linken.

So in Reden stark und muthig.

Doch im Handeln ängstlich schwankend.
Neistentheils beschlußunfähig.

An Diätenmangel krankend.

Sind die Tage dieses Reichstags
Ziemlich rühmlos denn verflossen.
Zm Papierkorb liegt das meiste,
was er unverlangt beschlossen.

Dennoch zu der Jubelfeier
Festlich soll sein Haus erglänzen.
Doch des Bundesraths Papierkorb
Muß er eigens schön bekränzen.
Darin schlummert wohl das Beste,
was der Welt er geben wollte.
Darin ruhn auch die Diäten,

Die er selbst empfangen sollte.

Allerlei Revolutionäre.

Der Spießbürger schlägt entsetzt die Hände
über dem Kopfe zusammen, wenn er hört, daß
der achtzehnte März gefeiert werden soll.

Der achtzehnte März — das war ja ein Tag
der Revolution! Da hat man einstens ganz ohne
polizeiliche Erlaubniß Barrikaden gebaut, und man
hat den Bauplan zu denselben nicht einmal vorher
dem städtischen Banamt vorgelegt, was doch un-
bedingt Vorschrift ist. Am achtzehnten März sind
Leute mit Flinten und Säbeln auf der Straße
herumgelaufen, ohne vorher bei der Polizei einen
Waffenschein zu lösen, da sind Plakate angeklebt
worden ohne jede aintliche Plakatzensur, und als
schließlich das Militär angerückt kam und auf die
Bürger Feuer gab, da sollen Leute so unbotmäßig
gewesen sein, ihrerseits ebenfalls zu schießen!

Freilich, die Leute, die solches thaten, waren keine
Sozialdemokraten, und das mildert ihr Vergehen.
Es waren biedere liberale Patrioten, welche noch
nicht wußten, daß man auf die Obrigkeit nicht
schießen darf, sondern vor ihr auf dem Bauche krie-
chen muß, wenn man im Staate etwas gelten will.

Aber immerhin, sie haben geschossen, sie haben
rebellirt, sie haben irgendwelche angestaminte

Fürsten davonjagen wollen, das sind traurige
Thatsachen, die man nicht mehr erwähnen soll,
über die man den Mantel der christlichen Liebe
decken muß. Also beruhigt euch, redet euch ein,
es habe nie einen achtzehnten März gegeben, ihr
seid nie auf die Barrikaden gestiegen, die Blätter
der Geschichte, auf denen eure revolutionären
Heldenthaten verzeichnet stehen, sind polizeilich
konfiszirt und werden im Geschichtsunterricht der
Schulen übergangen.

Aber dann, ihr lieben Philister, solltet ihr jetzt,
auf eure alten Tage doch auch nicht mehr an-
fangen, zu revolutioniren!

Ihr leugnet eure Vergangenheit und behaup-
tet, daß ihr an gar nichts Revolutionäres denkt?
O, wie ihr euch verstellen könnt!

Wir wollen noch nicht einmal vom sächsischen
Wahlrechtsnmsturz reden. Das ist gar keine Re-
volution mehr, das ist die höhere Anarchisterei.
Aber was treibt ihr denn sonst noch?

Die konservativen und die ultramontanen Phi-
lister sind gewiß die frömmsten von allen. Kaum
haben sie Lunte gerochen, daß bei der Berathung
des bürgerlichen Gesetzbuches an der bestehenden
Rechtsordnung gerüttelt werden könnte, da revoln-
tioniren sie gegen die Zivilehe, gegen das Per-
soncnstandsgesetz und vieles andere. Da haben
wir endlich einmal die Leute erwischt, welche gegen
die Institution der heutigen Ehe ankämpfen.

Diesen Hauptumstürzlern gesellt sich der Adels-
stand zu, welcher sich fortwährend in offener Re-
volution gegen die Interessen der Gesammthcit,
gegen billiges Brot, Butter, Margarine u.s.w.
befindet. Diese Revolutionäre, welche ihren
Mangel an Intelligenz durch Brutalität zu er-
setzen suchen, und welche in Bismarck-Friedrichs-
ruh, Hammerstein-Moabit, Mirbach-Berlin ein-
flußreiche Führer besitzen, haben der Regierung
schon mehr zu schaffen gemacht, wie die Sozial-
demokraten.
 
Annotationen